Herbert Haag Preis: Menschliche Nähe ist zentral im interreligiösen Dialog

15.03.2016

Die Herbert Haag-Stiftung zeichnete das «Haus der Religionen» in Bern sowie den evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm aus München aus.

..Zudem erhielten drei Studierende eine Anerkennung für ihre Forschungsarbeit.

Acht Weltreligionen leben am Europaplatz in Bern seit zwei Jahren unter einem Dach. Durch dieses Haus rücken die Religionsgemeinschaften mit ihren Lebens- und Glaubenswelten mitten hinein in die Gesellschaft. Ein Labor für interkulturelles und interreligiöses Zusammenleben ist entstanden. Die diesjährigen Preisträger stehen für interreligiöse Verständigung, und so war es naheliegend, dass die Herbert Haag-Stiftung diesen in Europa weit beachteten Ort als Austragungsort ihrer diesjährigen Preisverleihung wählte.

Um zu zeigen, welches Leuchtturmprojekt mit dem Haus der Religionen in Bern entstanden ist, führte Erwin Koller, Präsident der Herbert Haag-Stiftung, in seinem Grusswort den zahlreich erschienenen Gästen aktuelle Nachrichtenthemen wie Pegida, Bilder von schwarz-rot-gold leuchtenden Kreuzen und brennende Flüchtlingsheime vor Augen. Das Haus der Religionen sei «nicht mehr ein Nicht-Ort – eine U-Topie –, sondern schon im zweiten Jahr tagtägliche Wirklichkeit.»

Experimentierfeld für neue Formen des Zusammenlebens

Die mit Spannung erwartete Festrede auf das Haus der Religionen hielt Rifa’at Lenzin, Islamwissenschaftlerin, Fachleitung Islam am Zürcher Institut für interreligiösen Dialog ZIID. Lenzin, die den Werdeprozess dieses Ortes von Beginn an fieberhaft mitverfolgt hat, hatte zuerst befürchtet, aus Tempeln, Kirche und Moschee entstehe eine Art Erlebnispark für Religionen, wie sie in ihrer Rede ausführte. Umso mehr freue sie sich, dass die Religionen, die nebeneinander unter einem Dach versammelt sind, den Beweis erbringen, dass ein gutes Zusammenleben möglich ist. Neben Konflikten, die durch die räumliche Nähe entstehen könnten, habe diese jedoch auch das Potential, dass Neues entstehen könne und gegenseitiges Lernen ermögliche. «Das Haus der Religionen in dieser Form ist nicht zuletzt ein Experimentierfeld, auf welchem neue Formen des Zusammenlebens ausprobiert werden können», so Lenzin.  

Für Gerda Hauck, Präsidentin des Vereins «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» und treibende Kraft des Projektes, ist diese Auszeichnung ein Ansporn, sich noch mehr zu engagieren, wofür es auch ausschlaggebende Gründe gebe, wie sie betonte. «Alle Beteiligten der Religionsgemeinschaften und jene im Dialogbereich können Beispiele erzählen, wie sehr sie in der Vergangenheit und auch heute noch unter Druck gesetzt, ausgegrenzt oder angefeindet werden, weil sie sich zur Religionsfreiheit bekennen.» Die fröhliche Neugier, die sie hier täglich erlebe, helfe jedoch, «immer neu Wege zu mehr gegenseitiger Achtung und Wertschätzung zu suchen.»

Mutig, realitätsnah und zukunftsorientiert

In Heinrich Bedford-Strohm hat die Herbert Haag-Stiftung eine hochkarätige Persönlichkeit ausgezeichnet. Sabine Demel, Lehrstuhlinhaberin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg und Vizepräsidentin der Herbert-Haag-Stiftung, würdigte den Münchner Landesbischof, der auch Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, in ihrer Laudatio denn auch als einen Mann, der nicht jammere, sondern realistisch, lösungsorientiert und zuversichtlich agiere. Das gelte auch in der Frage der Flüchtlingskrise. «Heinrich Bedford-Strohm hat sich immer wieder klar und unmissverständlich zuversichtlich, aber keineswegs realitätsfremd positioniert», betonte Demel. Beispielhaft finde diese Haltung Ausdruck in seiner Bereitschaft, im Kuratorium des Münchner Forums für Islam mitzuarbeiten. Dafür erhielt er viel Kritik, auch aus den eigenen Reihen, liess Demel die Zuhörer wissen. Für Aufsehen sorgten auch seine Reisen an die Brennpunkte der Migrationsströme.  

«Das grösste Pfund ist die menschliche Nähe»

Heinrich Bedford-Strohm zeigte sich tief bewegt über die Auszeichnung. Er betonte: «Eines der grössten Pfunde im interreligiösen Dialog, vielleicht das grösste Pfund überhaupt, ist die menschliche Nähe.» Wer sich begegne, wer sich kennen lerne, wer vielleicht sogar Freundschaft schliesse, höre auf, die Religion des jeweils anderen an ihren unzulänglichsten Ausdrucksformen oder gar an ihren fundamentalistischen Pervertierungen zu messen. Exakt dieses Bestreben treffe er auch im Haus der Religionen in Bern an. Mit dem Preisgeld möchte der versierte Ökumeniker zwei Projekte unterstützen, die auf dem interreligiösen Gebiet eine Vorreiterrolle einnehmen: «Wings of Hope», eine Stiftung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, deren Schwerpunkt auf der psychosozialen Hilfe für vom Krieg traumatisierte Kinder und Jugendliche liegt, und zum anderen das «Haus der Religionen» in Hannover.  

Zur dieser prestigeträchtigen Preisverleihung, an der sich ein Apéro anschloss, versammelte sich im Haus der Religionen das ganze Panoptikum der reform-katholischen Szene im deutschsprachigen Raum. Besonders freute sich die Hebert Haag-Stiftung auch über das Kommen von Gottfried Locher, Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, der ein Grusswort überbrachte.

«Fragt die Gläubigen!»

Ausgezeichnet wurden auch drei hoch motivierte Studierende der Theologie und Sozialwissenschaften: Sarah Delere aus Berlin sowie Anna und Tobias Roth aus Münster. Sie waren keck dem Aufruf von Papst Franziskus gefolgt, der forderte: «Fragt die Gläubigen!» und befragten mit Hilfe eines Fragebogens 12’000 Katholikinnen und Katholiken aus 40 Ländern zu so genannten «Reformstau-Themen» wie Scheidung, Homosexualität und Zölibat. Die Antworten, erfuhren die Zuhörer, waren vielfältig und teils höchst erstaunlich. Die Teilnehmerzahl übertraf ihre Erwartungen. Diese Arbeit, die Erwin Koller als eine sehr anspruchsvolle empirische Studie lobte, sollte Kirchenverantwortliche dazu ermutigen, die Lebenswirklichkeit der Gläubigen wirklich ernst zu nehmen.

Hängen geblieben ist vielen Gästen dieser besonderen Preisverleihung wohl ein Satz Heinrich Bedford-Strohms, der die Haltung vieler Anwesenden auf den Punkt brachte und für die auch sämtliche bisherigen Preisträger der Herbert Haag-Stiftung stehen: «Ausstrahlungskraft gewinnt die Kirche nur dann zurück, wenn sie sich der Kraft öffnet, die aus ihren eigenen Quellen kommt, wenn sie das überwindet, was Wolfgang Huber ‹Selbstsäkularisierung› genannt hat, wenn sie die öffentliche Relevanz der Botschaft selbstbewusst zum Ausdruck bringt.»

Vera Rüttimann, kath.ch


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