Im Kino: Positiv sterben

Im Dokumentarfilm «Die Tabubrecherin» setzen sich Erich Langjahr und Silvia Haselbeck mit dem Sterben auseinander. Dazu haben sie Michèle Bowley, ehemalige Gesundheitspsychologin des Kantons Zug, auf ihrem letzten Lebensabschnitt begleitet. Ihr Umgang mit dem Tod ist berührend und inspirierend.


Filmfoto: «Tabubrecherin»

 

Charles Martig*

Erich Langjahr und Co-Regisseurin Silvia Haselbeck nähern sich dem sensiblen Thema Sterben mit Respekt und Feingefühl. Sie zeigen Michèle Bowley als eine Frau, die sich bewusst mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzt. Sie legt dabei eine bemerkenswerte Offenheit und Stärke an den Tag. Der Film beleuchtet nicht nur die persönliche Reise Bowleys, sondern regt auch zu einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion über Sterben und Würde am Lebensende an.

Formal zeichnet sich «Die Tabubrecherin» durch Langjahrs und Haselbecks charakteristischen Stil aus. Wie in früheren Werken lassen sie den Protagonist:innen und Ereignissen Zeit, sich zu entfalten. Die Kamera beobachtet geduldig und respektvoll, ohne zu drängen oder zu urteilen. Dieser Umgang mit der Zeit erlaubt es den Zuschauenden, tiefer in die Thematik einzutauchen und subtile Nuancen wahrzunehmen.


Die visuelle Gestaltung ist schlicht und konzentriert sich auf das Wesentliche, wodurch die emotionale Kraft des Themas in den Vordergrund tritt. Der Einsatz von Ton und Musik ist zurückhaltend, unterstützt aber wirkungsvoll die kontemplative Stimmung des Films. Eine Schlüsselszene ist die Vorbereitung der Abdankung, bei der Michèle Bowley teilnimmt. Sie hat als Musikstück «I Did It My Way» von Frank Sinatra gewählt. Der Film zeigt einen Pianisten, der der sterbenden Frau ihre Lieblingsmusik auf dem Flügel vorspielt. Sichtlich gerührt verfolgt sie den Vortrag über mehrere Minuten, bis das Stück ausklingt. Wir sehen ihre Reaktionen auf dem Gesicht.

«Die Tabubrecherin» ist ein mutiger und wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft. Der provokative Titel stammt von Bowley selbst, die die Filmarbeiten als aktiven Prozess der Verarbeitung verstand. Langjahr und Haselbeck beweisen einmal mehr das Gespür für relevante gesellschaftliche Themen und die Fähigkeit, diese mit Sensibilität und Tiefgang zu behandeln.

 


Der Film ist geprägt von Mut und Zuversicht in das Wesentliche unseres Daseins. Er schafft es, ein schwieriges Thema positiv und produktiv zugänglich zu machen, ohne dabei in Sentimentalität oder Voyeurismus abzugleiten. Besonders beeindruckend ist die Würde, mit der Michèle Bowley porträtiert wird. Ihre Offenheit und ihr Umgang mit dem eigenen Sterben sind zugleich berührend und inspirierend.

«Die Tabubrecherin» reiht sich nahtlos in Langjahrs beeindruckendes Gesamtwerk ein und unterstreicht seine Position als einer der bedeutendsten Dokumentarfilmer der Schweiz. Der Film ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über den Tod, sondern auch eine Feier des Lebens und der menschlichen Würde.


* Charles Martig ist Filmjournalist und Verantwortlicher Kommunikation der Röm.-kath. Landeskirche Bern.
 

«Die Tabubrecherin»
Der Dokumentarfilm ist am 25. Oktober um 18.00 im Kino Rex in Bern zu sehen. Anschliessend findet ein Podium mit Silvia Haselbeck und Erich Langjahr (Regie), Nicole Stutzmann (Krebsliga Bern) und Claudia Zürcher-Künzi (palliative bern) statt. Moderation: Adriano Marra.
Tickets gibt es hier.