«Ich segne Menschen und Beziehungen»
Die erste Pfarrerin der queeren Community
Auf der Kanzel politische Propaganda für die Ehe für alle machen? Das liegt Priscilla Schwendimann fern. Umso näher ist die reformierte Pfarrerin der queeren Community – für die sie sich mit einem eigens dafür geschaffenen Pfarramt einsetzt. Anfang August hat sie es angetreten.
Von Marcel Friedli
Die Zeit total vergessen, ganz versinken – absolut aufgehen im Tun, das zum Sein wird: Flow erlebt Priscilla Schwendimann hie und da. Dass aus einer halben Stunden ganze zwei Stunden werden – aufgehoben in Raum und Zeit.
Die 28-jährige Pfarrerin geht vollkommen in ihrer Aufgabe auf. Anfang August ist diese noch farbiger geworden: Sie ist so bunt wie der Regenbogen, der sich übers Himmelszelt wölbt. Unter ihm vereint sich Vielfalt: lesbische, schwule, bisexuelle, intersexuelle und trans Menschen sowie Personen, die sich zwischen den Geschlechtern verorten. Man bezeichnet sie LGBTIQ+ oder als queer.
Angst vor Ablehnung
Das Bedürfnis nach Seelsorge bei ihnen ist gross, wie Priscilla Schwendimann weiss. «Auch wenn unsere Gesellschaft offener geworden ist für die Vielfalt des Liebens», sagt sie, «kommt man als LGBTIQ+-Person kaum umhin, das Abweichen von der Norm im kleineren oder grösseren Kreis öffentlich zu machen. Dies ist meist mit Ängsten verbunden, dass man abgelehnt, zurückgestossen wird.»
Bei Menschen, bei denen Spiritualität, Religion und Kirche eine zentrale Rolle spielen, kommt ein belastender Faktor dazu: die Angst, auch von Vertreter*innen der Kirche abgelehnt zu werden, die sich auf Dogmen und Bibelstellen beziehen und die Verbindung von Menschen ablehnen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen.
Nicht selten kommen Menschen zu Priscilla Schwendimann, denen entsprechende Verletzungen zugefügt worden sind. «Darum gilt es, sensibel und liebevoll mit ihnen umzugehen und zu betonen, dass Gott alle Menschen exakt so liebt, wie sie sind.» Oft haben queere Menschen eine starke spirituelle Sehnsucht. Mit ihrem Kollegen Benjamin Hermann eruiert die Pfarrerin zurzeit die spirituellen, religiösen Bedürfnisse der Community. «Es ist uns wichtig, niemandem etwas aufzupropfen. Ein Ansatz ist allenfalls, die Bibel aus queerer Sicht zu lesen. Zudem besteht der Wunsch, gemeinsam Gottesdienst zu feiern.»
Fulminanter Start
Der Start in ihre neue berufliche Ära fällt in die Diskussion zur Ehe für alle, über die am 26. September abgestimmt wird (vgl. Box 3). Es ist kein Geheimnis, dass Priscilla Schwendimann als LGBTIQ+-Pfarrerin die Ehe für alle befürwortet – zumal sie selber mit einer Frau in einer registrierten Partnerschaft lebt.
«Menschen sind Beziehungswesen. Das ist nicht fix an Mann und Frau gekoppelt», betont sie. «Ich segne Menschen und Beziehungen, in allen Konstellationen. Entscheidend ist, sich liebevoll aufeinander einzulassen, miteinander einen gemeinsamen Weg zu gehen.»
Durch ihr neues Amt, die politische Aktualität und ihre frische, farbige Art erhält Priscilla Schwendimann in den Medien Plattformen: diskutiert im Fernsehen, nimmt an Podiumsdiskussionen teil. Diesen Einsatz trennt sie jedoch von ihren Auftritten in der Kirche. «Politik gehört nicht auf die Kanzel. Es liegt mir fern, diese Rolle zu missbrauchen, um Einfluss auf Abstimmungen zu nehmen.»
Abseits der Kanzel ist ihr Engagement deutlich. Priscilla Schwendimann betont, wie wichtig es sei zuzuhören – auch jenen Menschen, die anderer Meinung sind. «Andere Ansichten soll man nicht totschweigen, alle haben das Recht, sich zu äussern, auch ihre Ängste und Bedenken.»
Sie kann damit leben, dass auch in ihrer Kirche einige gegenüber der Ehe für alle skeptisch eingestellt sind. «Wir sind eine Landeskirche. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle in allem gleich denken. Gehen wir trotzdem offen aufeinander zu, ohne einander zu verurteilen, ist ein Austausch möglich.»
