Markus Raetz: «Hasenspiegel». Je nach Blickwinkel wird aus einem gebogenen Draht im Spiegel ein Hase oder ein Mann mit Hut. Foto: Andreas Krummenacher
Je nach Blickwinkel
Editorial der aktuellen Ausgabe von Andreas Krummenacher
«Um ehrlich zu sein, ich weiss nichts von denen», sagte der Mann am Nebentisch im «Tibits» zu seiner Frau. Das Paar sprach über den Krieg im Nahen Osten, über den Islam und das Judentum. Vor allem aber unterhielten sie sich über das Programm zur Nacht der Religionen.
Mich faszinierte die Ehrlichkeit, geht es mir doch oft genauso. Andere Religionen und Gebräuche sind mir bisweilen fremd. Die Titelgeschichte führt uns diesmal an die Nacht der Religionen. Sie bot eine fantastische Gelegenheit, die Perspektiven anderer Menschen zu erfahren und vielleicht sogar einzunehmen.
Den Perspektivenwechsel wagen auch kluge Menschen in Luzern. Sie haben die Bibel schwul-lesbisch-queer ausgelegt. Die Angriffe dagegen sind erschreckend. Es gelingt vielen Menschen nicht, den Blickwinkel anderer einzunehmen, um ihn besser zu verstehen. Ablehnung, Hass oder Verachtung hat jedoch noch nie glücklich gemacht. Und ums Glück ging es bei der Nacht der Religionen.
Das letzte Mal so richtig glücklich war ich im Kunstmuseum Bern, in der Ausstellung zum verstorbenen Künstler Markus Raetz. Ihm kommt es immer auf die Perspektive an. Einen Schritt nach rechts oder links, und die Skulptur sieht plötzlich komplett anders aus. Mit Witz und List führt er mich hinters Licht. Meine Wahrnehmung wird auf die Probe gestellt. Alles verwandelt sich – je nach Perspektive. Raetz zauberte mir fast pausenlos ein Lächeln auf die Lippen. Glück halt.