Isabel Vasquez leitet «migratio» Schweiz. Foto: zVg
Isabel Vasquez: «Ohne Dialog drohen innerkirchliche Parallelgesellschaften»
Traditionell, liberal, progressiv – die katholische Kirche vereint viele Spiritualitäten. Die Seelsorge in den Missionen müsse Brücken bauen, sonst drohen «innerkirchliche Parallelgesellschaften». Aber auch die «schweizerischen» Pfarreien sieht «migratio»-Chefin Vasquez in der Pflicht.
Interview: Annalena Müller
«pfarrblatt»: Wie viele Katholizismen gibt es in der Schweiz, Frau Vasquez?
Isabel Vasquez*: Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen Kirche und Spiritualität. Es gibt eine römisch-katholische Kirche in der Schweiz, darin aber viele Spiritualitäten. Wenn man das Interview im «pfarrblatt» Nr. 25 mit Frau Costa liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass es zwei Arten gibt, katholisch zu sein, und dass diese sich quasi ausschliessen. Das zeigt auch die Polemik, die das Interview ausgelöst hat. Dem ist aber nicht so; es gibt viele Arten der gelebten Spiritualität in der Kirche.
Ist die Meinung von Frau Costa, die mit der liberalen, Rom-fernen Kirche in Bern fremdelt, also eine Einzelmeinung?
Vasquez: Nein, es ist keine Einzelmeinung. Deswegen finde ich das Interview persönlich gut und wichtig. Aber es ist auch keine Meinung, die nur in migrantischen Milieus vorkommt, auch wenn sie dort eventuell breiter verankert ist. Manchmal liegt es an der Kommunikation. Ich denke, viele wissen nicht, was aktuell im Vatikan mit dem synodalen Prozess läuft und welche strukturellen Reformen angegangen werden. Aber auch das betrifft nicht nur sogenannte traditionelle Katholik:innen. Auch viele Progressive wissen es nicht im Detail. Bei solchen Fragen ist Rom vielleicht für alle gleich fern (lacht).
In der Politik wird immer mal wieder vor «Parallelgesellschaften» gewarnt. Gibt es das Risiko auch in der katholischen Kirche, wo der Migrationsanteil allein im Raum Bern an die 50 Prozent ausmacht?
Vasquez: Ja, das Risiko besteht, wenn wir nicht wahrnehmen, dass Vielfalt für beide Seiten bereichernd ist. Ich spreche ungern von der «Schweizer Kirche», denn es ist alles die gleiche Kirche. Aber wir müssen lernen, miteinander in den Dialog zu treten. Nicht in einen Dialog, in dem der eine oder die andere überzeugen will, dass nur er oder sie den richtigen Weg kennt, sondern in einen Dialog auf Augenhöhe, in dem es um Vielfalt und Akzeptanz geht. Wir brauchen Sensibilisierung, um die Idee der «Einheit in Vielfalt» leben zu können. Sonst drohen innerkirchliche Parallelgesellschaften.
Kann die Migrationspastoral helfen, solche innerkirchlichen Brücken zu bauen?
Vasquez: Ja, das ist unser Wunsch. «migratio» hat das Gesamtkonzept Migrationspastoral bis 2022 überarbeitet und ist dabei, es umzusetzen. Die Schwerpunkte liegen unter anderem auf der Teilhabe aller und der Sensibilisierung für die Vielfältigkeit. Aber es gibt natürlich auch große Herausforderungen.
Zum Beispiel?
Vasquez: In der Migrationsseelsorge spielt die Suche nach spiritueller und kultureller Beheimatung eine große Rolle. Denn beides gibt emotionale Stabilität und Sicherheit. Aber man darf nicht vergessen: Migration ist nicht gleich Migration. Es ist etwas völlig anderes, ob Sie bequem und sicher mit dem Flugzeug in Zürich landen und dort von der Familie in Empfang genommen werden, oder ob Sie die Schweiz erreicht haben, nachdem Sie sich 40 Tage durch die Wüste kämpfen mussten und dann auf dem Mittelmeer Witterungen und Wellengang ausgeliefert waren.
Nun hat «migratio» zum dritten Mal den Preis für «Interkulturelle Pastoral» ausgeschrieben. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Vasquez: Mit dem Preis fördert «migratio» Seelsorgeprojekte, die interkulturelle Begegnungen ermöglichen. Die Herausforderung hier ist, die Angst vor Veränderung zu nehmen. Mit dem Preis wollen wir Projekte fördern, die Brücken bauen, damit Menschen erfahren können, dass die Vielfalt in der Kirche eine Bereicherung für alle ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Vasquez: Ich kenne zum Beispiel eine Mission, die jeden Monat einen Gottesdienst auf Deutsch anbietet und bewusst hilft, die Sprachbarriere zu überbrücken, die für viele Migrant:innen abschreckend ist. Es sind manchmal die vermeintlich kleinen Dinge, die viel bewirken können – und die uns dann erlauben, in den Dialog zu treten und von der großen Vielfalt innerhalb der katholischen Kirche zu profitieren.
*Isabel Vasquez (52) ist seit 2022 Nationaldirektorin von «migratio». Die in Guatemala geborene Vasquez wuchs in Spanien auf und lebt seit 2005 in der Schweiz.
Preis für Interkulturelle Pastoral
Eingereicht werden können Projekte, die ein vorbildliches Miteinander von Ortspfarreien und anderssprachigen Gemeinschaften aufzeigen.
Bewerben kann sich jede Person oder Gemeinschaft in der Schweiz, die mit interkultureller Pastoral zu tun hat und eine einmalige oder längerfristige Initiative vorstellen möchte: Pfarreien, Missionen, Freiwillige, Gruppen aus dem Religionsunterricht. Der Preis ist mit CHF 3’500 dotiert und kann aufgeteilt werden.
Projektbeschrieb (max. 15 Seiten, inkl. Grafiken und Fotos) bis zum 31. Januar 2025 einreichen unter info@migratio.ch.
Öffentliche Preisverleihung 30. März 2025