Der Expertenbericht über Kirche und Staat ist auch für Kirchenferne interessant. Synodalrätin Claire Haltner, 59, verheiratet, drei Kinder. Sie lebt in Spiez. Foto Pia Neuenschwander
Kirche - Nicht nur am Sonntag!
Claire Haltner ist im Synodalrat der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Bern für Spezialseelsorge und für die Pfarrstellenzuteilung verantwortlich. Der Expertenbericht zum Verhältnis Kirche und Staat ist für Claire Haltner eine eindrückliche Auslegeordnung über die Leistungen der Kirche.
«pfarrblatt»: Vor Ostern wurde der Expertenbericht zu den Kirchen veröffentlicht. Ist er für Sie ein Ostergeschenk?
Claire Haltner: Nein, das ist doch eher Zufall, dass er vor Ostern veröffentlicht wurde. Aber er ist sehr positiv, zeigt was Kirchen für die Gesellschaft leisten. Er bietet eine eindrückliche Auslegeordnung.
Ostern liegt hinter uns. Was bedeuten Ihnen die Ostertage?
Ostern hat für mich zwei Hauptbedeutungen. Zum einen ist es Abschied von etwas lieb gewordenem, zum anderen hat es die Bedeutung, dass etwas Neues entsteht, alles eine neue Richtung bekommt. Das erinnert mich immer an den Tod meines Vaters. Drei Tage nach seiner Beerdigung kam eine Nichte zur Welt, die auch Gene meines Vaters in sich trägt. Ostern hat mit dem ganzen Leben zu tun.
Was zeichnet den Bericht aus?
Er ist sehr sachlich verfasst, misst alle Kirchen mit gleichen Ellen und er hat eine erfreulich verständliche Sprache. Ich habe ihn gern gelesen und glaube, dass er auch für Unbeteiligte, Kirchenferne gut zugänglich ist. Er zeigt aber deutlich auf, dass die gesellschaftlich relevanten Leistungen der Kirchen höher sind, als die vom Staat zu gunsten der Kirchen eingesetzten Mittel.
Der Auslöser für den Bericht ist die Spardebatte ASP im Kanton. Bietet er jetzt eine Chance mit dem Kanton konstruktiv zusammenzuarbeiten, oder herrscht eher das Gefühl vor, die Kirchen werden angegriffen?
Nein, weder der Bericht noch die Stellungnahme des Regierungsrates sind ein Angriff auf die Kirche. Sie sind eine Chance, jetzt auf guter Grundlage unter den Kirchen und mit dem Kanton aufbauend zusammen zu arbeiten. Ich freue mich auf die Gespräche.
Spardruck oder Missbrauchsdebatte - die Kirchen stecken in der Krise. Sprechen Sie in Ihrem persönlichen Umfeld darüber?
Natürlich. Zum Beispiel nehme ich regelmässig an einem Philosophiekaffee teil. Da wird über Gott und die Welt diskutiert. Da setzen sich Kirchennahe und Kirchenferne mit diesen Themen kritisch auseinander. Meiner Generation ist die Kirche schon noch wichtig. Bei der Generation meiner Kinder gibt es bereits mehr Distanz. Weder wird auf die Schnelle geheiratet, noch sofort getauft. Man nimmt sich mehr Zeit, hinterfragt mehr und entscheidet selbständiger. Dieser Rhythmus ist heute durch den gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel anders als noch zu unserer Zeit. Und - wichtig - das heisst nicht, dass heute nicht genauso wesentliche Auseinandersetzungen mit den Fragen des Lebens und des Glaubens geführt werden.
Wie sind Sie persönlich kirchlich sozialisiert?
Ich wuchs im Kanton Solothurn auf, mein Mann ist reformiert. Als wir nach Spiez zogen, in die Diaspora, habe ich mich immer bewusster mit meinem Katholisch-sein auseinandergesetzt.
Warum ist Ihnen Glauben wichtig?
