Francesco Marra sucht die Tiefe der Ochlenberggrotte ebenso wie die Höhe des Hochwachtturms. Foto: Pia Neuenschwander
«Hier finde ich die richtigen Gedanken»
Mit Francesco Marra im Oberaargau unterwegs
Stundengebet auf dem Hochwachtturm, Predigt-Vorbereitung bei der Ochlenberg-Grotte: Wie Francesco Mara, Leiter des Pastoralraums Oberaargau, seiner Seele Sorge trägt.
Aufgezeichnet von Sylvia Stam, Fotos: Pia Neuenschwander
«Vom Hochwacht-Turm in Reisiswil sieht man den Pilatus, die Rigi, Zugerberg und Lindenberg, von hier aus kann ich meinen früheren Pastoralraum Muri (AG) und den ganzen Pastoralraum Oberaargau sehen: Von Wangen, Wiedlisbach, Oberbipp, Niederbipp bis zum Napfgebiet mit Sumiswald und Huttwil. Das hilft mir, alles zu relativieren. Von oben hast du eine andere Perspektive auf deine Arbeit. Ich merke: Meine Arbeit ist wichtig, aber ich bin auch wichtig.
Ich komme sicher einmal im Monat hierher, meistens abends, wenn ich etwas Ruhe brauche. Es ist hier sehr still, vor allem im Winter hört man nur Tierstimmen. Manchmal bete ich auf dem Turm mein Stundengebet. Ich nehme dazu das Brevier und bete mit den Psalmen, rund zehn Minuten. Dann meditiere ich ein wenig, höre Musik.
Ich halte das Stundengebet auch im Garten oder in der Kirche. Ich bete sicher die Laudes am Morgen, die Vesper am Nachmittag und die Complet am Abend. Manchmal braucht ein Psalm mehr Aufmerksamkeit, andere lese ich schneller, weil das nächste Telefongespräch wartet. Wichtig ist die Unterbrechung, die das Gebet bewirkt. Sie führt mir vor Augen, warum ich diese Arbeit tue.
In Leimiswil gibt es drei grosse und verschiedene kleine Grotten. Mir gefällt auch der Platz davor. Von hier kann man in die Tiefe der Höhlen gehen, aber der Blick geht auch in die Weite. Das finde ich genial! Wenn ich in Huttwil eine Sitzung habe, fahre ich zehn Minuten früher ab und mache hier eine kleine Pause.
Ich habe hier schon Sitzungen vorbereitet, weil ich die richtigen Gedanken so rascher finde. Im Büro ist alles gleichförmig. Die Natur hingegen gibt Impulse: Muss ich für eine Predigt oder eine Sitzung in die Tiefe gehen oder eher in die Weite? Soll ich eine breite Perspektive einnehmen oder muss ich mich eher fokussieren? Muss ich jetzt etwas tun oder soll ich warten?
Zu den Grotten komme ich zwei bis dreimal monatlich. Meist mit dem Motorrad, so kann ich den Rosenkranz beten. Das klingt sehr altmodisch, ich weiss, aber ich bin vielleicht ein bisschen altmodisch (lacht). Mir hilft das sehr. Beim Rosenkranz wiederholt man immer dieselben Gebete, man braucht nicht nachzudenken, deshalb kann ich trotzdem auf die Strasse schauen. Ich brauche meine zehn Finger als Perlen.
Ich arbeite gern für eine Einheit von unterschiedlichen Menschen, die zusammen unterwegs sind. Da fühle ich mich zugehörig, wie zu einer Familie. Es kommt allerdings auch vor, dass ich Menschen klar und deutlich sagen muss: So nicht. Das ist nicht immer einfach. Vor solchen Entscheidungen hilft es mir, hierher zu kommen. Diese Berge des Jura sind schon sehr Jahrtausende hier und sie werden noch lange da stehen. Sie werden nicht einmal wissen, was Pastoralräume sind.» (lacht)