Greta Thunberg, Studentin und Klimaaktivistin. Hier in Montreal, Kanada, 27. September. Foto: Paul Chiasson/The Canadian Press via AP, Keystone
Klimareligion, die –
Das derzeitige Thema schlechthin - kontovers und hitzig diskutiert
Wer im Rahmen der heisslaufenden Klimadebatte die Kommentarspalten einschlägiger Tageszeitungen liest, stösst früher oder später auf die Schmähung der Klimabewegung als «Pseudoreligion». Greta Thunberg sei eine «Prophetin» und wir «Klimajünger» wollten mit «sektiererischem Eifer» allen anderen unsere Dogmen aufzwingen.
Abgesehen von der gräulichen Ignoranz und dem abstossenden Hass, den manche erwachsenen Menschen offenbar gegen ein 16-jähriges Mädchen entwickeln können, fällt auf, wie viele Parallelen zwischen Klimabewegung und Religion gezogen werden. Glauben heisst nicht wissen, so die Devise derer, die gleichzeitig den einhelligen Konsens der Wissenschaft leugnen. Zweierlei wird den Klimaschützenden unterstellt: dass sie nicht belegbaren Glaubenssätzen anhingen und dies so radikal täten, wie es nur religiöse Fundamentalisten können – resultierend in der Unterdrückung Andersdenkender.
Ist der Klimaschutz eine «Ersatzreligion»? Das Wort hört man auch in zahlreichen anderen Kontexten – interessanterweise meist aus der rechten Hälfte des politischen Spektrums. Ob Vegetarismus, Feminismus, interkulturelle Toleranz oder Yoga, alles Ersatzreligionen, verblendet und dogmatisch. Darin zeigt sich die typische Abwehrreaktion reaktionärer und liberaler Kreise, jede mehr oder weniger radikale Forderung als unverhältnismässig und extrem hinzustellen – und so den Status quo zu erhalten. Das gelingt besonders gut, wenn eine Forderung als «religiös» disqualifiziert wird.
Wieso sollten wir Christ*innen uns dafür rechtfertigen müssen? Jesus selbst war radikal. Sein Ruf zur Umkehr, seine Aussagen zu Reichtum, Verantwortung und Handeln in Liebe hätten radikaler nicht sein können. Als verblendeten Extremisten werden ihn die Reichen seiner Zeit bezeichnet haben, als Jesus sie aufforderte, alle Habe den Armen zu geben. Genauso wie wir heute als Fundamentalisten verschrien werden, wenn wir fordern, das Überleben des Planeten vor den Profit der Ölindustrie zu stellen. Was für ein Extremismus.
Sebastian Schafer