Zahra Mahmoud, 5, aus Deir el-Zour, Syrien. Foto: Keystone, AP Photo, Muhammed Muheisen
In den Augen die ganze Welt
Das Unicef-«Foto des Jahres» zeigt das Porträt der fünfjährigen Zahra. Das syrische Mädchen kannte bislang nur Krieg und Flucht. Wir hatten schon letztes Jahr die ganze Serie des Fotografen Muhammad Muheisen im «pfarrblatt».
Muhammed Muheisen, Cheffotograf der Agentur AP für den Nahen Osten, hat in einem jordanischen Flüchtlingscamp Kinder porträtiert, die aus Syrien vor dem Bürgerkrieg fliehen mussten. Entstanden sind eindringliche Porträts von beeindruckenden Menschen. Das Unicef-«Foto des Jahres» zeigt aus dieser Serie das Porträt der fünfjährigen Zahra. Das syrische Mädchen kannte bislang nur Krieg und Flucht. Wir hatten schon letztes Jahr die ganze Serie des Fotografen von Herrn Muheisen im «pfarrblatt». Eigentlich wären die Bilder zu teuer für uns gewesen, aber im direkten Kontakt mit dem Fotografen bot er die Bilder zu sehr günstigen Konditionen an. Das Thema, so schrieb er damals in einer Email, sei ihm zu wichtig, als dass es nicht abgedruckt werde. Wir bringen hier den damaligen Artikel noch einmal:
Die Kinder schauen neugierig in die Kamera. Mit klarem Blick. Ihre Augen sind offen und hell, es scheint, als spiegle sich die ganze Welt darin. Es sind keine fröhlichen Kinder, sie haben Leid gesehen und Unbeschreibliches erlebt. Da ist nichts Leichtes, nichts Unbeschwertes, da ist kein Spiel und kein Spass. Diese Kinder sind fünf, acht, zehn Jahre alt. Und was wünschen sie sich? Was möchten sie? Es kann keine Fröhlichkeit geben, wenn man auf der Flucht ist. 4,8 Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen bislang aus Syrien geflohen. Knapp die Hälfte davon sollen Kinder sein. Sie haben ihre Heimat unter Lebensgefahr verlassen. Viele davon leben heute im Libanon oder in der Türkei. Die verletzlichsten Flüchtlinge, die Kinder, leben im Libanon in provisorischen Zeltlagern. Das Land beherbergt so 640 000 Menschen. Der Fotograf Muhammed Muheisen hat diese Lager besucht und die Menschen dort porträtiert. Die hier abgebildeten Kinder leben in der Nähe der jordanischen Stadt Mafraq. Ein Brennpunkt. Syrien im Norden und der Irak im Osten sind nur Steinwürfe entfernt.
Nach ihren Wünschen befragt, äussern die Kinder fast ausnahmslos, dass sie ihr altes Leben in Syrien vermissen. Die Menschen dort, die Plätze. Ausserdem vermissen sie die Schule. Die Antworten sind so einfach, so urmenschlich und eindringlich. Es bräuchte so wenig zumGlück und doch wird es diesen Kindern verwehrt.
Beispielsweise die elfjährige Yasmeen Mohammed. Sie floh mit ihrer Familie aus der Stadt OstGhuta nahe Damaskus. Wehmütig denkt sie an frühere Zeiten zurück. «Ich möchte bloss zurück nach Syrien und in meine Schule. Ich möchte bloss meine Freunde wiedersehen. Das ist alles», sagt sie. Yasmeen ist nicht allein. Laut einem diese Woche veröffentlichten UnicefBericht gehen fast drei Millionen syrische Kinder als Folge des Konflikts nicht zur Schule, darunter rund 700 000 Flüchtlingskinder.
Hiba So’od ist sechs Jahre alt. Sie stammt aus dem syrischen Ort Hassakeh. Sie musste fliehen, vor Terror, Bomben und Gewalt. Sie denkt an ihre Zukunft, ganz abgeklärt. Sie möchte bloss in die Schule gehen, um später einmal selber Lehrerin zu werden.
Aus fast ausnahmslos allen Antworten der Kinder spricht eine grosse Zukunftsangst, und gleichzeitig unendliche Hoffnung auf ein besseres Leben. Auch Ahmad Zughayar ist erst sechs Jahre alt. Er stammt aus Deir elZour. Seine Erinnerungen sind traumatisch. «Ich erinnere mich an das Geräusch von Bomben, welche die Häuser in Deir elZour zerstörten», sagt Ahmad.
Die Wünsche der Kinder sind nicht utopisch oder unerreichbar. Kind sein zu dürfen, ein Dach über dem Kopf, mit den Freundinnen spielen, zur Schule gehen zu können, aufzuwachsen, eine Ausbildung zu machen und vielleicht genug zu Essen zu haben. Mehr ist es nicht, und doch haben all diese Kinder nichts davon.
Ein Sprichwort sagt: «Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet ihr sie brauchen, um zu weinen.» Diese Kinder träumen bloss davon, dass das Blutvergiessen aufhört und sie zurück in ihre Heimat gehen können, um in Frieden zu leben.
Der Jüngste der hier abgebildeten ist Omar Suliman. Er ist erst fünf. Was sind seine Wünsche, fragt der Fotograf. «Ich möchte aufwachsen und älter werden», sagt er. So einfach wäre das. So einfach. Der syrische Bürgerkrieg kostete bislang 250 000 Menschen das Leben.
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