Im Wandel der Zeit: 100 Jahre Pfadi Windrösli

Die katholische Pfadi Windrösli feiert ihr 100-jähriges Bestehen.

Die katholische Pfadi Windrösli feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Wie hat sie sich verändert? Was verbindet alte und junge Pfadis? Antworten von Aline Flückiger und René Krebs.

Text und Fotos: Vera Rüttimann

Was heute für manche altmodisch und verstaubt klingt, zieht weltweit immer noch Millionen von Menschen in den Bann: die Pfadi. Allein in der Schweiz sind über 50000 Kinder und Jugendliche bei den Pfadfindern. Eine von ihnen ist Aline Flückiger. Die 29-Jährige ist Leiterin der Pfadiabteilung Windrösli, der einzigen katholischen Pfadi in Bern. Mit sieben Jahren ist sie in die Pfadi eingetreten – und geblieben.

Werte im Wandel

Mit der Kirche habe sie nie viel am Hut gehabt, gesteht Aline Flückiger. Früher sei die Pfadi religiöser gewesen. Das habe sich in den letzten Jahren geändert. «Man hat versucht, von religiösen Begriffen wegzukommen», sagt die Korpsleiterin. Das habe heute auch mit dem integrativen Ansatz zu tun. «Für mich als junge Leiterin in Zollikofen war das schon früh ein Thema. Dort gibt es viele Menschen mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen.»

Aline Flückiger kann auf unzählige Höhepunkte in ihrem Pfadileben zurückblicken. Zum Beispiel auf das Bundeslager Contura 2008 in der Linthebene, das aus mehreren Unterlagern bestand. Oder auf ein spezielles Werwolfspiel in ihrer «Wölflizeit» in der zweiten Klasse, das mit einer Pfadi-Taufe endete. Sie erwähnt auch coole Lagerthemen wie «Asterix und Obelix», wo die Pfadis riesige Hinkelsteine schleppten.

Progressive Werte

Aline Flückiger arbeitet in einer Agentur für digitales Fundraising. In der Pfadi habe sie gelernt, Verantwortung zu übernehmen, vor Leuten zu reden und Führungserfahrung gesammelt. Diese Fähigkeiten kommen nicht von ungefähr: Mit 14 Jahren begann Aline Flückiger, Pfadigruppen zu leiten. Das war prägend: «Plötzlich war ich für zehn bis 20 Kinder verantwortlich.»

Wie ticken die vier Pfadiabteilungen des Corps Windrösli? «Alle sehr unterschiedlich», sprudelt es aus ihr heraus. «Genau das finde ich mega schön!» Was alle eint: «Wir sind nicht traditionell, sondern progressiv. Diversität und Inklusion sind bei uns sehr relevant.»

Aline Flückiger sieht die Pfadibewegung in einem stetigen Wandel. Das betreffe auch die Strukturen. Neuerdings, sagt sie, gebe es zum Beispiel die «Biberli». Diese Pfadis sind zwischen vier und sechs Jahre alt. «Man will die Kinder so früh wie möglich für die Pfadi begeistern», sagt Aline Flückiger. Sie hat für die Pfadi Frisco selbst eine Biberli-Stufe aufgebaut.

Vom Blutsbund zur Inklusion

Ortswechsel. Besuch bei René Krebs. Ein bitter schmeckender Trank, ein Nadelstich in den Finger und die Taufurkunde mit Blut unterschrieben: René Krebs erinnert sich gut an seinen Eintritt im Jahr 1966.

Mit der Pfadi Windrösli hat der ehemalige Maschineningenieur Unvergessliches erlebt. Lebhaft erinnert er sich an das Jubiläumslager 1974: «Wir waren als Indianer verkleidet. Bei einer Manitou-Messe mit Schlangenbrotkommunion rauchten wir die Friedenspfeife. Das führte zu Diskussionen.» Ausserdem hätten sie statt Zelten Tipis aufgebaut und darin Feuer gemacht. «Heute wäre das undenkbar. Wir hatten viele Freiheiten.»

