Gemeinsam unterwegs, Dialog über geteilte Werte. Interreligiöses Gebet für den Frieden 2011, mit Papst Benedikt XVI. in Assisi. Foto: Reuters/Giampiero Sposito
Interreligiöser Dialog auf Augenhöhe?
Warum wir davon weit entfernt sind.
Bei den Anlässen der «Woche der Religionen» begegnen sich Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften. Doch kann man wirklich von Augenhöhe sprechen, wenn die Kirchen dank öffentlich-rechtlicher Anerkennung finanziell und personell viel besser aufgestellt sind?
Von Nicola Neider Ammann*
In diesen Tagen finden in der ganzen Schweiz wie jedes Jahr Anfang November viele Begegnungen und Veranstaltungen im Rahmen der «Woche der Religionen» statt.
Das interreligiöse Netzwerk Iras Cotis lädt lokale Gruppierungen dazu ein, vielfältigste Angebote zu organisieren und unterstützt diese bei der Organisation dieser Anlässe. Dazu schreibt Iras Cotis auf seiner Website: «Mit ihren Angeboten fördert die Woche der Religionen eine offene Haltung gegenüber Andersreligiösen und macht die religiös-kulturelle Vielfalt sichtbar. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zum religiösen Frieden in der Schweiz – ein wertvolles Gut, das immer wieder gemeinsam ausdiskutiert und gefestigt werden muss.»
Auch Religionsferne fühlen sich angesprochen
Ein Blick in das vielfältige Programm zeigt, dass es ein sehr breites Angebot gibt, welches Menschen jeglicher religiöser Prägung und auch Menschen, die sich keiner Religion (mehr) zugehörig fühlen, anspricht. Von Besuchen in verschiedenen Gotteshäusern, Synagogen und Tempeln, über kulturelle Anlässe wie Lesungen, Theater oder musikalische Veranstaltungen bis hin zum interreligiösen Hörrundgang in der eigenen Stadt oder einem Abendtisch unter dem Motto «Was isSt Religion» mit Spezialitäten aus den verschiedenen religiösen Traditionen: Alle Veranstaltungen möchten die ganze Vielfalt religiösen Lebens in der Schweiz zeigen und zur Begegnung und zum Dialog einladen.
Veranstaltungen und Begegnungen im Rahmen der Woche der Religionen sind ein wichtiger Bestandteil im Bereich des interreligiösen Dialoges. Wie Iras Cotis hervorhebt, tragen sie wesentlich dazu bei, nicht nur die religiöse Vielfalt in der Schweiz aufzuzeigen, sie führen auch zu einem Netz von Beziehungen zwischen den verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten Religionsgemeinschaften. Oft sind sie getragen von Foren der Religionen, oder anderen Zusammenschlüssen der Religionsgemeinschaften am jeweiligen Ort.
Was meint «auf Augenhöhe»?
Im Kontext dieser Bemühungen hört man oft das Postulat, der interreligiöse Dialog müsse auf Augenhöhe geführt werden. Was ist damit gemeint? Und ist es realistisch, von diesem Postulat zu sprechen?
Ein Blick in die realen Möglichkeiten der am interreligiösen Dialog beteiligten Religionsgemeinschaften macht deutlich, dass es vor allem die christlichen Kirchen sind, die den interreligiösen Dialog gestalten und die Veranstaltungen vorbereiten. Sie haben das grosse Privileg als öffentlich-rechtlich anerkannte Kirchen finanzielle Ressourcen zu haben, von denen die kleineren Religionsgemeinschaften nur träumen können. Das Engagement der kirchlichen Vertreter und Vertreterinnen für den interreligiösen Dialog und die Beziehungen zu den Vertretungen der kleineren Religionsgemeinschaften ist gross: Es gibt Runde Tische der Religionen, es wurden Vereine gegründet, bei denen alle Religionsgemeinschaften sich gleichberechtigt einbringen können und es gibt Leitsätze, die von allen Religionen gemeinsamen erarbeitet wurden. All dies sind wichtige Schritte zu dem geforderten Dialog auf Augenhöhe. Sie sollen in keiner Weise geschmälert werden. Es braucht diese Schritte um weiter zu kommen. Dennoch können sie aus meiner Sicht nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir insgesamt von einem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe noch sehr weit entfernt sind.
Genug kennen gelernt, Zeit zum Handeln
An einem Begegnungstreffen der Religionsgemeinschaften in Luzern wurde vor einiger Zeit gerade von den Vertreterinnen und Vertretern der nicht öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften mit einiger Vehemenz gefordert, es seien inzwischen genügend Begegnungen zum gegenseitigen Kennenlernen durchgeführt worden, man kenne sich ja inzwischen gut genug. Es sei endlich Zeit zum Handeln und zwar in eine Richtung, dass dereinst wirklich von einem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe gesprochen werden könne. Denn von diesem sei man noch sehr weit entfernt. Schliesslich nähmen die Vertreterinnen und Vertreter der kleinen Religionsgemeinschaften mehrheitlich in ihrer Freizeit an allen Vorbereitungstreffen und Dialogtreffen teil.
