«Gott braucht mich für diesen Job», sagt Giora Feidmann. Foto: Mehran Montazer

«In den Konzerten spiele ich oft Gebete»

Der «King of Klezmer» kommt nach Bern.

«Gott gab mir das Talent, und ich mache meinen Job»: Das sagt Giora Feidman, der Magier auf der Klarinette. Der weltweit gefragte Klezmermusiker kommt demnächst in die Schweiz.

von Astrid Tomczak-Plewka

Herr Feidman, Sie werden «Klezmerkönig» genannt. Was bedeutet Ihnen dieser Titel?

Giora Feidman: Ich achte nicht auf solche Dinge, ich weiss auch nicht, woher diese Bezeichnung kommt. Wichtig ist die Bedeutung von «Klezmer». Und sie lautet: Der Körper ist ein Instrument für ein Lied.

Für viele Menschen ist Klezmer ein Synonym für jüdische Musik. Wie sehen Sie das?

Ob Jazz, Klezmer oder Tango: Alles ist Musik. Es gibt keine Klassik, keinen Jazz. Ich habe Mozart, Piazzolla und viele andere Komponist:innen gespielt und aufgenommen, aber sie alle haben die gleiche Sprache, nämlich die Musik. Es ist wie mit Farben: Blau ist Blau – es gibt kein christliches, jüdisches oder muslimisches Blau. Wenn es im Klezmer überhaupt ein Konzept gibt, dann die Freiheit, mit der Musik Freundschaft auszudrücken.

Die Klezmorim waren ursprünglich Wandermusiker. Sind Sie auch ein musikalischer Nomade?

(Lacht) Jeden Tag woanders, ja, so ungefähr. Ein Klezmermusiker ist ein Diener der Gesellschaft – und zwar im Team, dort, wo er oder sie gebraucht wird. Ich mag zwar einen Namen haben, aber auch für mich gilt das: Ich diene der Gesellschaft.

Sie sind in Argentinien geboren, bezeichnen Israel als Ihre Heimat, leben aber vorwiegend in Deutschland. Warum in diesem Land, das hinsichtlich der jüdischen Geschichte so ein schweres Erbe trägt?

Ja, ich bin in Argentinien geboren und seit 64 Jahren in Israel zu Hause, weil meine Generation nach 2000 Jahren die Chance auf ein eigenes Land hatte. Aber der Schöpfer hat mich nach Deutschland gebracht. Dieses Land hat mir so viel beigebracht: Die Beziehung zwischen Deutschen und Juden/Jüdinnen ist das grösste Zeichen der Menschlichkeit. Unmittelbar nach dem Krieg hat die Heilung begonnen, und heute herrscht Normalität. Deutschland ist ein Beispiel für Freundschaft und Liebe zwischen den Völkern – und ich habe vielleicht einen Beitrag zu diesem Prozess geleistet.

Die Klezmermusik hat ihre Ursprünge in Osteuropa. Wie beeinflusst der Krieg in der Ukraine Ihre Musik?

Die Tragödie, die sich in der Ukraine abspielt, betrifft alle. Musik ist die Sprache der Seele. Sie ist dazu da, den Kampf zu überwinden. Es gibt nur eine menschliche Gesellschaft. Sehen Sie: In meinen Konzerten spiele ich oft Gebete, eines davon von einem iranischen Komponisten, er hat das wichtigste muslimische Gebet vertont, vergleichbar mit dem jüdischen Kol Nidre. Und jetzt spielt also ein Jude dieses Gebet in einer christlichen Kirche. Und warum? Musik, die Kunst allgemein, hat die Aufgabe, Menschen zusammenzubringen.

Glauben Sie wirklich, dass Musik Frieden schaffen kann?

Absolut. Ich weiss, wenn jemand ein Konzert von Giora besucht, wird er als anderer Mensch wieder nach Hause gehen, mit seiner Seele ist etwas passiert, bewusst oder unbewusst. Und eine Seele kann die Türen von Millionen öffnen.

Also müssten Sie mal vor Wladimir Putin spielen.

Putin spielt Klavier, er hat viele Konzerte besucht. Ich weiss nicht, was mit ihm passiert ist. Aber wenn ich Gelegenheit hätte, vor ihm zu spielen, würde ich es tun.

Sie reisen mit 86 Jahren immer noch herum und geben Konzerte. Was treibt Sie an?

Gott braucht mich für diesen Job. Er gab mir das Talent, und ich mache meinen Job. Ich war oft zu Kriegszeiten in Israel und habe dort auch in Spitälern gespielt – für Juden und Araber. Bevor sie dort landeten, waren sie Feinde, als Verwundete wurden sie Brüder. Und so spielte ich für einen arabischen Soldaten Mozart, weil er sich das wünschte. Und es spielt am Ende keine Rolle, ob ich für einen verwundeten Soldaten spiele oder in einer Kirche. Ich wiederhole: Jeder Mensch hat eine Seele – sie kennt keine Religion, keine Nation.

Hinweis: Giora Feidmann spielt am Freitag, 14. Oktober, 20.00 Uhr in der Heiliggeistkirche in Bern.

Erstpublikation im reformiert.info

Giora Feidman, 86, kam als Sohn jüdischer Einwanderer:innen in Argentinien zur Welt und lernte schon früh Klarinette spielen. Bekanntheit erlangte der «King of Klezmer» unter anderem durch seinen musikalischen Beitrag zum Film «Schindlers Liste». Für sein Engagement in der Völkerverständigung wurde Giora Feidman geehrt.