Geburtstagsküchlein. Samstagsschule in der Dreif. / Fotos: zVg
«In dieser Situation ehrlich mit den Kindern sein»
Ukrainische Samstagsschule in der Pfarrei Dreifaltigkeit
Jeden Samstag treffen sich in der ukrainischen Samstagsschule in der Pfarrei Dreifaltigkeit in Bern rund 80 Kinder. Sie kommen aus dem ganzen Kanton. Diese Samstage sollen ihnen Gemeinschaft bieten, in der die ukrainische Sprache und Kultur gepflegt werden.
von Silvan Beer
Seit dem Kalten Krieg hätte kaum jemand einen imperialistisch motivierten Angriffskrieg auf europäischem Boden für möglich gehalten. Als dies mit dem völkerrechtswidrigen Angriff durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine am 24. Februar 2022 dennoch geschah, war das ein Schock.
Die schon länger in Bern lebenden Ukrainerinnen Lyudmyla Zuber (42) und Olga Pikh (42) mussten von einem Tag auf den anderen mitansehen, wie ihr Land von Gewalt und Not heimgesucht wurde. Da die ukrainisch-katholische Kirche in der Dreifaltigkeitskirche in Bern schon seit einigen Jahren ihre Messen feiern kann, trafen sich die beiden Frauen, die beide bereits im Verein «Ukrainer in Bern» aktiv sind, vor gut einem Jahr mit den Verantwortlichen der Kirche, um Hilfsmöglichkeiten für Ukrainer:innen in der Ukraine selbst oder auf der Flucht zu besprechen.
Die Schweiz ist eher für ihre Gemächlichkeit bekannt, doch in diesem Fall ging für einmal alles ganz schnell. Die Katholische Kirche der Region Bern brachte sogleich ein Hilfspaket von einer Million Franken auf, um das ukrainische Volk in der Ukraine, ihren Nachbarländern und in der Schweiz zu unterstützen. Zudem stellte die Dreifaltigkeitspfarrei Räumlichkeiten und Unterstützung durch ihren Sozialdienst zur Verfügung, um das Schulprojekt «Ridne Slovo» (ukrainisch für «Das einheimische Wort») zu ermöglichen.
Lyudmyla Zuber und Olga Pikh, die zusammen die Co-Leitung der Schule übernahmen, staunen noch heute, wie schnell damals alles vonstattenging. Durch das tatkräftige Engagement der beiden Frauen und der Mithilfe der Kirche konnte schnell und wirkungsvoll Hilfe geleistet werden.
Die Nachfrage wächst
Seither wächst die ukrainische Samstagsschule stetig. Über achtzig Kinder nehmen in vier Altersklassen teil. Zudem gibt es eine Warteliste. Denn obschon mittlerweile zehn Lehrerinnen, eine Logopädin und eine Psychologin im Projekt tätig sind, stossen sie an ihre Grenzen. Man braucht mehr Platz und Personal, denn die Nachfrage wächst stetig. Aus dem ganzen Kanton Bern kommen Kinder hierher. Sie nehmen auch an der regulären Schule oder per Zoom weiterhin am Unterricht in der Ukraine teil.
Diese Samstage sollen ihnen ergänzend eine Gemeinschaft bieten, in der die ukrainische Sprache und Kultur gepflegt werden. Es soll im Schrecken des Krieges und den Herausforderungen der Flucht eine gewisse Kontinuität und Sicherheit vermittelt werden. Hier können die Kinder gemeinsam lernen, malen, singen und Theater spielen. In einem sicheren Umfeld werden sie zudem psychologisch betreut. Bei Bedarf können sich die Kinder in ihrer Muttersprache mit einer Psychologin austauschen. Es gibt mittlerweile sogar ein Kita Angebot für die Geflüchteten.
Vermittlung von Kultur und Sprache
Man versucht, den Kindern Struktur und Geborgenheit zu vermitteln. Und nicht zuletzt will man ihnen Mut machen, an eine gute Zukunft in ihrem eigenen Land zu glauben. Auf feinfühlige, aber ehrliche Art werden die Kinder über die Situation in der Ukraine informiert. «Man muss in dieser Situation ehrlich mit den Kindern sein», sagt Lyudmyla Zuber, «denn viele von ihnen haben Verwandte, die in der Ukraine zurückblieben oder sogar gegen die Invasor:innen am Kämpfen sind. Aber man muss auch darauf achten, dass die Kinder nicht die Hoffnung verlieren. Wir wollen ihnen Mut machen und vermitteln, dass die Ukraine ein eigenständiges Land mit einer eigenen Kultur ist, das eine freie Zukunft vor sich hat, an der sie mitwirken können.
Die Pflege unserer Sprache ist dabei zentral. Vielen ist die Unterdrückung unserer Kultur in der Sowjetzeit noch präsent. Zudem schwelten der Konflikt und die versuchte Beeinflussung durch Russland schon lange vor Kriegsausbruch letzten Jahres. Daher ist Kultur, Sprache und Tradition für uns nicht verstaubte Nostalgie, nicht bloss Folklore, sondern eine lebendige Kraft, die dem imperialistischen, alles gleichmachenden Irrsinn von Putin entgegengehalten wird.»
Eine Feier der ukrainischen Poesie
Am zweiten Märzwochenende stand «Ridne Slovo» ganz unter dem Zeichen der ukrainischen Poesie. Man feierte den Gedenktag des Dichters Taras Schewtschenko (1814–1861), der Begründer der modernen ukrainischen Literatur, der die Entwicklung der ukrainischen Sprache massgeblich prägte und als Symbolgestalt des Autonomiebewusstseins des ukrainischen Volkes gilt. Die Räumlichkeiten der Dreifaltigkeitskirche platzen aus allen Nähten. Viele der Kinder tragen bunt bestickte Hemden und Blumen im Haar. Sie haben sich fleissig auf diesen Tag vorbereitet und Gedichte auswendig gelernt, kleine Theaterstücke geprobt und Lieder einstudiert. Stolz schauen die Eltern ihnen zu.
Viele der Kinder blühen auf in der Aufführung. Die Freude an ihrer Sprache ist spürbar. Eine Dringlichkeit, die aus einer ganz schrecklichen Situation hervorgeht, hat hier zu einer positiven, heilsamen Form gefunden. Es ist beeindruckend, wie mutige Menschen dem Schrecken des Krieges solch feine und dennoch kraftvolle Projekte entgegenstellen. Solange das geschieht, darf man hoffen.