Es fehlt an finanziellen Mitteln
Als Fernziel wurde die öffentlich-rechtliche Anerkennung der kleineren Religionsgemeinschaften genannt – ein Ziel, von dem man in der Realität noch sehr weit entfernt ist. Die Vertreterinnen und Vertreter signalisierten neben diesen kritischen Anmerkungen gleichzeitig ihren Gestaltungwillen und ihr grosses Interesse, sich mit viel Elan weiterhin am interreligiösen Dialog zu beteiligen. Wie die Kirchen würden auch sie sehr gerne Personen für den interreligiösen Dialog anstellen, die – entsprechend ausgebildet – sich dann wirklich gleichberechtigt einbringen könnten. Allein es fehle ihnen hierzu an den finanziellen Mitteln. Als von der Kirche bezahlte Mitarbeiterinnen sind wir damals sehr nachdenklich aus dem Treffen gegangen.**
Im kürzlich erschienenen Buch von Kübra Gümüşay «Sprache und Sein» finden sich sehr kritische Aussagen im Blick auf die Frage der Gleichberechtigung und den Dialog auf Augenhöhe. Sie fragt: «Was bedeutet es konkret, gleichberechtigt und auf Augenhöhe in einer pluralen Gesellschaft zusammenzuleben? Was bedeutet es, mit all jenen am Tisch zu sitzen, die bislang nicht an diesem Tisch sitzen durften?»
Haben wir die gleichen Voraussetzungen?
Übertragen auf die Forderung nach einem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe muss die Frage gestellt werden, was es bedeuten kann, als Religionsgemeinschaften gemeinsam am Tisch zu sitzen. Wenn wir am Abendtisch «Was isSt Religion» am selben Tisch sitzen – sitzen wir dann wirklich am selben Tisch? Haben wir die gleichen Voraussetzungen, um an diesem Tisch zu sitzen – oder geht es den anderen Religionsgemeinschaften nicht eher so, wie der Syrophönizierin, die Jesus entgegen hält, als dieser die Heilung ihrer Tochter mit der Begründung verweigert, das Brot sei nur für die «Kinder» da, nicht für die Hunde: «Herr, die Hunde unter dem Tisch fressen doch auch von den Brocken, die die Kinder fallen lassen!» Jesus lässt sich auf diese Argumentation ein und sagt ihr, die Tochter sei geheilt. (Mk 7, 34-40).
Kirchensteuern juristischer Personen aufteilen
Ist es heute immer noch so, wie damals? Geben wir grosszügig etwas von unseren «Brocken» ab als öffentlich-rechtlich anerkannte christliche Kirchen? Müssten wir nicht ganz anders denken und entsprechend handeln? Wie steht es zum Beispiel mit der Verwendung der Kirchensteuern, die von den juristischen Personen, also den Unternehmen kommen? Wäre es nicht folgerichtig, diese prozentual zum Anteil an der Bevölkerung auf die entsprechenden Religionsgemeinschaften aufzuteilen, damit diese sich entsprechend den Kirchen professionell aufstellen könnten, um damit mittelfristig die öffentlich-rechtliche Anerkennung durch den Staat zu erlangen?
Kübra Gümüşay sagt: «Wenn wir wirklich gleichberechtigt und auf Augenhöhe in einer pluralen Gesellschaft zusammenleben möchten, so dürfen wir keine blosse Illusion von Gleichberechtigung und Pluralität verkaufen.»
Dialog auf Augenhöhe ist bislang Illusion
Nochmals übertragen auf die Fragestellung, ob es einen interreligiösen Dialog auf Augenhöhe gibt, bleibt festzuhalten, dass dieser bislang eine Illusion ist. Wir sind noch weit entfernt von Gleichberechtigung und wirklicher Pluralität der Religionen. Deswegen sollten wir die Anlässe der Woche der Religionen nicht nur dazu nutzen, uns beeindrucken zu lassen von der Vielfalt der Religionen und einem gewissen Hauch von «Exotischem», welches wir in Hindutempeln, buddhistischen Tempeln und in Moscheen zu finden meinen.
Haus der Religionen als Vorbild
Alle am interreligiösen Dialog beteiligten Institutionen sollten sich jenseits dieser sicher wichtigen Anlässe dafür einsetzen, dass es baldmöglichst zu einer wirklichen Teilhabe der kleineren Religionsgemeinschaften kommt, so dass sie gleichberechtigt am Tisch sitzen und sich nicht mehr nur mit Brotkrumen zufrieden geben müssen. Vorbild und Ansporn hierfür ist sicher der Prozess, der zur Gründung des «Haus der Religionen» in Bern geführt wurde und nun auch vorbildlich im Betrieb dieses Leuchtturmprojektes gelebt wird.
Auch wenn es nicht überall ein solches Grossprojekt geben kann, ist es wichtig, konkrete Schritte auf dem Weg zu einem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe zu gehen. Ein erster Schritt wäre die anteilige Umverteilung der Steuern der juristischen Personen für Aktivitäten der kleineren Religionsgemeinschaften. Schliesslich werden diese auch durch ihre Gläubigen erarbeitet. Ausserdem sollten neben den Landeskirchen auch die Kantone in die Pflicht genommen werden ihren Beitrag zu leisten. Sie würden damit auch den kleineren Religionsgemeinschaften jene Anerkennung entgegenbringen, die diesen angesichts ihrer grossen Leistungen im Bereich der Integration und es friedlichen Zusammenlebens gebührt.
*Nicola Neider Ammann, Theologin, MAS Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess, Leiterin Bereich Migration&Integration der katholischen Kirche Stadt Luzern.
**Inzwischen ist im Kanton Luzern ein Prozess gestartet worden, der die Anliegen der kleineren Religionsgemeinschaften aufnimmt.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf feinschwarz.net