So konziliant das klingen mag: Verbergen kann sie nicht, dass Ärger in ihr hochkriecht, wenn sie diese Offenheit nicht spürt. Zum Beispiel, wenn man das Wohl des Kindes ins Feld führt, dem man in gleichgeschlechtlichen Ehen nicht gerecht werden könne – und Priscilla Schwendimann das Gefühl hat, es handle sich dabei um einen Vorwand: um zu kaschieren, dass man prinzipiell gegen die Ehe für alle sei. «Entscheidend ist doch die Beziehungsqualität, nicht das Geschlecht. Wird die Ehe für alle eingeführt, sinkt die Gefahr, dass Regenbogenkinder gehänselt werden. Zudem wird damit eine gesellschaftliche Realität durch einen gesetzlichen Rahmen gestützt: Es ist dann nicht mehr exotisch, wenn man zwei Mütter oder zwei Väter hat. Auch werden die 30 000 Regenbogenkinder in der Schweiz rechtlich und materiell abgesichert.»
Katholischer Support
Priscilla Schwendimann begrüsst katholische Ansätze zur Offenheit gegenüber schwulen Menschen, wie die Regenbogenpastoral im Bistum Basel. Dass es kein katholisches Pendant zu ihrer Stelle gibt, bedauert sie, kann es jedoch nachvollziehen: «Die katholische Kirche funktioniert etwas anders als die protestantische. Eher von oben nach unten. Und sie ist eine Universalkirche mit zentraler Leitung.» (vgl. Box 2) Sie erfahre jedoch viel Unterstützung von katholischer Seite: nicht nur ideeller, sondern auch finanzieller Art; zum Beispiel für einen queeren Anlass nächstes Jahr in Zürich. «Zudem gibt es viele katholische Menschen, die sich in der Basis engagieren», sagt Priscilla Schwendimann. «Das war spürbar beim Aufschrei, den es gab, als der Papst das Segnen gleichgeschlechtlicher Paare ablehnte.»
Die evangelisch-reformierte Kirche Schweiz befürwortet die Ehe für alle. Trotzdem sind längst nicht alle protestantischen Pfarrerinnen und Pfarrer bereit, Zeremonien für Paare des gleichen Geschlechts durchzuführen. «Das finde ich schade und respektiere, wenn dies jemand nicht macht. Für alle Beteiligten muss es stimmen.»
Solche Segnungsfeiern gab es in reformierten Kirchen vor knapp dreissig Jahren zum ersten Mal. Auch Priscilla Schwendimann hat die Beziehung mit ihrer Partnerin in der Kirche untermalt. Gibt es nochmals ein kirchliches Zeremoniell mit ihrer Frau, falls die Ehe für alle Ende September angenommen wird? «Das diskutieren wir zurzeit», sagt sie verschmitzt. Doch jetzt will sie weiter – zum nächsten Seelsorgegespräch.
Regenbogenpfarrerin
Seit Anfang August gestaltet die reformierte Zürcher Pfarrerin Priscilla Schwendimann mit ihrem Kollegen Benjamin Hermann ein Amt, das auf queere Menschen (siehe Haupttext) fokussiert ist. Daneben arbeitet sie als Seelsorgerin bei der Stiftung St. Jakob für beeinträchtige Menschen. Ausserdem ist sie auf diversen Kanälen von Social Media aktiv. Als Mitglied einer Freikirche hat Priscilla Schwendimann als lesbische Frau Zurückweisung erfahren. Sie ist im Ausland aufgewachsen und lebt in eingetragener Partnerschaft mit einer Juristin.
«Community ist willkommen»
Ehe für alle – Trauung für alle, auch in katholischen Kirchen? Nein. Auch bei einem Ja zur Vorlage. Denn die katholische Kirche ist eine weltweite Institution mit Guidelines, die in allen Ländern gelten. «Für die kirchliche Trauung gibt Rom den Rahmen vor», lässt sich Hansruedi Huber, Mediensprecher des Bistums Basel, in der Solothurner Zeitung zitieren. «Die LGBTIQ+-Community ist jedoch willkommen», beteuert er. «Die Kirche ist für alle da.» Schweizer Katholik*innen haben möglicherweise ab Oktober Gelegenheit, sich im Zuge der Weltsynode 2023 allenfalls auch zu dieser Frage zu äussern.
Gleiche Rechte für alle
Lassen zwei Personen gleichen Geschlechts ihre Beziehung in einer Partnerschaft registrieren, haben sie nicht die gleichen Rechte wie klassische Ehepaare: Ein Kind zu adoptieren ist nicht möglich, ebenso wenig die erleichterte Einbürgerung. Um diese Ungleichheit zu beseitigen, haben Bundesrat und Parlament über etliche Jahre die Grundlagen zur Ehe für alle geschaffen. Gegen diese Vorlage wurde jedoch das Referendum ergriffen. Deshalb hat am 26. September das Volk das letzte Wort.