Hirtenbrief 2025: Auf dem Weg der Hoffnung

Hirtenwort zum Fest der Darstellung des Herrn 2. Februar 2025.

 

Liebe Geschwister in Christus 

Das Jahr 2025 ist etwas Besonderes: Es ist ein Heiliges Jahr, ein Aufruf, aufzubrechen und zu pilgern. Das hört sich interessant an, doch es ist wenig konkret. Wohin sollen wir aufbrechen? Wozu und mit wem? 

Um es vorweg zu nehmen: Viele Ziele sind möglich, denn eine Pilgerreise ist nicht allein eine physische Bewegung von einem Ort zum anderen, sondern vor allem eine tiefe geistliche Erfahrung, die uns Gottes Gegenwart bewusster macht und uns näher zueinander bringt. Durch diese Erfahrung werden wir zu aktiven Pilgerinnen und Pilgern der Hoffnung für diese Welt.
 


Im heutigen Evangelium zum Fest Darstellung des Herrn ist passend dazu von einer Reise zu lesen. Der Bund, der Gott mit seinem Volk eingegangen ist, erfüllt sich, als der kleine Jesus von seinen Eltern in den Tempel, das Haus Gottes, gebracht wird. Dort begegnet die junge Familie dem Propheten Simeon und der Prophetin Hannah. 

Die beiden freuen sich riesig über das kleine Kind. Für Simeon erfüllt sich sein innigster Wunsch. Seine Hoffnung trog nicht: Der Messias wurde geboren und Simeon durfte ihn mit eigenen Augen sehen! 

Simeon und Hannah segnen die Eltern und das Kind und Hannah verkündet der ganzen Welt die Frohe Botschaft. Mit diesem Segen kehrt die junge Familie nach Hause zurück. Die kleine Pilgerreise zum Tempel nach Jerusalem schenkt ihnen die feste Gewissheit, dass sie nicht alleine unterwegs sind, sondern dass Gott mit ihnen ist und ihr Leben segnet. 

An dieser Gewissheit – ihrer Hoffnung – lassen sie auch andere teilhaben. Dadurch schaffen sie ein Stück heile und friedliche Welt – egal, wo sie gerade sind und wie turbulent es um sie herum gerade ist. 
 


Die Bibel ist voll von solchen Pilger- und Heilsgeschichten. Alle sagen uns: Wir sind Kinder Gottes, irgendwo brennt immer ein Funke Hoffnung in uns. Jesus ist uns dabei das Modell, denn wo auch immer Jesus hinging und was er tat, er brachte den Menschen neue Hoffnung. Dafür war Jesus in seinem Leben viel unterwegs, lehrte, heilte und brachte Segen in der Form von ermutigenden, freundlichen oder tröstenden Worten und Taten.

Auch nach dem Tod von Jesus begegnen uns Menschen unterwegs, zwei Pilger, die auf dem Weg nach Emmaus sind. Die beiden Jünger sind enttäuscht und ohne Hoffnung, weil Jesus gestorben ist. Doch auf ihrem Weg durch die Wüste begegnen sie einem – zunächst – fremden Mann, dem sie ihr Leid klagen. Dieser Fremde gibt ihnen eine Antwort und erzählt ihnen, wie Gott sein Volk führt und begleitet. 

Das begeistert sie so sehr, dass ihre Herzen «brennen». Zarte Hoffnung keimt in ihnen auf. Später, beim Brechen des Brotes, erkennen sie in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten den Fremden als den, der er ist: der auferstandene Jesus. Ihre Hoffnung wird real. Jesus Christus wird zum Garanten ihrer Hoffnung und lässt sie zuversichtlich in die ungewisse und bedrohliche Zukunft schreiten.
 


Um diese Freude und Gewissheit der Jünger zu erleben, haben auch wir aufzubrechen. Unsere Ängste, Not, Trauer, enttäuschte Hoffnung, alles darf mit. Sind wir unterwegs, können wir unsere Erfahrungen mit anderen teilen, sie Anteil haben lassen an dem, was uns bewegt. Gemeinsam geht es weiter. 

Die Pilgerziele sind von Mensch zu Mensch verschieden. Allen gemeinsam ist ein inneres Gefühl von Sehnsucht und Unruhe beim Aufbruch und ein Gefühl von Freude und Frieden beim Ankommen. Vielleicht ist das wieder zu Hause, im Kreis der Geliebten, vielleicht aber auch näher in der Beziehung zu Gott. 

