Foto: Ruben Sprich

«Ich weiss, dass ich vieles nicht weiss»

01.05.2019

Ein Gespräch mit Evi Allemann, Regierungsrätin und Kirchendirektorin des Kantons Bern.

Evi Allemann (SP) ist Regierungsrätin des Kantons Bern. Sie ist Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektorin. Damit ist sie zuständig für die schrittweisen Änderungen im Verhältnis des Kantons zu den Landeskirchen. Wie sie die Verhandlungen erlebt und was sie selber glaubt, erzählt sie im Gespräch.


Interview: Andreas Krummenacher


«pfarrblatt»: Frau Allemann, was macht eine Kirchendirektorin im Kanton Bern?

Evi Allemann: Ich trage die Verantwortung für die Beziehung zwischen dem Kanton Bern, seinen drei Landeskirchen und den jüdischen Gemeinden. Aktuell unterstützt der Kanton die Landeskirchen finanziell im Umfang von 73 Millionen Franken jährlich. Dies vorab für die Entlöhnung der rund 600 Pfarrerinnen und Pfarrer. Mit dem neuen Landeskirchengesetz werden diese Anstellungsverhältnisse auf den 1. Januar 2020 in die Verantwortung der Landeskirchen übergeben. Diesen Transfer bereiten wir zurzeit zusammen mit den Landeskirchen vor. Zu diesen und allen weiteren Fragen, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche betreffen, stehen wir in ständigem Dialog.

Werden Sie künftig noch Kirchendirektorin sein oder wird diese Direktion abgeschafft?

Dem Namen nach gibt es künftig tatsächlich keine Kirchendirektion mehr: Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion wird nämlich aller Voraussicht nach «Direktion des Inneren und der Justiz» heissen. Die Verantwortung für die Beziehungen zwischen dem Kanton und den Landeskirchen bleibt aber bestehen. Sie werden weiterhin vom mir direkt unterstellten Beauftragten für kirchliche und religiöse Angelegenheiten gepflegt. Auch wenn die Personaladministration der Pfarrschaft wegfällt, warten auf den Beauftragten neue Aufgaben etwa im Umgang mit den nicht anerkannten christlichen Kirchen und den übrigen Religionsgemeinschaften.

Im Verhältnis Kirche und Staat wird vieles anders. Kirchenintern wird gerne von Entflechtung gesprochen. Gehen Ihnen die gemachten Schritte weit genug?

Es sind Schritte in die richtige Richtung. Weil sich die Gesellschaft laufend wandelt, werden auch die Gesetze immer wieder angepasst, das gilt auch für das Landeskirchengesetz. Bei der Beratung des Berichtes über das Verhältnis von Kirche und Staat haben der Regierungsrat und der Grosse Rat 2015 entschieden, dieses Verhältnis weiterzuentwickeln, ohne eine radikale Trennung vorzunehmen. Das neue Gesetz gibt den Landeskirchen mehr Autonomie als bisher.

Im Bereich der Ausbildung und der drei staatlichen theologischen Prüfungskommissionen behält aber der Kanton nach wie vor die Hoheit. Ich kann mir vorstellen, dass in einigen Jahren die Kirchen auch in diesem Bereich mehr Autonomie erhalten und es keine staatlichen Prüfungskommissionen mehr braucht. In allen anderen Kantonen und Bistümern regeln die Kirchen die Prüfungen selber. Es sind kirchliche Prüfungen. Einzig der Kanton Bern kennt noch ein Staatsexamen. (Anmerkung d. R.: Das betrifft die Ausbildung der ev.-ref. Pfarrpersonen)

Wie halten Sie es mit der Religion, woran glauben Sie?

Ich bin Agnostikerin. Ich gehe also davon aus, dass wir nicht abschliessend wissen können, ob es eine höhere Macht gibt oder nicht. Dies nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus einer Haltung des tiefen Respekts vor Allem, was jenseits der menschlichen Erkenntnis liegt. Ich weiss, dass ich vieles nicht weiss. Ich weiss, dass menschliche Erkenntnis immer nur ein Tropfen im Meer des Lebens ist. Kein Mensch, kein menschliches System, keine Kultur und keine Religion haben die ganze Wahrheit für sich gepachtet.

