Anne Durrer (1962), Doktorat in Pharmazie, Bachelor in katholischer Theologie, PR-Fachfrau. Sie ist in der Nähe von Genf aufgewachsen und wohnt in Bern. Foto: Pia Neuenschwander
«Ich freue mich auf die Zeit ohne Etiketten»
Ein Gespräch mit Anne Durrer, Generalsekretärin der AGCK, zur Gebetswoche für die Einheit der Christen und ihren eigenen Erfahrungen mit Ökumene.
Anne Durrer ist seit August 2017 Generalsekretärin der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK. In einem Teilpensum arbeitet die Katholikin auch noch für den Kommunikationsdienst des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes und präsidiert nebenamtlich die Herausgeberschaft des katholischen Berner «pfarrblatt». Wir trafen sie vor der Gebetswoche für die Einheit der Christen zum Gespräch.
Interview: Jürg Meienberg/Andreas Krummenacher
«pfarrblatt»: In allen christlichen Kirchen wird gesagt, es sei ein Skandal, dass die Christenheit in verschiedene Konfessionen getrennt sei. Die Verantwortlichen bewegen sich in entscheidenden Fragen, wie die über die Abendmahlgemeinschaft, allerdings wenig. Ist das nicht frustrierend für Ihre Aufgabe?
Anne Durrer: Ich glaube, es hat grosse Fortschritte gegeben nach dem zweiten Vatikanischen Konzil. Danach haben sich die Kirchen mit theologischen Fragen beschäftigt, die die Kirchen seit der Reformation beschäftigten, wie Ämterverständnis, Eucharistie und so weiter. Da wurde viel erreicht. Aber es stimmt, es gibt immer noch mehrere Kirchen, die die Anregung Jesu an seine Jünger, dass «alle Eins seien damit die Welt glaube» durch Hindernisse erschweren, zum Beispiel, dass konfessionsunterschiedliche Paare nicht gemeinsam die Kommunion empfangen können. Und es gibt nach wie vor die Schwierigkeit einzelner Kirchen, dass sie die anderen nicht als Kirche anerkennen.
Sie selbst sind eine Grenzgängerin. Was für Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die Ökumene ist mir in die Wiege gelegt. Ich bin in Genf geboren und im Waadtland gross geworden, zu einer Zeit, als wir Katholiken stark in der Minderheit waren. Der Religionsunterricht wurde an den Schulen durch einen reformierten Pfarrer gehalten, die katholischen Kindern durften sich entschuldigen lassen.
Meine Mutter fand allerdings, dass mir ein reformierter Religionsunterricht nicht schade und schickte mich hin. Ich war dann die einzige Katholikin, weil sich meine drei katholischen Schulkamerad*innen dispensieren liessen. Ich habe in diesem Unterricht die Bibel entdeckt und das hat mir wahnsinnig gut gefallen.
Wie war das, als einzige Katholikin?
Nun, das entwickelte in mir einen gewissen Kampfgeist. Ich hörte oft, «wir Reformierten sind und haben…», alle meine Schulkamerad*innen waren natürlich reformiert, das war verständlich. Trotzdem hat es in mir das katholische Bewusstsein geweckt aber auch die Erfahrung der «Minderheit sein» zu spüren gegeben. Später dann, unter Jugendlichen, war ich mit gläubigen Reformierten befreundet, nahm wahr, wie sie über Christus und Glauben sprachen. Bei meiner ersten Kommunion wurde nicht so explizit über Christus gesprochen.
Den Religionsunterricht bei den Katholiken haben Sie zusätzlich besucht?
Ja, bis zur ersten Kommunion. Was mich katholischerseits geprägt hat, war die Fastenzeit und das Fastenopfer. Wir verzichteten ab und zu auf ein zVieri oder auf die Schokolade und spendeten dafür einen Franken in das Fastenopfersäcklein. Das hat mein ethisches Bewusstsein geprägt.
