Offenheit und Respekt als Grundhaltung im täglichen Umgang: Lyn und Othma Rutz-Avelino. Fotos: Pia Neuenschwander

Kein Bedürfnis, Vorurteile zu pflegen

18.09.2018

Binationale Paare in der Schweiz - Othmar und Lyn Rutz-Avelino.

Über ein halbes Jahrhundert ist seit den ersten gemeinsamen Busfahrten durch die USA verstrichen. Othmar Rutz aus der Schweiz und Lyn Avelino aus den Philippinen lernten sich dort 1965 in einem Austauschjahr kennen. Der Ökonom und die Pharmazeutin leben heute im bernischen Krauchthal und engagieren sich seit Jahrzehnten in der katholischen Kirche.


Autorin: Hannah Einhaus


Sie sind seit 47 Jahren verheiratet und wirken wie ein gut eingeübtes Team. Im Schatten der Terrasse und bei selbst gemachtem Eistee spielen sich Othmar (71) und Lyn (70) Rutz-Avelino beim Erzählen über ihr Leben laufend den Ball zu, ein verbales Pingpong mit viel Schmunzeln.

Beide verbrachten 1964/65 mit dem amerikanischen Erziehungsprogramm American Field Service (AFS) ein Austauschjahr in den USA. Gegen Ende des Programms tourten alle Schülerinnen und Schüler dieses Jahrgangs in Greyhound-Bussen Richtung Washington D.C., um dort von Präsident Lyndon Johnson begrüsst zu werden. Der damals 18-jährige Othmar Rutz aus Luzern und die ein Jahr jüngere Lyn Avelino aus dem philippinischen Bicol genossen das Sightseeing Hand in Hand. Die beiden machten auf persönlicher Ebene ernst mit der Völkerverständigung, die sich AFS auf die Fahnen geschrieben hatte.

Dies geschah zu einer Zeit, als in den Südstaaten der USA noch immer Rassentrennung gelebt wurde. Dieses Austauschjahr hat beide individuell und ihre Beziehung grundlegend geprägt. «Wir hatten und haben beide kein Bedürfnis, irgendwelche Vorurteile zu pflegen», erzählt sie, «Respekt und Offenheit sind unsere Grundhaltung im alltäglichen Umgang», ergänzt er.

 

Als berufstätige Mütter noch tabu waren

Ob und wie es mit der Paarbeziehung nach dem USA-Aufenthalt weitergehen sollte, blieb vorerst offen, doch Lyn Avelino und Othmar Rutz blieben brieflich in engem Kontakt. Nach der Rückkehr studierte er in Bern Ökonomie und Soziologie. Bei allem Interesse an Fragen der ökonomischen Verteilung liess ihn die 1968er-Bewegung kalt. Derweil widmete sich Lyn in Manila an der University of Santo Tomas dem Pharmaziestudium.

Bekanntschaft machten die beiden Väter, als Othmars Vater 1970 auf einer Reise durch die Philippinen krank wurde und bei Lyns Vater, einem Arzt, die nötige spezialärztliche Behandlung erhielt. Das Paar heiratete 1971 und liess sich in der Schweiz nieder. Im gleichen Jahr wurde zwar das Frauenstimmrecht eingeführt, doch eine Karriere als berufstätige Frau mit Kindern stiess zu jener Zeit noch auf gesellschaftlichen Widerstand. Lyn Rutz-Avelino arbeitete am Hygieneinstitut der Universität Bern und am Serum Institute auch nach der Geburt des ersten Kindes weiter.

«Nach der zweiten Geburt 1977 bin ich zu Hause geblieben», berichtet sie, «doch ohne Berufstätigkeit habe ich es nur zwei Jahre ausgehalten.» Er unterstützte sie und signalisierte der Umgebung: «Wenn Lyn glücklich ist mit der Arbeit, so lasst sie arbeiten.» Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2014 übernahm sie eine Leitungsfunktion im Labor für Dermatologie im Inselspital. Lange Jahre präsidierte sie zudem den Verein philippinischer Frauen, Samahang Pilipina Bern, später war sie Koordinatorin des Filipino Community Network of Canton Berne.

Othmar Rutz jobbte als Student in der Schönburg, dem Hauptsitz der damaligen PTT, und wechselte 1976 in die Generaldirektion der SRG, wo er als Organisator tätig war und unter anderem für Funktionendiagramme der Radio- und TV-Studios sowie für die Kaderpflichtenhefte verantwortlich zeichnete. Fünf Jahre später wechselte er zur katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern und blieb bis 2009 deren Personalchef.

Gelassenheit und Flexibilität zentral für eine Beziehung

In den letzten Jahren haben sich Lyn und Othmar Rutz-Avelino ihr Leben als Pensionierte und Grosseltern eingerichtet. Er liest und meditiert gerne, sie engagiert sich seit Jahren in der philippinischen Gemeinschaft der Kirchgemeinde Bruder Klaus. «Wir akzeptieren gegenseitig unseren Alltag und unsere verschiedenen Bedürfnisse», fasst sie zusammen. «Noch nie ist der Vorwurf gefallen, ich sei schon wieder weg, sondern vielmehr erwarten mich Zettel mit einem Willkommensgruss zu Hause.»

Gelassenheit und Flexibilität gehören für Othmar und Lyn Rutz-Avelino zur Rezeptur für eine glückliche Beziehung. «Jeder Mensch kommt allein zur Welt und stirbt allein», sinniert er, «umso mehr zählen Lebensqualität und das gemeinsame Geniessen.» Dazu gehören für beide viel Reden, viel Lachen und gegenseitige Unterstützung. Auch dem Älterwerden begegnen sie mit Humor. «Ich kann nicht mehr zurück», lacht sie, «die Garantie ist abgelaufen.»

 

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