Für mich ist der Glaube wie ein Raum, in den ich mich zurückziehen kann, wo ich Kraft und gute Gedanken schöpfe, mich mit mir und Gott auseinandersetze. In dieser Stille gewinne ich Weite und Übersicht für meine Aufgaben und den Alltag. Ich war lange im Verein Jakobsweg Schweiz aktiv. Pilgern ist auch eine Auseinandersetzung mit Gott und dem Leben. Da lernte ich auch, bei Schwierigkeiten nicht einfach aufzugeben. Schritt für Schritt weitergehen, hilft Probleme zu lösen.
Was hat Sie bewogen, sich als Synodalrätin wählen zu lassen?
Meine Erfahrungen auf kommunaler Ebene als Kirchgemeinderätin und als Synodalin haben mir gezeigt, das wir Frauen auf allen Ebenen mitwirken und mitgestalten sollten. Die Landeskirche ist dazu da, Infrastruktur, gute Arbeitsbedingungen und Voraussetzungen für die Arbeit in der Seelsorge zu schaffen, so dass die Seelsorgenden wirksam für die Menschen da sein können.
Für welches Ressort sind Sie zuständig?
Zum einen bin ich für die Spezialseelsorge wie die Gefängnisseelsorge und die Spitalseelsorge zuständig. Da geht es um verletzte und verletzliche Menschen, die Hilfe benötigen. Dann bin ich auch für die neue Pfarrstellenzuordnung zuständig. Sie soll gewährleisten dass imganzen Kanton die Versorgung trotz Sparübungen gewährt bleibt. Zudem liegt mir die Qualität der Ausbildung von Seelsorgenden und Religionspädagogen sehr am Herzen.
Der Bericht bestätigt: Vor allem das soziale Engagement der Kirche für die Gesellschaft geniesst Anerkennung. Begegnen sie dieser Akzeptanz?
Ja, klar. Auch Menschen, die mit der Kirche gar nichts anfangen können, sagen mir meist, dass der Einsatz der Kirchen bei Schwachen, Ausgegrenzten, alten Menschen, Flüchtlingen eindrücklich sei. Diese Hilfe leisten konkrete Menschen. Gerade die freiwillige Solidarität, die in kirchlichen Kreisen generiert wird, ist ein grosses Potenzial an Wertschöpfung. Kirche findet nicht nur am Sonntag statt. Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft auf diese Leistungen so einfach verzichten kann und will.
Die Landeskirchen geben erstmals auf die BEA eine gemeinsame Kirchenzeitung heraus. Was soll diese Zeitung bewirken?
Die Zeitung ist ein eigentliches Argumentarium. Sie zeigt, was die Kirchen leisten, zeigt das ganze Spektrum auf, Persönlichkeiten äussern sich zu diesen Leistungen. Diese Zeitung soll den Dialog in den kommenden Monaten begleiten, anstossen, Hilfe für gute Gespräche bieten. Und sie soll auch aufzeigen, dass der Staat nicht alles allein leisten kann.
Sind weitere Aktionen geplant?
Ja, am 20. April werden die Verantwortlichen von Dekanaten, Pfarreien und Kirchgemeinden zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Darauf hin sollen dann Diskussionen in den Pfarreien erfolgen. Dafür ist jede Pfarrei selber verantwortlich. Gleichzeitig wird eine Vernehmlassung zu den Leitsätzen des Regierungsrates lanciert.
Steht der diesjährige Auftritt der Kirchen an der BEA im Zeichen der laufenden Debatte?
Ich freue mich immer darauf, an der BEA beim Kirchenstand vorbeizugehen. Mitten in der Marktwirtschaft stellt er eine Insel dar, macht auf andere Werte, die im Leben wesentlich sind, aufmerksam. Es wird am Stand auf bedeutende Wirkungskreise, in der die Kirchen tätig sind, aufmerksam gemacht und es werden Kurz-Diskussionen mit interessanten Persönlichkeiten stattfinden, die Roland Jeanneret moderiert. Es lohnt sich also vorbeizuschauen.
Interview: Jürg Meienberg
Der Artikel der Kirchenzeitung wird am Montag, 20. April hier aufgeschalten!
Expertenbericht
Website der katholischen Landeskirche des Kantons Bern
Kirche und Staat. Interview mit Synodalratspräsident Josef Wäckerle
Expertenbericht - Zusammenfassung
Bericht des Regierungsrats - Zusammenfassung