Wenn René Krebs alias «Chüngu» auf das Wirken der heutigen Pfadigeneration blickt, staunt er oft. Diversität, Gender, Inklusion – die Welt ist komplexer geworden. «Heute muss man immer daran denken, alle miteinzubeziehen.» Und er fügt hinzu: «Damals gab es solche Überlegungen noch gar nicht. Ich habe mir immer gesagt: Nimm den Menschen einfach so, wie er ist!» Doch gerade mit queeren Menschen seien Fehler gemacht worden. «Dass man heute anders mit ihnen umgeht, ist ein grosser Fortschritt.»

Drive der Gründergeneration

Die Pfadi Windrösli entstand vor 100 Jahren aus einer Gruppe von Ministranten und Chorbuben. «Damals gab es in Bern keinen Verein für katholische Jugendliche. So traf sich Vikar Karl Merke mit den Buben im Wald», erzählt René Krebs. Viele Pfadis aus der Gründerzeit seien Kinder von hohen Bundesbeamten gewesen. «Einige Gründungsmitglieder habe ich noch gekannt», sagt er. Bekannte Pfadfinder seien Mani Matter und Harald Szeemann.

Die vielen gemeinsamen Erinnerungen an die Pfadi seien «ein Kitt, der Freundschaften fürs Leben schafft». Viele ältere Pfadfinder:innen treffen sich im APV (Altpfadfinderverein). Auch René Krebs kommt gern zu Anlässen ins Pfadiheim Räbacher. Jeden zweiten Samstag im Monat treffen sich die Mitglieder des APV zum Stamm im Restaurant Zunft zu Webern in der Berner Altstadt.

Unsichere Zukunft

Kommen genügend junge Pfadfinder:innen nach? Die Frage nach dem Nachwuchs beschäftigt auch René Krebs: «Die Jugendlichen wollen sich heute nicht mehr so stark in Vereinen engagieren.» Solange sie Kinder seien, könne man sie halten. «Wenn sie später Führungsaufgaben übernehmen könnten, springen viele ab», sagt René Krebs traurig. Und dann ist da noch die Sache mit der Unverbindlichkeit, die ihn stört. «Durch die vielen Freizeitangebote ist heute alles unverbindlicher geworden», bedauert der Leiter des Organisationskomitees «100 Jahre Pfadi Windrösli». Bei der Vorbereitung des Jubiläumsanlasses hätten die Jugendlichen nicht genau sagen können, wie viele Wölflis sich in einem Workshop engagieren und wie viele Pfadis dabei sein würden. «Das sind Dinge, die mir bei der Vorbereitung des 100-Jahr-Jubiläums nicht so gefallen haben», betont René Krebs.

Gemeinsam freuen sich die Mitglieder des APV nun mit den jungen Pfadis auf die Jubiläumsfeier im Pfarreizentrum Köniz. Für ihn ist die Pfadi ein toller Verein. René Krebs fasst zusammen: «Es wird extrem unterschätzt, was die Pfadi und ihre Leiterinnen und Leiter heute und in Zukunft für die Gesellschaft leisten.» Für den Bümplizer steht die Pfadi vor allem für Werte wie: Gemeinschaft pflegen, aufeinander Rücksicht nehmen und den Menschen so annehmen, wie er ist. René Krebs fasst zusammen: «Wenn alle am gleichen Strick ziehen, kann man gemeinsam mehr erreichen.»

100 Jahre Corps Windrösli: Jubiläumsfest
Samstag, 24. August, 18.00 bis 23.00, im Pfarreizentrum St. Josef, Köniz
17.00: Abendmesse in der Kirche St. Josef
18.00: Apéro
19.00: Nachtessen (Buffet) Höhepunkt: Konzert von Ueli Schmezer mit der Matterlive Band. Teilnehmen können Windrösli-Leitende und APV-Mitglieder.
www.windroesli.ch