Helena Jeppesen-Spuhler mit der Statue «Königliche Würde aller Menschen». Foto: Pia Neuenschwander
Helena Jeppesen-Spuhler: «Die Synode kommt für die Schweiz fast zu spät»
Helena Jeppesen-Spuhler* weiss: Ohne Reformen in der Frauenfrage und Missbrauchsbekämpfung droht der Kirche in der Schweiz ein Exodus.
Foto: Pia Neuenschwander
Interview: Annalena Müller
«pfarrblatt»: Papst Franziskus hat einige besonders umstrittene Themen in Arbeitsgruppen ausgelagert. Im Oktober soll gar nicht mehr darüber diskutiert werden. Ist die Weltsynode als Reformmotor tot?
Helena Jeppesen-Spuhler: Nein, das denke ich nicht. Der synodale Prozess läuft auf verschiedenen Ebenen. Neben der Weltsynode gibt es den Prozess auf den Kontinenten und in den Ortskirchen. Und die erwähnten Arbeitsgruppen werden auf der Synode ihre Zwischenberichte präsentieren. Da können wir Eingaben machen.
Das heisst, die Zwischenberichte werden auf der Synode präsentiert und die Delegierten werden Stellung beziehen – auch zur Frauenfrage?
Helena Jeppesen-Spuhler: Genau. Und da gibt es natürlich auch die Möglichkeit, Texte zurückzuweisen oder grundlegende Änderungen zu verlangen. Aber es ist eine herausfordernde Situation.
Inwiefern?
Helena Jeppesen-Spuhler: Es gibt bisher noch kein offizielles Programm für die Synode. Das macht die Vorbereitung schwierig. Auch kennen wir die genauen Aufgabenstellungen der Arbeitsgruppen nicht. Um die Zwischenberichte beurteilen zu können, müssen wir uns zu diesen Themen vorbereiten können. Da muss Rom also noch etwas in die Pötte kommen.
Der Zugang für Frauen zu den Weiheämtern ist ein zentrales Thema der Schweizer Katholik:innen. Dass der Vatikan diese Frage in eine Arbeitsgruppe ausgelagert hat, bei der man nicht einmal weiss, wer drinsitzt, wirft die Frage auf, ob Rom dieses Thema auf Eis legen will …
Helena Jeppesen-Spuhler: In Rom argumentiert man natürlich andersherum und nennt just die Wichtigkeit des Themas als Grund für die Auslagerung. Ich persönlich habe jedoch auch diese kritische Vermutung. Aber ich weiss auch, dass viele Mitglieder der Synode irritiert sind über die Intransparenz in dieser Frage, auch Bischöfe. Entsprechende Fragen wurden an das Synodenbüro und die zuständige Arbeitsgruppe übermittelt. Ob schon Antworten vorliegen, weiss ich nicht.
Wie unterschiedlich Rom und die Schweiz ticken, konnte man im Frühjahr beim Besuch von Kardinal Grech in Bern sehen. Seine Absage an die Öffnung der Weiheämter für Frauen sorgte für entnervte Reaktionen im Saal. Ziel der Synode sei die Neuevangelisierung, sagte der Kardinal – auch das erntete verständnisloses Kopfschütteln. Reden wir in der Schweiz von der gleichen Synode wie der Vatikan?
Helena Jeppesen-Spuhler: Natürlich gibt es ein unterschiedliches Verständnis davon, wie weit der synodale Umbau gehen soll. In der Schweiz sind wir an einem anderen Ort als in Italien. Ich glaube auch, dass Kardinal Grech in Bern nicht alle Möglichkeiten hatte, offen zu reden. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Synode unter enormem Druck der Konservativen steht, die nur darauf warten, dass der Kardinal einen Fehler macht …
Trotzdem: Da kommt ein sehr hoher vatikanischer Beamter nach Bern, und die hiesigen Katholik:innen bleiben völlig unbeeindruckt von seiner Autorität. In Bezug auf die Synode stellt sich durchaus die Frage: Wenn die Synode die lange geforderten Reformen nicht liefert, droht dann ein Schisma?
