Taking in the sights

Luisa Costa fühlt sich als traditionelle Katholikin «toleriert, aber nicht ernst genommen». Deshalb ist sie ausgetreten. Symbolbild: iStock

Traditionelle Katholikin: «Ich bin ausgetreten»

Für Luisa Costa ähnelt die Schweizer Kirche einem Debattierclub, in dem «weltliche Ideologie den Glauben ersetzt». Die Dominanz der Laienkörperschaft empfindet sie als autoritär. Statt die Priesterweihe zu fordern, sollten Frauen sich stärker im Dienst am Nächsten engagieren.


Interview: Annalena Müller

«pfarrblatt»: Sie sind aus der Kirche ausgetreten, weil Sie die Kirche in der Schweiz als ideologisch empfinden. Was meinen Sie damit?

Luisa Costa*: Mir fehlt in der Kirche hier die Gemeinschaft miteinander und mit dem Papst. Wenn ich einen deutschsprachigen Gottesdienst besuche, habe ich oft den Eindruck, es ist ein Verein, in dem weltliche Fragen debattiert werden. Diese sind mir zwar auch wichtig, aber sie sollten nicht der Fokus der Kirche sein. Wir gehen in die Kirche, um Gott zu begegnen und im Glauben zu wachsen. Für mich ist diese Situation in der Schweiz schwierig, weil ich möchte, dass meine Kinder in ihrer Muttersprache Spiritualität und Glaube erfahren und lernen. 

Warum finden Sie die Gotteserfahrung hier nicht?

Costa: Viele Gottesdienste werden von Lai:innen geleitet und oftmals wird kaum über Gott gesprochen. Stattdessen geht es um Themen wie Ökologie. In den Kindergottesdiensten singen sie über Regenbögen oder das Weltall. Aber die Kinder lernen nichts über den Glauben oder die Gemeinschaft der Kirche und wie sie darin wachsen können. Weltliche Ideologie ersetzt die Gemeinschaft im Glauben.

Das ist Ihnen zu weit weg von der kirchlichen Lehre?

Costa: Genau. Dazu kommt die Arroganz der Laien – sowohl Männer als auch Frauen. Wenn ich das Gespräch über diese Themen suche, dann heisst es oft: «Ich habe Theologie in Freiburg studiert und vielleicht verstehen Sie mich nicht.» Das wirkt sehr herablassend. Für mich ist das nicht christlich, sondern autoritär.
 


In der Schweizer Kirche wird aktuell viel über die Frauenfrage diskutiert. Finden diese Diskussionen auch in Ihrem Umfeld statt?

Costa: Natürlich. Meine Meinung als Frau und Katholikin wird immer ernst genommen. Nur in der Schweizer Kirche nicht. Da sagt man mir, dass ich nicht so päpstlich denken solle, weil ich jung bin. In meinem Umfeld haben alle Angst vor diesen autoritären Frauen und Männern. Wir nennen sie die «Achtundsechziger». Sie sind viel autoritärer als die Priester, die sie kritisieren. Die Priester respektieren meine Meinung. Es sind die Achtundsechziger, die sie nicht akzeptieren.

Welche Rollen können Frauen und Lai:innen Ihrer Meinung nach in der katholischen Kirche haben?

Costa: Sehr viele. Der Priester ist für die Sakramente und als geistlicher Vater für uns da. Aber die Kirche ist so viel mehr als Priester. Ich engagiere mich ehrenamtlich, seit ich 14 bin. In Lateinamerika, wo ich herkomme, habe ich mit Waisen, mit Opfern von sexuellem Missbrauch und mit Drogenabhängigen auf der Strasse gearbeitet. Ich habe ihnen die Haare geschnitten, ihnen Essen gegeben, ihnen zugehört und mit ihnen über Gott gesprochen. An meiner Universität war ich verantwortlich für den Pastoraldienst. Mit zwei befreundeten Personen begann ich, Rosenkranzgebete zu organisieren. Am Ende waren wir 40 junge Leute zwischen 20 und 22 Jahre, die sich regelmässig zum Beten getroffen haben. Als Laiin und als Frau kann und sollte man also sehr viel in der Kirche machen. 

Wie nehmen Sie die Situation hier wahr? 

Costa: Ich engagiere mich auch hier in Bern im humanitären Bereich. Und wissen Sie, die Frauen, die nach dem Priesteramt rufen, sehe ich dort nie. In dem Projekt, in dem ich arbeite, sind wir nur fünf Personen. Wir bräuchten viel mehr Freiwillige, aber niemand möchte sich engagieren. Sie wollen predigen und Macht haben, aber sie wollen den Bedürftigen nicht dienen, schon gar nicht ehrenamtlich.

Obwohl Sie sich weiter engagieren, sind Sie ausgetreten… 

Costa: Aus der Schweizer Kirche, ja. Ich fühle mich hier wirklich als Ausländerin: toleriert, aber nicht ernst genommen. So ist es hier auch mit dem Papst. Rom wird toleriert, aber nicht ernst genommen. Aber ich bin natürlich trotzdem voll katholisch. Ich liebe Jesus und seine Kirche. Ich bin nur kein Mitglied der Schweizer Kirche, weil ich diese ideologische Ausrichtung, die sich von Rom distanziert, nicht unterstützen kann. 

Sie haben Ihre Kritik an der Schweizer Kirche sogar Papst Franziskus vorgebracht. Wie hat der Papst reagiert?

Costa: Der Papst liebt die Schweiz und er betet für sie. Er hat die Schweiz im Herzen. Ja, er arbeitet mit uns und für uns. 

Wie sollte man Ihrer Meinung mit dem Priestermangel umgehen?

Costa: Ich merke wenig von einem Priestermangel. Ich habe oft erlebt, dass der Priester anwesend ist, aber die Laiinnen und Laien den Grossteil der Messe gehalten haben. Es gibt genügend Priester. Man braucht schliesslich nicht für jeden Gläubigen einen Priester. Jesus hat es doch gezeigt: Ein Priester reicht für viele.

Was wünschen Sie sich für die Kirche Schweiz? 

Costa: Ich wünsche mir diese Gemeinschaft, den Enthusiasmus, die Authentizität und die Freude am Glauben, die ich überall auf der Welt erlebt habe und die hier so blockiert ist wegen des Autoritarismus der Laien. Natürlich kann man sagen, dass wir nicht auf den Papst hören wollen. Aber dann gründen wir eine andere Kirche – das wäre kein Problem. Es gibt viele Kirchen ohne Papst. Aber wenn wir sagen, dass wir römisch-katholisch sein wollen, dann müssen wir uns entsprechend verhalten. Viele hier sagen, dass zentrale Punkte des katholischen Glaubens der Vergangenheit angehören, zum Beispiel der Zölibat, das männliche Priestertum oder die Beichte. Sie wollen die Schönheit und Wahrheit hinter diesen Punkten nicht sehen. Das macht mich traurig, denn ich habe die Schönheit und Wahrheit dieser Erfahrungen gemacht. Und meine Erfahrung, wie die so vieler anderer junger Menschen, die ich kenne, wird von der Realität der Schweizer Kirche unterdrückt.
 

* Luisa Costa ist ein Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

 

Zur Person


Luisa Costa ist 32 Jahre alt und hat Jura studiert. Als Missionarin und Freiwillige war sie in verschiedenen Ländern in Lateinamerika, Asien und Europa tätig. Seit sechs Jahren lebt sie in der Schweiz. Sie ist verheiratet und Mutter von drei kleinen Kindern. Die Familie wohnt in Bern.