Sie haben Pharmazie studiert, sind im Kommunikationsteam beim Evangelischen Kirchenbund, sind jetzt Generalsekretärin der AGCK, sind Präsidentin des römisch-katholischen Berner «pfarrblatt». Das ist doch eine geballte Ladung ökumenisch geprägter Religion.
Zwischen Stuhl und Bank zu sitzen, scheint mein Los zu sein. Als Westschweizerin hier in Bern bin ich auch manchmal irgendwo kulturell und sprachlich dazwischen. Das Fremde empfinde ich heute als Bereicherung. Nach meiner Weiterbildung in Kommunikation arbeitete ich zuerst für die Krebsliga. Ich hatte häufig mit Betroffenen zu tun und habe viel von ihrem existenziellen Bangen gelernt. Die sozialen und ethischen Fragen wurden mir immer wichtiger. Deshalb engagierte ich mich auch für Justitia et Pax, der Kommission der Schweizer Bischöfe.
Die AGCK, der sie nun als Generalsekretärin angehören, wurde 1971 gegründet. Was war damals die Motivation?
Die Idee als Antrieb war, dass man Schwierigkeiten und Unterschiede gemeinsam diskutieren sollte, dass es ein Gremium gibt, das diese Gespräche fördern kann. Es sollte nicht nur auf der Weltkirchenebene diskutiert werden, sondern auch innerhalb der Regionen. Die AGCK hilft hier gegenseitiges Verständnis zu wecken. Ich freue mich auf eine Zeit, in der Etiketten nicht mehr wichtig sind.
Bei einem Dossier, der «Taufanerkennung», ist der Fortschritt in der Schweiz ersichtlich. Beim Dossier «gemeinsames Abendmahl» herrscht Blockade. Stimmt dieser Eindruck?
Ja, es sind sechs Kirchen, die sich verpflichtet haben, die Taufe der anderen Kirche anzuerkennen. Das ist ein wichtiger Schritt. Das gemeinsame Abendmahl ist ein weltweites Dossier, es braucht das Einverständnis des Vatikans, nicht nur der Bischöfe.
In dieser Amtszeit hat mit Weihbischof Denis Theurillat ein römisch-katholischer Bischof den Vorsitz. Ist es nicht schwierig, dass eine grosse Kirche, die offenbar keine Kompromisse eingeht, seit Jahren wichtige Dossiers blockiert, der AGCK vorsteht?
Ohne römisch-katholische Kirche wäre die AGCK undenkbar, ist sie doch ein wichtiger Teil der Religionslandschaft in der Schweiz. Die AGCK arbeitet lokal – im Vergleich zur Weltkirche - und gut mit der römisch-katholischen Kirche. In der Schweiz ist vieles möglich, kirchlich aber auch im Dienst an der Gesellschaft. Die römisch-katholische Kirche ist vielfältig, wie die Bistümer und die Pfarreien. Wir müssen den Spielraum, den es gibt, besetzen und diese Vielfalt leben.
Bleibt es nicht trotzdem schwierig, wenn die römisch-katholische Kirche den Reformierten das Kirche-Sein abspricht, wie im Dokument «Dominus Iesus» aus dem Jahr 2000.
Das Dokument aus Rom hat damals bei den Reformierten hohe Wellen geschlagen. Es geht dabei nicht nur um die Reformierten, es gibt auch andere Kirchen, die hier gefordert sind. Eine Ökumene der Beziehung – des Kennen- und Schätzenlernens der anderen – ist gerade für die schwierigen Dossiers dienlich.
Hat das Reformationsjubiläum etwas verändert?
Für mich und viele war der Gottesdienst «600 Jahre Niklaus von Flüe – 500 Jahre Reformation» am 1. April 2017 in Zug ein nachwirkender Anlass mit gegenseitigen Entschuldigungen und Gebet für Vergebung. Zwar gab es keine Eucharistie, aber das gemeinsame Teilen des Brotes brachte die grosse Sehnsucht nach mehr zum Ausdruck. Es gibt in der Ökumene einen neuen Ansatz: Das Fundament, das Verbindende, Christus, soll wieder klar ins Zentrum rücken. Die theologischen Unterschiede werden dann zweitrangig. Diese Ökumene betrifft nicht nur die Profis.
