Raphael Immoos: «Kurt Martis Gedichte sind für mich Gebete geworden.» Foto: Benno Hunziker
Himmel und Hölle: gesungen, nicht gehüpft
Klingende Literatur mit den Basler Madrigalisten
Heinz Holligers «hölle himmel» ist kein Hüpfspiel, sondern eine Motette, die er 2012 zu Texten des Theologen Kurt Marti schrieb. Dessen Gedichte sind eine der radikalsten Vorlagen für eine kirchenmusikalische Vertonung. Der Dirigent Raphael Immoos über diese klingende Literatur, die er mit den Basler Madrigalisten in Bern aufführen wird.
Interview: Anouk Hiedl
«pfarrblatt»: Es gibt unzählige hochkarätige Chorwerke zur Passionszeit. Warum haben Sie sich für Heinz Holligers «hölle himmel» entschieden?
Raphael Immoos: Passionen werden landauf landab gesungen. Auch wir haben letztes Jahr eine «neu gedachte» Johannespassion von Bach in Bern aufgeführt. Doch die Passionszeit darf nicht zur Routine werden – sie ist eine Chance, innezuhalten und über das «Hier und Jetzt» nachzudenken. Dazu braucht es Texte von heute und nicht von vorgestern.
Auch in «hölle himmel» stehen Musik und Text in Wechselwirkung. Was hat wann Vorrang?
Heinz Holliger ist es gelungen, Kurt Martis Text besser zu verstehen. In «das müllen ist des menschen lust» bearbeitet Holliger «das Wandern ist des Müllers Lust» aus Schuberts Liederzyklus «Die schöne Müllerin». So etwas hat Signalcharakter. Holliger «vermüllt» dieses Lied ganz im Sinne Martis: «müllenium müllenium, so müllen wir einander um»! Das sind starke Bezüge zwischen Text und Musik, die einen nicht kalt lassen.
Wie hat sich Ihre Interpretation dieser Musik und Texte entwickelt?
Zuerst lese ich die Texte immer ohne Musik. Ich denke über den Inhalt nach und träume, wie es klingen würde, wenn ich den Text selbst vertonen würde. Dann schaue ich mir die Partitur an und versuche, mir die Musik vorzustellen. Es hilft mir, Teile davon am Klavier zu spielen. Holligers Vertonung unterstützt mich, Martis Gedichte noch besser zu verstehen. Das ist selten so. Viele Komponisten scheuen sich, gute Texte zu vertonen, denn was soll man noch komponieren, wenn der Text schon einzigartig ist? Kurt Marti und Heinz Holliger haben die gleiche DNA, das spürt man sofort. Martis Text geht unter die Haut. Kombiniert mit Holligers Klängen geht so richtig die Post ab!
Warum ergänzen Sie Ihr Konzert mit barocker und romantischer Chormusik?
Marti war den alten überlieferten Texten aus der Bibel sehr verbunden. Er hat sie immer wieder neu gedeutet. Bereits die ersten Zeilen der Gedichte verraten, auf welches Original er sich wohl bezieht. «Singet dem Herrn, der nie eine Uniform trägt» ist bestimmt eine Anspielung auf Psalm 98 «Singet dem Herrn ein neues Lied». Ebenso selbsterklärend ist das Gedicht «Mutter unser». Es war für mich sehr reizvoll, solche Analogien zu finden und zu benennen. Ich habe bewusst verschiedene musikalische Epochen gewählt, um zu zeigen, dass wir uns seit Menschengedenken mit denselben Fragen beschäftigen, sie aber dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend beantworten. Das muss dann auch anders klingen.
Was macht Heinz Holligers «hölle himmel» mit Ihnen?
Sehr viel! Es ist beängstigend und grenzt an Science-Fiction, wie Kurt Marti das Weltgeschehen vorausgesehen hat. Seine Gedichte sind für mich Gebete geworden. Wer selbst keine Worte mehr findet, wofür auch immer, soll sich von Marti inspirieren lassen.
hölle himmel
ich glaube nicht
an die hölle enggläubiger christen
ich glaube nicht
an die hölle bornierter fundis
doch bleibt mir im ohr
was ein kluger jude gemurmelt:
«es muss eine hölle geben
– wo wäre sonst hitler?
es muss einen himmel geben
– wo wären sonst die vergasten?»
ich glaube
dass schmerz und gedächtnis heilig
ich glaube
dass sie weltenschwer wiegen
auf der waage des höchsten
und des gerechten
«hölle himmel»
Die Basler Madrigalisten gehen unter der Leitung von Raphael Immoos den Assoziationen Kurt Martis in Heinz Holligers zeitgenössischem Chorwerk nach und ergänzen es mit barocker achtstimmiger Musik und einer romantischen Doppelchor-Motette.
Konzert: Freitag, 8. März, 19.30, Basilika Dreifaltigkeit, Bern