Von links nach rechts: Mentari Baumann, Maria Regli, Stefanie Arnold, Ursula Marti, Heidi Kronenberg. Foto: Annalena Müller
Frauenstreik in Bern
Ist die Beziehung zwischen Frauen und katholischer Kirche noch gesund?
In der Berner Heiliggeistkirche diskutieren Frauen über ihren Platz in den Kirchen. Mit dabei Mentari Baumann von der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Bei den Katholikinnen ist eine grosse Zerrissenheit spürbar. Die Theologin Maria Regli sieht keine Perspektive mehr, dass Gleichberechtigung in der Kirche einzieht – und wählte den 14. Juni, um auszutreten. Denn: Wenn Frauen austreten, bröckelt der Kitt.
von Annalena Müller
In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Bern steht die Heiliggeistkirche. Draussen herrscht Sommerhitze und geschäftiges Treiben. Zwischen Touristen und Pendlerinnen sieht man viele Menschen in lila gekleidet. Die meisten von ihnen strömen zum Bundeplatz. Aber einige zieht es in die Kirche.
Gleichberechtigung. Punkt. Amen
Am Frauenstreik haben der Dachverband «Evangelische Frauen Schweiz», offene Heiliggeistkirche Bern und die IG feministischer Theologinnen zur Podiumsdiskussion und Streikvorbereitung geladen. Unter dem Motto: «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» wird über die Chancenungleichheit in den Schweizer Kirchen gesprochen.
Durch die Diskussion führt die Journalistin Heidi Kronenberg. Die Diskutantinnen sind Stefanie Arnold, christkatholische Theologin, Mentari Baumann, Geschäftsführerin der «Allianz Gleichwürdig Katholisch», Ursula Marti, SP-Grossrätin und Synodalrätin der Reformieren Kirchen Bern Jura Solothurn, und Maria Regli, Geschäftsführerin der IG Feministische Theologinnen.
Existentielle Herausforderungen
Aus feministisch-katholischer Sicht sind die evangelischen Kirchen der katholischen weit voraus: es gibt kein Pflichtzölibat und Frauen im Pfarramt sind selbstverständlich. Denn sagt Ursula Marti (57), dass die Gleichberechtigung in der reformierten Kirche noch nicht erreicht sei. Der Synodalrat habe zwar erstmalig eine Frauenmehrheit – vier von sieben Sitzen – aber in den Strukturen darüber sei die Mehrheit nach wie vor männlich.
Die drei anderen Diskutantinnen haben einen katholischen Hintergrund. Für sie sind die Herausforderungen existentiell. Im Zentrum steht für sie die Frage: Ob Frau-sein und feministisches Selbstverständnis mit den ausgrenzenden Strukturen der katholischen Kirche in Einklang gebracht werden können.
Religiös, politisch und lesbisch
Stefanie Arnold (47) ist römisch-katholisch aufgewachsen und heute christkatholische Diakonin in Bern. Lange war sie in der linken Szene aktiv. Dort fühlt sie sich als kritische, politische und lesbische Frau wohl. Gläubig war dort niemand. Es dauerte, bis Arnold sich eingestand, dass sie sich neben einer politischen Heimat auch nach einer spirituellen sehnte.
In die katholische Kirche kehrt sie nicht zurück. Zu ausgrenzend ist die Kirche ihrer Kindheit. Arnold findet in der christkatholischen Kirche ihre Heimat: «Die Liturgie war mir vertraut. Aber es gab die inneren Widerstände nicht.» Denn die christkatholische Kirche kennt sowohl das Frauenpriestertum als auch die sakramentale Ehe für alle.
Auch Mentari Baumann (29) hadert mit der katholischen Kirche – und deren Ausgrenzung von Homosexuellen und Frauen. Sie ist beides. Es sei nicht immer einfach und sie bekomme durchaus Ablehnung zu spüren, sagt sie gegenüber kath.ch. Aber die katholische Kirche sei ihre spirituelle Heimat, aus der sie sich nicht vertreiben lassen wolle. Falls sie eines Tages austritt – und dieser Möglichkeit gibt Baumann durchaus Raum – dann, weil sie für sich zu dem Entschluss gekommen sei.
Der Kitt bröckelt
Maria Regli (62) ist zu diesem Entschluss gekommen. Die feministische Theologin hat über 40 Jahre mit ihrer Kirche gerungen. «In den 1980er Jahren gab es eine Aufbruchstimmung.» Diese habe auch der feministischen Theologie Fahrt verliehen. Regli sagt: «Ich sehe keine Perspektive, dass sich in den kommenden Jahrzehnten etwas grundlegend zugunsten der Gleichberechtigung von Frauen ändert.» Zu verhärtet seien die klerikalen Strukturen.
Regli hat den 14. Juni 2023 gewählt, um aus der Kirche auszutreten. Der Schritt sei das Resultat eines mehrjährigen Bewusstwerdungsprozesses, sagt die Theologin. «Frauen, die sich in der Kirche engagieren, sind der Kitt der Kirche. Vielleicht bewegt sich etwas, wenn Frauen bewusst austreten und so der Kitt noch mehr bröckelt».
Für Regli ist klar, dass sich die Kirche beim Thema Frauen bewegen muss, um nicht auseinanderzubrechen. Der Schritt auszutreten sei ihr nicht leichtgefallen. Doch die ursprüngliche Heimat sei ihr zusehends fremd geworden. Dass sie mit diesem Gefühl nicht alleine ist, weiss sie. Viele Menschen, die ein spirituelles Bedürfnis haben, aber keinen Zugang mehr zu den Kirchen finden, suchen die freischaffende Ritualbegleiterin auf. Am ersten Juli wird Regli ein lesbisches Paar trauen.
Should I stay or should I go?
Das Ringen mit der katholischen Kirche, die wachsende Befremdung mit dem untergeordneten Platz, den sie Frauen und queeren Menschen zuweist, und die langsam leiser werdende Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch etwas ändert – sind an diesem 14. Juni deutlich spürbar.
Die Konflikte, welche die drei katholisch-geprägten Frauen beschreiben, erinnern an den Klassiker «Should I stay or should I go» von 1982. In dem Lied von «The Clash» heisst es sinngemäss übersetzt:
«Du lockst mit Versprechen, aber glücklich bist du nur, wenn du mich in die Knie gezwungen hast. An einem Tag ist alles rosig und am nächsten gibt es keine Zukunft. Wenn du mich loswerden willst, sag es mir ehrlich – soll ich bleiben oder gehen?»
Natürlich besangen «The Clash» nicht das Schicksal emanzipierter Frauen in der katholischen Kirche, sondern eine dysfunktionale Liebesbeziehung. Aber in der Heiliggeistkirche bekommt man das Gefühl, dass es genau darum geht: festzustellen, ob die Beziehung zwischen Frauen und der katholischen Kirche noch gesund, oder schon dysfunktional ist. Bleiben oder gehen? Mit dieser Frage ringen nicht nur die Frauen auf der Bühne, sondern auch viele andere, die am 14. Juni den Weg in die Berner Heiliggeistkirche gefunden haben