Auf dem Podium sprachen Gabriela Allemann, Stefan Loppacher, Norbert Bischofberger (Moderation), Vreni Peterer und Sonja Matter (vlnr). Foto: Pia Neuenschwander

Kein Kulturwandel in Sicht

Podium "Sexuelle Übergriffe und Machmitssbrauch" in der Offenen Kirche Bern

Seit der Publikation der Missbrauchsstudie Mitte September habe sich wenig bewegt in der katholischen Kirche. So lautete der Tenor eines Podiums zu sexuellem Missbrauch in der Offenen Kirche Bern.  

von Sylvia Stam

«Ich wünschte, die Bischöfe hätten den gleichen Mut wie die Betroffenen», sagte Vreni Peter am 30. Januar in der Offenen Kirche Bern. «Den Mut aufzustehen und zu sagen: «Jetzt machen wir es mal anders.»»

Peterer, Präsidentin der Interessengemeinschaft von Missbrauchsbetroffenen in kirchlichen Umfeld (IG MiKu), sprach auf dem Podium «Sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch in den Kirchen – wie weiter?», zu dem die Katholische Kirche Region Bern, die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde und die Offene Kirche Bern eingeladen hatten. Rund 30 Personen waren der Einladung gefolgt, darunter Rita Famos, Präsidentin der Evangelischen Kirche Schweiz.


Vreni Peterer erntete für ihr Statement spontanen Applaus. 40 Betroffene hätten sich seit der Publikation der Pilotstudie am 12. Septemberbei der IG MikU gemeldet, so Peterer, und weitere 100 direkt beim Forschungsteam der Universität Zürich.

Verantwortliche reagieren nicht von sich aus

Von einem Kulturwandel war damals die Rede, an der Medienkonferenz anlässlich der Publikation der Pilotstudie. Doch auf seine Frage nach deren Auswirkungen auf die römisch-katholische Kirche erhält Moderator Norbert Bischofberger ernüchternde Antworten. Die Kirche bewege sich zu langsam, sagte Stefan Loppacher, Präventionsbeauftragter ders Bistums Chur und Leiter des Fachgremiums "Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld" der Schweizer Bischofskonferenz, «die Bischöfe sind nicht in der Lage, von alleine die richtigen Themen zu setzen.»


Die Verantwortlichen reagierten erst, «wenn wieder etwas herausgekommen ist», doppelte Vreni Peterer nach. Als Beispiel erwähnte sie die von Betroffenenorganisationen schon lange geforderte, unabhängige Anlaufstelle. Eine solche war am 12. September in Aussicht gestellt worden. «Wir mussten uns selber bei Bischof Joseph Bonnemain melden, um zu fragen, was in dieser Sache eigentlich läuft», erzählt sie.

Evangelische Kirche nicht vor Missbrauch gefeit

Nur wenige Tage vor dem Podium in Bern veröffentlichte die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) eine Missbrauchsstudie. Die vergleichbaren Zahlen zeigten: «Auch die reformierte Kirche ist nicht gegen Missbrauch gefeit», sagte Gabriela Allemann, Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz. Auch die evangelischen Kirchen hätten ein überhöhtes Pfarrerbild, dieses verleihe den Pfarrern eine gewisse Unberührbarkeit.

Trotz Frauenordination seien auch die evangelischen Kirchen patriarchal geprägt und Machtstrukturen zu wenig beleuchtet worden. Deshalb wäre es vermessen zu sagen, für die reformierte Kirche in der Schweiz seien andere Dimensionen zu erwarten, so Allemann.

Vielfältige Ursachen

Dennoch werfen die Resultate der Evangelischen Kirche die Frage auf, inwiefern katholische Eigenheiten wie Zölibat oder fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter tatsächlich zu Übergriffen führen. Die Forschung zeige, dass patriarchale, hierarchische Strukturen Missbrauch begünstigten», sagte Sonja Matter, Geschlechterforscherin der Universität Bern. Diese finde man auch in anderen Institutionen, aber sie seien in der katholischen Kirche sehr ausgeprägt.


«Missbrauch hat nie monokausale Ursachen», so Stefan Loppacher. Geschlechterdiskriminierung sei ein Risiko für jede Firma, und der Zölibat sei unbestritten ein Risikofaktor.  

Trotz der düsteren Analyse wollte Norbert Bischofberger wissen: «Was braucht es weiter, um Missbrauch zu verhindern?» Das Thema enttabuisieren, indem man darüber spricht, sagte Allemann.  Eine einmalige Schulung der Mitarbeitenden genüge nicht. «Wir müssen die Seelsorge qualitativ verbessern», schlug Loppacher vor: «Was sind Risiko-Situationen? Wo fehlen Teams, sodass eine Einzelperson die Leitung übernimmt? Wem sind Pfarrer Rechenschaft schuldig?» Der Präventionsbeauftragte wies darauf hin, dass es in der Kirche kaum professionelle Strukturen im Bereich Human Ressources gebe. «Den Willen, das zu ändern, sehe ich nicht».

Spiritueller Missbrauch

Auch im Bereich spiritueller Missbrauch – ein Thema, das an der Medienkonferenz vom 12. September mehrfach erwähnt wurde – sei zwar etwas in Bewegung, doch «die Kirche ist überfordert, sich diesem Thema überhaupt zu stellen», konstatierte Loppacher. Als eindrückliches Beispiel, wie sehr spiritueller Missbrauch mit sexuellem zusammenhängen kann, erzählte Vreni Peterer von ihrer «riesigen Angst» den Namen des Täters überhaupt zu nennen, selbst als dieser schon lange tot war, weil er ihr mit Fegefeuer und Hölle gedroht hatte.

Das letzte Wort an diesem Abend gehörte Matthias Fischer. Der Künstler hat als Kind Missbrauch durch einen Priester erlebt. Das Erlebte verarbeitet er in Kunstwerken, die derzeit in der Offenen Kirche ausgestellt sind. Er ermutigte dazu, sich nicht nur auf diese Schwere zu fokussieren, sondern «mit Lust in den Widerstand» zu gehen.
 

Lesen Sie auch: Kommentar zum Podium

Das Podium fand im Rahmen der Ausstellung "Ich lasse dich nicht" statt. Sie zeigt Werke  von Matthias Fischer zur Erfahrung von sexuellem und spirituellem Missbrauch in der Kirche. Lesen Sie dazu: Eine radikalkritische Ausstellung. Kunstwerke von Matthias Fischer in der Heiliggeistkirche.

 

Von Missbrauch betroffen? Hier finden Sie Unterstützung:
Selbsthilfegruppe für Menschen, die sexuelle Gewalt im kirchlichen Umfeld erlebt haben
IG Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld

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