Angela Berlis sieht die christkatholische Kirche als reformfreudig, aber im Wissen um die grosse Tradition. (v.l.n.r: Markus Ries, Norbert Bischofberger, Angela Berlis und Barbara Gassmann.) Fotos: Pia Neuenschwander

Katholisch, aber nicht päpstlich

10.12.2022

150-Jahre-Jubiläumsfeier der christkatholischen Kirche in Bern. (Jetzt mit Fotoupdate)

Katholisch ohne Papst - das ist möglich. Vor 150 entstand die christkatholische Bewegung, in Abgrenzung zur päpstlichen Unfehlbarkeit. Gefeiert wurde das Jubiläum am 9. Dezember in Bern, im Dialog mit den römischen Katholik:innen und der evangelisch-reformierten Kirche.
 

Von Wolfgang Holz 
Fotos: Pia Neuenschwander
 

Die Heiliggeistkirche ist ein wuchtiges Statement barocker Kirchenkultur mitten in Bern. Die zentrale Lage eines der grössten reformierten Gotteshäuser in der Schweiz bescherte der Podiumsdiskussion am Freitagabend zum Thema «Kirche sucht Zukunft» deshalb akustisch lautstarke Konkurrenz.

In der Kirche sind die kroatischen Fans zu hören

Denn obwohl Sandor Bajnaj mit erlesenen Klavierstücken am Flügel für kultivierte Zwischentöne sorgte, erschallte während der Jubiläumsveranstaltung vor allem das Hupkonzert der kroatischen Fussballfans. Diese feierten lautstark draussen vor der Tür den überraschenden Sieg ihrer Elf gegen Brasilien bei der WM in Katar. Ein sakraler Moment der sportlichen Art.

SRF-Moderator Norbert Bischofberger liess sich indes von dem Hintergrundgehupe nicht beeindrucken und leitete die Podiumsdiskussion zum 150-jährigen Jubiläum der christkatholischen Erweckung in der Schweiz.

Nur wenige Übertritte

Vor genau 150 Jahren, am 9. Dezember 1872, hatte der Deutsche Joseph Hubert Reinkens einen Vortrag in der Heiliggeistkirche gehalten. Dieser trug wesentlich dazu bei, dass sich die Mehrheit der Berner Katholik:innen zum Christkatholizismus bekannten und die autoritäre Unfehlbarkeit des Papstes und das daraus resultierende Rechtsprimat des Heiligen Vaters ablehnten. Beides war während des Ersten Vatikanischen Konzils zum kirchenpolitischen Dogma erhoben worden.

Auch wenn prominente Katholiken wie der ehemalige Generalvikar von Speyer, Andreas Sturm, oder der ehemalige Benediktiner und Prior von Kloster Andechs, Anselm Bilgri, zu den Christkatholiken wechseln: Die Bewegung hat mit Zukunftssorgen zu kämpfen. Und schafft es nur am Rande, frustrierte Katholik:innen zu begeistern. Obwohl Forderungen des synodalen Prozesses wie Frauenpriestertum, verheiratete Priester und «Ehe für alle» hier längst eingelöst sind.

Angela Berlis: Laiinnen und Laien tragen zum Stolz der Kirche bei

Die einst beachtliche Renitenz der Christkatholik:innen ist längst einer nicht zu übersehenden Ernüchterung gewichen. Nicht nur, weil die Zahl schweizweit inzwischen auf gerade mal 13’000 Mitglieder gesunken ist. Zwar tragen in der christkatholischen Kirche «Laien zum Stolz» der Kirche bei, wie Professorin Angela Berlis vom Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern versichert. Sie gehört zu den ersten christkatholischen Frauen, die zu Priesterinnen geweiht wurden.

Die Beharrungskräfte in der römisch-katholischen Kirche sind stark. Matthias Zeindler ist Titularprofessor an der Uni Bern und leitet den Bereich Theologie bei der evangelisch-reformierten Landeskirche. «Leute, die der römisch-katholischen Kirche den Rücken zukehren, treten nicht in die christkatholische Kirche über, sondern sie treten aus der katholischen Kirche gleich ganz aus.» Als Grund gibt Matthias Zeindler die tiefgreifende Säkularisierung der Gesellschaft an. 