Helena Jeppesen-Spuhler: Die Synode kommt für die Schweiz eigentlich zu spät. Gerade deshalb müssen wir auf schweizerischer Ebene mit der Synodalitätskommission rasch vorwärts arbeiten. Schlicht, weil wir schon zu viele Leute verloren haben. Und ja, die Gefahr ist sehr real, dass wir noch mehr verlieren werden, wenn wir in der Frauenfrage keine Lösung finden. Gleichzeitig finde ich es sehr positiv, dass wir hier keine Angst vor der römischen Autorität und vor Hierarchien haben. Wir haben eine gute demokratische Kultur auch in der Schweizer Kirche. Wir sind es gewohnt, auf Augenhöhe zu reden.
Es ist immer wieder von der Kirche der zwei Geschwindigkeiten die Rede – bzw. von Regionalisierung. Glauben Sie, dass die Synode eine Empfehlung in diese Richtung aussprechen wird?
Helena Jeppesen-Spuhler: Ich denke, das wird das Hauptthema sein. An den dazugehörigen kirchenrechtlichen Fragen wird wohl auch schon gearbeitet. Also, was konkret geschehen muss, um die Kompetenzen der Ortskirchen zu stärken.
Innerkirchlich ist die Weltsynode ein grosser Schritt. Nach zwei konservativen Päpsten, die wesentliche Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ignoriert haben – darunter die Regionalisierung –, bringt die Weltsynode die Kirche wieder auf den Pfad des Reformkonzils zurück. Das Problem: In Europa sind diese «Kurskorrekturen» nicht mehr als Fortschritt vermittelbar. Kommt die Synode für Europa zu spät?
Helena Jeppesen-Spuhler: Die Synode kommt zumindest für Westeuropa sehr spät. In Osteuropa sieht es anders aus. Dort konnte aufgrund der Situation der Kirche im kommunistischen System das Zweite Vatikanum nie umgesetzt werden. Das heisst, die ganzen Schritte des Aufbruchs, die es nach dem Konzil gab, Synode ’72 und so weiter, haben dort nie stattgefunden. Entsprechend ausgeblieben ist dort auch die Enttäuschung über die reaktionäre Epoche unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI.
In der Schweiz ist die Ernüchterung hingegen sehr real …
Helena Jeppesen-Spuhler: Ja. Daher müssen wir für Mittel- und Westeuropa Autonomie bewilligt bekommen. Wir müssen über wichtige pastorale Fragen selbst entscheiden können, damit wir als Kirche glaubwürdig arbeiten können. Die Ausrufung des synodalen Prozesses ist an sich schon ein Schritt zur Dezentralisierung. Ein weiterer ist die neue Rolle der Kurie, die Papst Franziskus mit der neuen Konstitution definiert hat: Rom steht im Dienst der Ortskirchen und will nicht mehr schauen, dass diese römische Direktiven einheitlich umsetzen. Die Ortskirchen haben heute schon mehr Gewicht. Das wissen viele noch nicht!
Was erhoffen Sie sich persönlich und konkret von der Synode?
Helena Jeppesen-Spuhler: Ich wünsche mir konkrete und greifbare Schritte der Partizipation, Regionalisierung und Dezentralisierung. Ich wünsche mir, dass die Bischöfe über das Diakonat der Frau entscheiden können, genauso wie sie es bereits beim Diakonat für verheiratete Männer tun können. Das wäre für uns in der Schweiz extrem wichtig. Für die Weltkirche ist es von zentraler Bedeutung, dass die Synode Antworten auf die Missbrauchsproblematik findet. Es kann nicht sein, dass bei diesem Thema weiterhin vor allem zölibatäre Männer entscheiden. Es braucht gemischte Gremien, die bindende Entscheidungen treffen können. Sonst wird sich das Missbrauchsproblem nie lösen lassen.
* Helena Jeppesen-Spuhler ist eine der zehn europäischen «Nichtbischöfe» und eine von 54 stimmberechtigten Frauen, die vom Papst in die Weltsynode berufen wurden. Die Aargauerin arbeitet seit über 20 Jahren bei «Fastenaktion».