Heidi Maria Glössner: «Wem gehört unser Leben?»

Sie gilt als die Grande Dame des Schweizer Theaters: Heidi Maria Glössner. Diesen Herbst liest die Schauspielerin biblische Geschichten in und um Bern. Ein Gespräch über Gott, Geschichten und Glaubensfragen – im Leben und auf der Bühne.

 

Frauenpower im Berner Stadttheater (2011): Suzanne Thommen, Heidi Maria Glössner, Sibylle Brunner und Monica Gubser (v.l.n.r.) bei den Proben des Stücks «Altweiberfrühling». Dieses kam nach dem Filmerfolg «Die Herbstzeitlosen» mit einem Teil der originalen Besetzung in der Bundesstadt auf die Bühne. / Foto: Keystone

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Seit 2022 stehen Sie in Ferdinand von Schirachs Theaterstück «Gott», das sich mit Sterbehilfe auseinandersetzt, schweizweit auf der Bühne. Menschen versuchen immer wieder, Gott zu spielen…

Heidi Maria Glössner: Das Stück «Gott» stösst in der ganzen Deutschschweiz auf enormes Interesse! Meine Figur, Elisabeth Gärtner, wirft darin der Ärzteschaft vor Gericht vor, sie spiele Gott, weil sie über Leben und Tod von Patienten entscheiden wolle. Sie hingegen fordert ihr Recht auf ihren eigenen Tod, wie er in der Schweiz gesetzlich verankert ist. Von Schirach versteht es meisterhaft, jedem Gremienvertretenden – Bischof, Ethiker, Rechtsprofessorin, Ärztin und Anwalt – Recht zu geben, keinen zu denunzieren, sondern Verständnis für jede Haltung zu schaffen. Faszinierend! Und eben – wem gehört unser Leben, unser Tod? Gott? Der Familie? Den Freunden? Dem Staat? Oder nur uns selbst? Ich plädiere für mein Recht auf meinen Tod.

Kürzlich waren Sie am Berner Theater an der Effingerstrasse in der Schweizer Erstaufführung von «Marjorie Prime» zu sehen. Darin geht es um Identität und ihre Grenzen, um Familiengeheimnisse, Demenz und um das, was von uns bleibt. Wie möchten Sie in Erinnerung bleiben?

Glössner: Eine schwierige Frage … Am Theater gibt es den alten Spruch «Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze» – und ich glaube, das ist auch gut so. Wir verbringen eine kurze Zeit auf dieser Welt, und unsere Spuren verwischen schnell. Wenn man sich trotzdem an mich erinnern sollte, dann hoffentlich an einen grosszügigen, toleranten, positiven Menschen, der eher Heiterkeit als Schwermut ausstrahlte.

 


Sie sind in einer sehr katholischen Pflegefamilie aufgewachsen. Wie hat Sie das geprägt?

Glössner: Meine Pflegefamilie verkörperte all das, was man sich unter einer christlichen Lebensweise vorstellt: Liebe zu allem Lebendigen, Mitgefühl, Grosszügigkeit, ein offenes Herz und eine offene Hand für Notleidende. Und all das, ohne es zu zelebrieren oder zu «missionieren», sondern in Stille und Einfachheit. So sehr ich als rebellische Teenagerin auch versuchte, irgendeine Unwahrheit oder Scheinheiligkeit darin zu entdecken, ich konnte nie etwas Falsches finden. Ich durfte sehr viel Liebe und Güte erfahren, die mich für mein ganzes Leben gestärkt haben.

In einem Interview zu Ihrem 80. Geburtstag sagten Sie, es gebe Schauspielende, die davon leben, sich zeigen zu dürfen und solche, die es beglücke, Geschichten zu erzählen – wie Sie. Spielen biblische Geschichten in Ihrem Leben eine Rolle?

Glössner: Als Gymnasiastin gehörte ich in unserem Dorf einer Bibelgruppe an. Wir waren idealistische junge Leute, die etwas Positives in der Welt bewirken wollten. Wir haben über Geschichten aus der Bibel diskutiert und hatten jeweils fröhliche, schöne Treffen. In der Folge habe ich mich damals bei Abbé Pierre gemeldet, um in den Paris Banlieues mitzuhelfen – doch er hatte schon zu viele Studenten, die gratis mit ihm arbeiten wollten. Ich muss gestehen, dass ich seither kaum mehr in der Bibel gelesen habe …

… Und doch werden Sie in drei Berner Pfarreien aus der Bibel lesen. Wieso hat Sie dieses Projekt gereizt (siehe Kasten)?

Glössner: Weil ich mich nach wie vor sehr in unserer katholischen Konfession verankert, sozusagen «zu Hause» fühle und diese Anfrage mich wieder dazu brachte, mich mit biblischen Themen zu befassen. Dafür bin ich dankbar.

Welche biblische Geschichte hat Sie beeindruckt?

Glössner: Das Alte Testament ist dramatischer als das Neue Testament. Marion, eine «Dirne» in «Dantons Tod» von Büchner etwa erzählt, dass sie von ihrer Mutter sehr streng erzogen wurde. Sie durfte keine Bücher lesen, um ihre Tugendhaftigkeit nicht zu gefährden, ausser der Bibel – und genau dort hat sie ihre Sinnlichkeit entdeckt.

Welche Inhalte der Bibel finden Sie schwierig?

Glössner: Ich denke, dass viele Menschen heute Mühe mit dem biblischen Frauenbild haben – abgesehen von starken Frauen wie Esther oder Judith. Die Frau sei «dem Manne untertan», sei «aus seiner Rippe» geformt, also «Fleisch von seinem Fleisch». Das entspricht unserer heutigen Vorstellung von Gleichberechtigung nicht mehr.

 

Heidi Maria Glössner

Die Film- und Theaterschauspielerin wurde in Deutschland geboren und floh 1944 als Kleinkind in die Schweiz. Sie wurde mit einer Hauptrolle im erfolgreichen Schweizer Kinofilm «Die Herbstzeitlosen» (2006) berühmt und spielte in etlichen weiteren Kino- und Fernsehfilmen, wie auch im «Tatort» oder einer Folge von «Der Bestatter». Heidi Maria Glössner war 2024 u. a. in St. Gallen in «Die Ärztin» und «Gott» und im Berner Theater an der Effingerstrasse in «Der vergessene Prozess» und in «Marjorie Prime» auf der Bühne zu sehen. Ab Oktober spielt sie nochmals im äusserst erfolgreichen Stück «Grand Horizons» der Bühnen Bern. Sie wurde mit dem Prix Walo als beste Schauspielerin 2015, 2017 mit dem Preis der Armin-Ziegler-Stiftung für ihr Lebenswerk und 2018 mit der Bernburger Ehrenmedaille ausgezeichnet. Die Schauspielerin hat einen Sohn und zwei kleine Enkelinnen und lebt in Bern.

(Herbst-)Zeitloses Innehalten in Bern

In folgenden drei Pfarreien liest Heidi Maria Glössner musikalisch umrahmte biblische Geschichten:
So, 20. Oktober, 17.00, Pfarrei Guthirt, Ostermundigen
Sa, 26. Oktober, 17.00, Pfarrei St. Marien, Bern
So, 3. November, 17.00, Pfarrei St. Michael, Wabern
Der Eintritt ist frei.