Die beiden biblischen Geschichten zeigen mir, dass zum Aufbruch die Bereitschaft gehört, etwas hinter sich zu lassen und offen zu sein für die Begegnungen unterwegs – offen zu sein, um von anderen zu lernen, offen zu sein für Veränderungen. Dafür braucht es Achtsamkeit und einiges an Ausdauer, denn eine Pilgerreise kann lang und beschwerlich sein.
 


Die beiden Emmaus-Jünger hatten, als sie aufbrachen, keinen Glauben mehr. Er ist mit Jesus am Kreuz gestorben. Sie waren enttäuscht, aber sie gaben nicht auf, sie gingen weiter, waren offen für Begegnungen mit Fremden, suchten nach Antworten auf ihre so drängenden Fragen – und sie begegneten auf diesem Weg, in diesem Suchen Jesus. 

Wenn wir uns heute auf eine Pilgerreise begeben, dann wird diese später in unserem Leben Frucht tragen. Was wir erlebt haben, möchte 7 aufkeimen und sich in konkreten Taten der Nächstenliebe umsetzen. Damals wie heute gibt es viele Gelegenheiten, anderen Menschen durch Taten der Liebe und des Mitgefühls Hoffnung zu schenken, sei es durch die Unterstützung von Bedürftigen, das Engagement in Kirche und Gesellschaft oder einfach durch ein freundliches Wort und ein offenes Ohr für die Sorgen unserer Mitmenschen.

Jede kleine Geste der Liebe kann einen grossen Unterschied machen und neue Hoffnung in den Herzen der Menschen aufkeimen lassen. Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung berühren andere Menschen – und sie sind Zeugnis der lebendigen Hoffnung, die in uns wohnt. Christinnen und Christen sind dazu aufgerufen, Friedensstifterinnen und Friedensstifter zu sein: Zuversicht, Umkehr und innere Erneuerung für diese so unfriedliche Welt. 
 


Wieso braucht es dazu ein Heiliges Jahr? Das hat damit zu tun, dass wir Menschen im Alltag oft so sehr in Beschlag genommen sind, dass wir immer wieder vergessen, was unserer Welt fehlt und doch wichtig und nötig ist: Es ist Gerechtigkeit und – damit verbunden – Frieden und Hoffnung.

Gerechtigkeit liess und lässt oft zu wünschen übrig. Das alte Israel feierte deshalb alle fünfzig Jahre ein Jubeljahr, von dem man erwartete, dass die Geschichte einen neuen Anfang mache. Man verteilte das Land und die Güter neu, so dass alle wieder dieselben Startbedingungen hatten. 

Im Mittelalter nahm die Kirche diesen Gedanken auf und führte mit der Zeit den Rhythmus von 25 Jahren ein. Dieses radikale Aufgreifen vom Wunsch nach Gerechtigkeit zeigt, wie wichtig es ist, sich regelmässig auf die lebenswürdige Existenz aller Menschen und der ganzen Schöpfung zu besinnen. 

Das Heilige Jahr regt zu einem mutigen Aufbruch an, der mit einigem Wagnis verbunden ist. Worin besteht dieses Wagnis? Sich zu öffnen für neue Erkenntnisse und Begegnungen verändert uns unweigerlich, und wir wissen beim Aufbruch noch nicht, wie wir uns verändern werden oder wohin der Weg uns führen wird. 

All diese Unwissenheit braucht viel Mut von uns. Aber mit einem konkreten Ziel vor Augen wird es leichter. Vielleicht möchte ich zu einem ganz bestimmten Ort pilgern, mich auf diesem Weg selber besser kennenlernen, mich mit etwas, womit ich hadere, intensiver beschäftigen, tiefer in meine Gottesbeziehung hineinwachsen oder einfach meiner Mitwelt etwas Gutes tun. Das Heilige Jahr öffnet unser Bewusstsein für die tätige Barmherzigkeit uns selber und anderen gegenüber.
 


Und von wo aus auch immer wir aufbrechen und wohin auch immer wir unterwegs sind, wir alle sind Teil einer grossen Gemeinschaft, die durch den Glauben an den auferstandenen Jesus und die Liebe Gottes verbunden ist. 

Ich danke Ihnen, liebe Geschwister im Glauben, dass wir gemeinsam diese Wege der Hoffnung und des Friedens gehen können. Ich danke Ihnen für ihr vielseitiges Engagement, Ihr Mitdenken, Ihre Geduld und Ihr Gebet, dass die Heilige Geistkraft überall heilsam wirken kann, und ich wünsche Ihnen aus tiefstem Herzen Gottes friedenbringenden Segen.

Ihr Felix Gmür
Bischof von Basel