Wie haben Sie die Verantwortlichen der Landeskirchen in diesem Prozess erlebt? Gab es konstruktive Gespräche oder Verteilkämpfe?

Ich habe mein Amt ja erst am 1. Juni 2018 angetreten, das heisst nach der Verabschiedung des neuen Landeskirchengesetzes durch den Grossen Rat. Ich habe diesen Gesetzgebungsprozess also nicht persönlich miterlebt. Hingegen konnte und kann ich den daran anschliessenden Prozess zur Ausgestaltung der neuen Landeskirchenverordnung und der neuen theologischen Prüfungskom-missionenverordnung begleiten. Diesen erlebe ich als sehr konstruktiv. Wir können die beiden Verordnungen im Einvernehmen mit den Landeskirchen Ende April 2019 dem Regierungsrat zum Beschluss vorlegen.

Gibt es zwischen den Konfessionen in diesen Verhandlungen Unterschiede, ganz ehrlich?

Klar gibt es Unterschiede, wenn unterschiedliche Menschen an einem Verhandlungstisch sitzen. Diese sind jedoch kaum konfessionsbedingt. Aber was ich über Ihre Kirche sagen kann: Als Weltkirche ist sie verschiedene staatliche Rahmenbedingungen gewohnt – und das merkt man. Ich erlebte die Vertreterinnen und Vertreter der katholischen Kirche stets als offen und unkompliziert.

Wieso sind die Landeskirchen für den Kanton wichtig, er hat sie ja nicht abgeschafft?

Die Landeskirchen sind für viele Aufgaben direkte Partnerinnen des Kantons Bern. Anders als Vereine und Clubs, die ihre Leistungen vor allem ihren Mitgliedern anbieten, engagieren sich die Kirchen für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer sozialen oder konfessionellen Zugehörigkeit, ihres Alters oder ihres Schicksals. So verbinden sie die Menschen zu einer offenen, solidarischen Gemeinschaft. Dies kann der Staat allein nicht leisten. Schliesslich thematisieren sie Wertefragen, die für unser Leben von zentraler Bedeutung sind, und geben so vielen Menschen Halt und Orientierung.

Die Gesellschaft wird immer diverser, gleichwohl ist der Kanton Bern historisch christlich geprägt. Es wird nicht einfacher, wie wollen Sie künftig den Dialog mit den Religionen gestalten?

Dies ist die nächste grosse Aufgabe, die auf uns wartet: Wie integrieren wir Angehörige anderer Religionsgemeinschaften in unsere Gesellschaft? Wie geben wir ihnen die Möglichkeit, ihre besten Seiten zu zeigen und mit ihrem Traditionsschatz zur Gestaltung unserer Gesellschaft beizutragen. Sicher werden wir den Dialog mit den verschiedenen Religionen fortsetzen. Wir gehen nicht als Wissende, sondern als Fragende zu ihnen. Anerkennung beginnt mit Kennen, mit Kennenlernen, mit Wahrnehmen.

Wie beurteilen Sie das Haus der Religionen?

Das Haus der Religionen ist ein Leuchtturm in der Stadt Bern und weit darüber hinaus. Was dort an interkultureller und interreligiöser Verständigung geleistet wird, ist ein Modell für unsere vielfältige Gesellschaft: So wie die verschiedenen Religionsgemeinschaften in gegenseitigem Respekt im Haus der Religionen Seite an Seite zusammenleben, so sollten wir alle im Respekt vor dem Anderssein der Andern zusammenleben.

 

Evi Allemann wird zum Thema am 11. Mai ein Referat halten
Anlass ist die Mitgliederversammlung des kantonalbernischen Kirchgemeindeverbandes im Kirchgemeindehaus Geissberg, Melchnaustrasse 9, Langenthal. Der statutarische Teil beginnt um 09.30.