Markus Ries: Religionen müssen zusammenstehen

Eine Zukunft für die spirituelle Bedeutung der Kirche sieht Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, nur dann gewährleistet, «wenn die Religionen alle zusammenstehen, um ihren Auftrag zu erfüllen». Wobei Ries der christkatholischen Kirche attestiert, «dynamischer und schneller auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen» zu reagieren als die römisch-katholische Kirche. 

Doch eine allfällige Allunion der Religionen für eine spirituelle Zukunft der Kirche wird durchaus auch kritisch beäugt. Barbara Gassmann ist Kirchgemeinderätin der Christkatholischen Kirche in Bern und stellt klar, sie sei keine Befürworterin einer religiösen Monokultur. 

Bei den Abdankungen spielt die konfessionelle Herkunft wieder eine Rolle

Sie wolle sich nicht um jeden Preis mit anderen Religionen zusammenschliessen. «Und mit fundamentalistischen Gruppierungen, egal welcher Couleur, möchte ich nicht zusammenarbeiten.» Sie plädiert für eine Kirche, die für den Menschen da sei und «nicht abhebt». Denn «wir stehen wirklich vor grossen Herausforderungen».

Barbara Gassmann arbeitet als Pflegefachfrau. Wenn sie betagte und gebrechliche Mitglieder ihrer Gemeinde persönlich besuche, stelle sie fest, dass die Menschen ihrer ursprünglichen Konfession treu bleiben, wenn’s um die Abdankung geht. «Die Schweizerinnen und Schweizer wechseln ja auch nicht jedes Jahr ihre Krankenkasse.» Unterm Strich könne man davon ausgehen, dass die Menschen nach wie vor an das Gute im Menschen glauben würden.

Jesus hat zwölf Apostel berufen – sie wurden nicht gewählt

Doch was bedeutet das für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche? Kann der synodale Prozess das Erfolgsrezept sein für innerkirchliche Demokratisierung und Partizipation? Der römisch-katholische Pfarrer Ruedi Heim sagt: «Gegen Synodalität ist niemand. Aber die Umverteilung der Macht im Klerus ist bisher nicht konsequent vollzogen worden. Es bräuchte dringend ein Drittes Vatikanisches Konzil.»

Der Kirchenhistoriker Markus Ries warnt vor zu hohen Erwartungen gegenüber dem synodalen Prozess. «Die Synode als Sozialform ist nicht deckungsgleich mit dem demokratischen Konzept einer partizipativen Gesellschaft, wie wir sie gewohnt sind.» Ein Beispiel aus der Bibel: «Die zwölf Apostel sind auch von Jesus berufen worden und wurden nicht demokratisch gewählt.»

Sehnsucht nach Frieden in der Ukraine

Die Zukunft einer volksnahen, repräsentativen und modernen Kirche scheint unterm Strich also nicht besonders rosig, wie die Podiumsveranstaltung am Freitagabend in der Berner Heiliggeistkirche demonstriert. Doch vielleicht gibt es einen hellen Silberstreifen am Horizont, der nie verlöschen wird.

«Eine Zukunft ohne Kirche ist nicht möglich, denn der Mensch braucht auch heutzutage den Glauben an Gott», sagt Lyudmila Zuber. Sie koordiniert die Arbeit der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche in Bern. Die 80’000 ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz seien froh, das spirituelle Angebot ihrer Kirche wahrnehmen zu können. 

Tochter ukrainischer Diplomatenfamilie

Später beim Apéro erzählt sie, dass ihre Eltern, die früher in Bern als Diplomaten arbeiteten, in der ukrainischen Heimat weiterleben wollten. Trotz des Krieges. Ihre Stimme stockt kurz: «Wenn sie deshalb dort sterben müssen, sagen sie, dann sei das eben ihr Schicksal.»


Mehr zum Thema:«Als Berner:innen die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnten», Interview mit Angela Berlis, «pfarr­blatt» Bern 30. November 2022