Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof. Symbolbild. Foto: KNA
Jüdische Grabesruhe in Bern und Freiburg
Ein neues Friedhofsreglement in Freiburg i.Ü. sorgt für Schlagzeilen. Die seit über 100 Jahren gewährte ewige Grabesruhe für jüdische Gräber wird aufgehoben. Wie ist die Situation in Bern? Und wie steht das Christentum zu der Frage?
Magdalena Thiele
In der Westschweiz hat der Generalrat der Stadt Freiburg ein neues Friedhofsreglement erlassen. Was nach banaler Bürokratie klingt, birgt eine gewisse Sprengkraft. Das neue Reglement kündigt die gebührenfreie ewige Grabesruhe auf dem jüdischen Teil des Friedhofs auf. Ein Schritt, der über die Freiburger Grenzen hinweg Aufsehen erregt.
Kein Thema in Bern
Die Jüdische Gemeinde Bern (JGB) zeigt sich angesichts der Freiburger Ereignisse allerdings gelassen: «Unser Friedhof gehört der JGB, ist also privat. Daher kann niemand über die Dauer der Grabesruhe entscheiden, ausser die JGB. Sprich: die Thematik ist für uns nicht relevant», sagt Dalia Schipper, Co-Präsidenten der JGB auf Anfrage des «pfarrblatt».
Die Berner Situation ist eher die Regel als die Ausnahme. Denn: «Es ist normal, dass jüdische Friedhöfe in Privatbesitz sind», erklärt Schipper. «Bis vor kurzem waren Jüdische Gemeinden private Vereine und keine öffentlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Auch heute, also nach der kantonalen Anerkennung, ist die JGB den Landeskirchen nicht voll gleichgestellt», erklärt ergänzend Jehoschua Ahrens, Rabbiner der Berner Gemeinde.
In Erwartung des Messias
«Im Judentum gibt es die ewige Grabesruhe einerseits aus Respekt dem Toten gegenüber. Andererseits auch in Hinblick auf die messianische Zeit und die Auferstehung der Toten. Friedhöfe sind heilig und die Gräber sind «Monumente» des Verstorbenen und der Gemeinde».
Menuchat Olam – so lautet das hebräische Wort für die ewige Grabesruhe. Sie ist im Judentum ein wichtiger Bestandteil der Religion. Die Toten sollen in Frieden ruhen, in unveränderlichen Grabstätten. Das heisst, Gräber dürfen niemals ohne zwingenden Grund angetastet – geöffnet oder verändert – werden.
Schweizer Realität
Auf Schweizer Friedhöfen gilt dagegen grundsätzlich ein anderes Reglement. «Die Konzessionsdauer und damit die Ruhedauer beträgt 20 Jahre, respektive für Familiengräber 40 Jahre», erklärt Tobias Hitzblech, Teamleiter der Friedhofsadministration von Stadtgrün Bern. Das Departement der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün betreibt die drei städtischen Friedhöfe: den Bremgartenfriedhof, den Schosshaldenfriedhof und den Friedhof Bümpliz.
Mit Ausnahme bei den Reihen- und der Gemeinschaftsgräber können die Konzessionen der Gräber aber verlängert werden. Das heisst: Gegen entsprechende Gebühr können weitere Jahre oder Jahrzehnte erkauft werden. «Bei der Aufhebung der Gräber werden die Gräber nicht ausgehoben, sondern es werden lediglich die Grabmäler und die Bepflanzung oberflächlich abgeräumt. Die sterblichen Überreste verbleiben im Boden.»
Das gängige Vorgehen bei einem Sarggrab: Die Angehörigen werden über die Auflösung informiert und haben Gelegenheit, Grabstein und -schmuck abzuräumen. Nach einer Begrünung wird erst Jahrzehnte später an dieser Stelle ein neues Grab entstehen – wenn sicher der natürliche Zersetzungsprozess abgeschlossen ist. Die Gebeine des Toten werden also nicht angetastet.
Eine mit der jüdischen Vorstellung von Grabesruhe dennoch unvereinbare Vorgehensweise. Schliesslich ist die ewige Grabesruhe auch eng verbunden mit dem Glauben an die leibliche Auferstehung.
Flexibleres katholisches Verständnis
Im katholischen Verständnis sei das anders, sagt Theologe Sebastian Schafer. Insbesondere in den deutschsprachigen Ländern wurde die Friedhofs- und Grabespflege schon früh der Verantwortung der weltlichen Autoritäten überantwortet.
«Die Auferstehung ist in der katholischen Tradition nicht mehr mit der physischen Unberührtheit des Grabes verknüpft. Deshalb verbietet die katholische Lehre inzwischen auch die Feuerbestattung nicht mehr, auch wenn weiterhin die Erdbestattung empfohlen wird», erklärt Schafer. «Seele und Körper trennen sich nach dem Tod. Zweiterer fällt der Verwesung anheim - auch aus diesem Grund stellt sich die Frage nach der Bewahrung des Grabes oder, indirekt, des Körpers nicht.
Die Auferstehung betrifft zwar auch den Leib des Menschen; jedoch spricht die Theologie von einem «verherrlichten Leib», der von Gott mit der Seele wiedervereint werden wird. Da bewegen wir uns aber schon auf sehr abstraktem theologischen Terrain. Auf die Dauer der Grabesruhe, die schon lange pragmatisch gehandhabt wird, hat diese Diskussion wenig bis keinen Einfluss.»
Verletzung der Religionsfreiheit?
Aus christlicher Sicht ist das Schweizer Friedhofsrecht unproblematisch, aus jüdischer hingegen nicht. Bisher hatte die unterschiedliche Auffassung wenig praktische Auswirkungen, da jüdische Friedhöfe eben meist im Privatbesitz der Jüdischen Gemeinden sind. Anders ist die Lage in Freiburg. Der jüdische Friedhof ist dort Teil des städtischen Friedhofs. Und damit gelten die allgemeinen Regelungen.
Bis dato war das allerdings kein Problem. Ein Abkommen zwischen der jüdischen Gemeinde und dem Stadtparlament garantierte seit 1912 die Unantastbarkeit der jüdischen Gräber – ohne, dass die kleine Gemeinde dafür zusätzlich zahlen müsste. Genau das soll sich nach Willen der Stadt nun ändern. Das neue Freiburger Friedhofsreglement der Stadt will von einer derartigen Sonderregelung nichts mehr wissen. Heisst: Alle sollen zahlen oder die Gräber werden nach abgelaufener Frist aufgehoben.
Die Communauté Israélite de Fribourg (CIF), gegründet 1895, und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) sehen in diesem Schritt eine Verletzung der Religionsfreiheit. Die weitreichenden Folgen der Regeländerung gefährden das Weiterbestehen der jüdischen Gemeinschaft in der Stadt wie auch im ganzen Kanton Freiburg, heisst es in einem Statement dazu auf der SIG-Homepage. Denn die Gebühren, die fortan allein für die bestehenden 157 Gräber anfallen würden, überstiegen bei Weitem die Mittel der aus nur etwa 65 Personen bestehenden jüdischen Gemeinschaft.