Der Mensch ist die Hauptursache der Klimaerwärmung. Foto: Matt Foster/unsplash
Klimawandel – Chance für Kulturwandel
Agrarökologe Franz X. Stadelmann über klimagerechtes Verhalten und einen Gewinn an Lebensqualität
Menschen gibt es seit rund 2,5 Millionen Jahren. Mit der Agrar-Revolution vor 15'000 bis 10'000 Jahren, als sich die Jäger und Sammler zu Viehzüchtern, Hirten und sesshaften Ackerbauern entwickelten, begann durch die erhöhte Emission der Treibhausgase Kohlendioxid, Lachgas und Methan der menschliche Einfluss aufs Klima.
Autor: Franz X. Stadelmann, Dr. phil. nat., Agrarökologe
Mit der industriellen Revolution, der zweiten grossen menschlichen Revolution, setzte im 19. Jahrhundert der massive menschliche Verbrauch von Kohle, Erdöl, Erdgas und Torf ein. Diese fossilen Energiequellen wurden während Jahrtausenden primär aus Lebewesen gebildet und werden speziell seit 1950 vom Menschen – als einzige von rund 20 Millionen Arten – innert weniger Jahrzehnte ausgebeutet.
Schon lange wurde gewarnt, dass die extreme Emissionszunahme der Treibhausgase einschneidende Folgen für Menschen, Ökosysteme und Nahrungsmittelproduktion haben wird. Die Nationale UNESCO-Kommission und die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft z. B. veröffentlichten 1982 die Broschüre «Wie wir unsere Erde zum Treibhaus machen. Unterwegs zur Klimakatastrophe durch Kohlendioxid». Die Prognose ist Realität geworden. Der Mensch ist die Hauptursache der Klimaänderung, welche im Vergleich zu andern Umweltschäden globale und langfristige Folgen hat, so z.B. Anstieg von Temperatur und Meeresspiegel, Gletscherschwund, Dürre, Wassermangel, Überschwemmungen, Steinschläge, Murgänge, Klimaflüchtlinge.
Noch fehlt in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der solidarisch notwendige Schritt vom Wissen zum Handeln. Es bedurfte des Weckrufs der Schülerin Greta Thunberg und der Klimajugend, die sich Sorgen um ihre Zukunft und unsere Lebensgrundlagen machen. Resignation, aber auch Schlagwörter wie Klimakiller, -katastrophe, -alarm, -sünder sind keine langfristig überzeugende Motoren zum Handeln. Notwendig ist eine dritte menschliche Revolution, eine Kulturrevolution. Der Klimawandel, genauso wie das Coranavirus, bietet eine Chance für einen menschlichen Kulturwandel. Das Wort Kultur leitet sich vom Verb colere ab, was «bebauen, bestellen, pflegen, Sorge tragen» sowie «verehren, wohnen» bedeutet.
Der Mensch kann als einziges Lebewesen Verstand, Herz und Sinne holistisch einsetzen, verantwortungsvoll die anvertrauten Ressourcen nachhaltig nutzen und schützen, pfleglich, achtsam und sorgend mit der Erde als gemeinsame Wohnung umgehen. Wer das Klima schützen will, muss es vor dem Menschen schützen, und wer den Menschen schützen will, muss das Klima schützen. Er wählt klimaschutzaktive Politiker*innen, unterstützt Klimaschutzmassnahmen, berücksichtigt klimafreundliche Firmen bei Aufträgen und beim Kauf von Produkten, investiert in gerechte, ökologisch und sozial nachhaltige Anlagen, kauft klimafreundlich produzierte und transportierte Nahrungsmittel und andere Konsumgüter, vermeidet Flug- und Autoverkehr, hohe Heiztemperaturen, Fleischkonsum und das Wegwerfen von Nahrungsmitteln, hinterfragt das Wachstumsdogma.
Klimagerechtes Verhalten wie Masshalten, Genügsamkeit, Respekt und Bescheidenheit bedeutet einen Gewinn an Lebensqualität, Gesundheit, geistiger und physischer Beweglichkeit, Wohlbefinden, Entschleunigung, Musse und Zeit für menschliche Kontakte, Natur- und Kulturerlebnisse, gespürtes Erfahren des eigenen Da- und Soseins. Der Blick eines strahlenden Kindes ist mehr wert als der Blick am Steuer auf eine Blechlawine auf der Autobahn. Das Betrachten einer Ameisenkolonie, das Lauschen eines Vogelkonzerts, das Einatmen frischer Waldluft, das Bestaunen der Farbenpracht einer Naturwiese ist beglückender als bei einer Kreuzfahrt das Aussterben des letzten Eisbären mitzuerleben. Wenig tiefgründig erleben kann mehr bereichern als viel nur oberflächlich. Erst ein Mensch, der aktiv etwas für den Klimaschutz tut, strahlt Hoffnung aus. Wer hofft, glaubt an eine lebenswerte enkeltaugliche Zukunft, liebt alles Seiende, ja erweist sich seines Namens würdig: «Homo sapiens sapiens» – ganz weiser Mensch.
Erstpublikation in: klimafreundlich Schweiz 2020, Das Jahrbuch für Nachhaltigkeit, Ökologie und Lifestyle, August 2020.