Die Kirchentüren stehen offen. Bleiben oder Gehen, das ist die Frage. Foto: KNA

«Ich muss es hören, damit ich etwas tun kann»

06.06.2023

Das Thema «Missbrauch» bewegt die Leserschaft

Wie geht es Ihnen angesichts der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche? Diese Frage stellte «pfarrblatt»-Redaktorin Sylvia Stam kürzlich in einem Kommentar, der als Editorial in der Printausgabe erschien. Das Thema bewegt, wie die Antworten zeigen.   

von Sylvia Stam 

Das Thema Missbrauch und der Umgang der Kirche damit bewegen die Gemüter unserer Leserschaft heftig. Rund zwei Dutzend Antworten sind eingegangen, von engagierten Pfarreimitgliedern, gläubigen Eltern und Grosseltern, Pfarreiangestellten und Pastoralraumleitenden und von Menschen, die selber sexuelle Übergriffe erlebt haben.  

Kirchenaustritt oder nicht?

«Zuerst denke ich an die betroffenen Opfer und deren Leid, das oft ihr Leben veränderte, so dass sie bis heute darunter leiden müssen», schreibt ein Leser, der als Psychologe auch mit Täter:innen arbeitet.  

Sehr viele weitere Leser:innen machen ihrem Leiden an dieser Kirche Luft. «Ich werde in diesem Jahr aus der katholischen Kirche austreten», schreibt ein 71-jähriger Mann, den ich hier stellvertretend für andere zitiere. Im Kirchenaustritt sieht ein weiterer Leser jedoch «eine Art (bequeme) Flucht, um nicht mitverantwortlich zu sein.» Bestraft würden dadurch die Gläubigen in einer Pfarrei und nicht die Missetäter:innen. «Wir Gläubige können durch unsere Proteste und unseren Einfluss auf die Kirchenleitung am stärksten Wirkung zur Verhaltensänderung und zur Änderung der Organisation - Frauenordination, Abschaffung der Zölibatspflicht u.a. -  erreichen». Der Ruf nach solchen Reformen wird in den meisten Antwortschreiben vehement vorgebracht.   

Doch viele erzählen auch von den guten Gründen, weshalb sie Mitglied dieser Kirche bleiben: «Ich bekomme Respekt, Wohlwollen, darf wertfrei denken, kritisch sein und hinterfragen, darf hadern, und trotzdem bin ich noch immer bedingungslos angenommen», schreibt eine Frau, die in der Kirche tätig ist. Andere sprechen von der Heimat, die sie in den Ritualen der katholischen Kirche finden. «Auch ganz viele soziale Strukturen werden durch die Kirche erhalten, die man nicht so einfach durch den Staat ersetzen kann», schreibt eine weitere Frau.  

Kinder stärken

Während ein in der Kirche tätiger Mann die Erfahrung macht, dass in den Pfarreien, die er kenne, nicht über die Missbrauchsthematik gesprochen werde, schreibt mir eine Pastoralraumleiterin (beide ausserhalb des Kantons Bern), das Thema betreffe sie und ihr Team massiv. Sie erzählt, dass sie im Religionsunterricht für die 3. Klasse eine Unterrichtseinheit zum Thema Kinderrechte entwickelt hätten. Ausserdem hängen im ganzen Pastoralraum in den Kinder- und Jugendbereichen, an den Innenseiten der Toilettentüren von Sakristeien und Pfarreiheimen Plakate, die Hilfe anbieten. «Sie können nicht nur für Kinder und Jugendliche hilfreich sein, sondern haben erfahrungsgemäss auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter:innen», zitiert sie eine Präventionsfachfrau.  

«Ich muss es hören, damit ich etwas tun kann», schreibt der oben zitierte Psychologe, und zählt auf: Wachsam sein, wie Menschen mit Kindern umgehen, ohne misstrauisch zu werden; im Umgang mit der Missbrauchsthematik Fachpersonen beiziehen, Täter:innen therapeutisch behandeln und den Opfern die für sie nötige Hilfe zukommen lassen. 

Auf die Frage, was ich als Redaktorin tun kann, schreibt eine Frau: «Rücken Sie Personen oder Geschichten ins Blickfeld, die das Herz erwärmen.» Das ist auf jeden Fall eine wichtige Aufgabe des «pfarrblatts». Doch ebenso beherzige ich: «Dranbleiben, berichten, Opfern, die das möchten, eine Stimme geben». 

Hinweis: Die Schreibenden haben der Publikation ihrer Aussagen zugestimmt.  

 

Glaube nach Gewalterfahrung 
Wie können Opfer von Gewalt im christlichen Glauben Halt finden? Was beschäftigt Betroffene? Wie können Pfarreien Missbrauchsbetroffene unterstützen? Antworten auf solche Fragen gibt eine Website, die sich an Betroffene, Angehörige und Seelsorgende richtet: www.gottes-suche.de

Kein:e Täter:in werden
An folgende Institutionen können sich Menschen anonym wenden, die eine gewisse sexuelle Neigung gegenüber Kindern verspüren: www.kein-taeter-werden.ch; www.beforemore.ch  


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