Ist es nicht die Crux der Geschichte? Wenn Christus ins Zentrum rückt, sind die Unterschiede doch zweitrangig. Da ist die Suche nach einer einheitlichen Spiritualität reine Worthülse.
Es geht nicht um eine einheitliche Spiritualität, sondern um ein glaubwürdiges christliches Zeugnis in der heutigen Welt. Es gibt und es wird sie weiterhin geben: unterschiedliche Frömmigkeitsstile, die für die nicht Gewohnten manchmal fremd sind, übrigens auch innerhalb der eigenen Tradition. Es braucht Orte, wo man sich begegnet, wo man erlebt, wie die anderen beten und ihren Glauben leben. Und diesen «Ort» bietet beispielsweise die Woche für die Einheit der Christen, immer im Januar.
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wird jedes Jahr gefeiert. Man hat sich an sie gewöhnt. Hat sie wirklich noch Kraft, auf die Einheit der Christen einzuwirken?
Die Kraft kommt von der Art und Weise, wie sie lokal Jahr für Jahr umgesetzt wird. Sie wird ja weltweit gefeiert, in der südlichen Hemisphäre um Pfingsten, weil der Januar Ferienzeit ist. Einmal pro Jahr wird man für die fehlende Einheit gemeinsam und weltweit beten. In jedem Jahr übernimmt ein anderes Land die Vorbereitung der Liturgie, 2018 die Karibik. Es erinnert uns daran, dass wir in die Weltkirchen eingebunden sind. Ich hoffe, dass es viele Gemeinden anregt, mit anderen Kirchen zu feiern.
Überlegt sich die AGCK auch, Menschen anzusprechen, die keine Gottesdienste mehr besuchen?
Aber ja. Seit 2008 verleihen wir das «Oecumenica-Label». Dieses Label zeichnet Projekte aus, die beispielhaft ökumenisch konzipiert und durchgeführt werden und öffentlich wirksam sind, z.B. die Fastenkampagnen, eine theologische Ausbildung für Laien oder die Gefängnisseelsorge in Genf, ein ökumenischer Chor in Freiburg oder der Auftakt zur Schöpfungszeit in St. Gallen. Im Januar 2018 wird die Gebetswache «Schweigen und Beten» während dem WEF in Davos ausgezeichnet.
Gibt es für ihren persönlichen Glauben ein Geheimnis, das Sie trägt?
Zu wissen – eher kindlich, das ist mir bewusst – dass es «jemand» dort oben gibt, der Mensch geworden ist und weiss, worum es geht. Ich habe den Eindruck, es gibt irgendwo einen Sinn. Dieser ist im Alltag nicht einfach zu finden. Aber diese Haltung gibt mir die Möglichkeit loszulassen. Ich lege meine Sorgen in die Hände von Gott und kann weiterleben. Das trägt mich. Und dazu kommt die geistliche Musik, die nur von Gott inspiriert werden konnte. Sie verleiht mir geradezu Flügel.
Die AGCK ist die einzige national tätige ökumenische Plattform in der Schweiz. Zwölf Kirchen sind Mitglied. Sie ist ein Verein gemäss ZGB Art. 60 und wurde am 21. Juni 1971 gegründet. Die AGCK ist assoziiertes Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf und arbeitet mit den Arbeitsgemeinschaften der christlichen Kirchen in Europa zusammen. Die Plenarversammlung der AGCK kommt zweimal jährlich zusammen. Das Präsidium trifft sich viermal jährlich. Das Präsidium wechselt alle zwei Jahre, zwischen der reformierten, der römisch-katholischen und den kleinen Kirchen. Das Generalsekretariat ist mit 50 Stellenprozenten dotiert. Der Hauptsitz ist in Bern.
Weitere Infos
Pfarrblatttipp: Gebetswoche für die Einheit der Christen
Der Vatikan zur Gebetswoche