Gemeinsame Lieder, gefüllter Truthahn sowie «Christmas crackers» gehören für Trant Luard zum 25. Dezember. Foto: Pia Neuenschwander
«Knallbonbons haben eine religiöse Bedeutung»
Britische Adventsbräuche in Bern
Weihnachtspudding, unzählige Weihnachtskarten und ein Kuss unter dem Mistelzweig – dank Charles Dickens, Jane Austen, «Mr. Bean» und «Bridget Jones» meinen wir, britische Adventsbräuche zu kennen. Doch was tun Brit:innen um Weihnachten herum wirklich? Trant Luard, 66, aus Bern erzählt von den Bräuchen seiner Familie und was dahintersteckt.
Interview und Übersetzung: Anouk Hiedl
«pfarrblatt»: Was ist Ihr liebster Adventsbrauch?
Trant Luard: Am schönsten finde ich die Adventslieder – und die Weihnachtskarten, die ins Haus flattern. Eine weitere Tradition, die ich als Kind liebgewonnen habe, ist das sogenannte «bell ringing». In der ländlichen Gegend von Little Baddow, wo ich herkomme, lassen Kirchen im Advent ihre melodischen Glockenspiele, die «carillons», erklingen. Bis heute pflege ich mit meiner Familie den «Stir-up Sunday».
Im «Book of Common Prayer» beginnt das entsprechende Tagesgebet mit «Stir up, we beseech thee, O Lord, the wills of thy faithful people». Dass Gott sein Volk zu Rechtschaffenheit «aufrühre» ist mit der Zubereitung des «Christmas Cake» verbunden worden. Am letzten Sonntag vor dem ersten Advent hilft ft die ganze Familie mit, die schwere Kuchenmischung aufzurühren.
Was darf für Sie an Weihnachten nicht fehlen?
Für uns ist der 25. Dezember der «grosse» Tag, an dem wir mit der ganzen Familie feiern. Im Zentrum steht ein Truthahn, den ich jeweils mit Kräuter- und Kastanienmischungen fülle. Dazu gibt’s Bratkartoffeln, Rosenkohl, Würstchen, Speck sowie Cranberry- und Brotsauce. Letztere schmeckt mit Rahm und Butter viel besser, als sie klingt. Danach gibt’s den «Christmas Cake». Diesen Kuchen mit getrockneten Früchten, Nüssen, etwas Alkohol und einem Marzipanüberzug bereite ich im Advent vor.
Mein Sohn und ich backen stets auch «mince pies». Die süsse Füllung sieht wie Hackfleisch aus, doch auch da sind gehackte Trockenfrüchte und Nüsse drin. Nach dem Essen geht’s an die «Christmas crackers». Darin ist – bumm! – stets ein Spielzeug, ein Witz und eine Papierkrone. Letztere ist ein Symbol für den neugeborenen König. Knallbonbons haben also auch eine religiöse Bedeutung.
Welcher Brauch ist Ihnen besonders wichtig?
Die Weihnachtslieder. Zu Hause singen wir sie oft und informell, auch beim Kochen. Viele dieser «Christmas carols» gehen auf heidnische, vorchristliche Zeiten zurück und besingen die Natur und die Winterzeit in Grossbritannien. Am 24. Dezember strahlt die BBC jeweils den Weihnachtsgottesdienst «Nine lessons and carols» mit dem King’s College Choir aus Cambridge aus. Dieses gehört bei den Vorbereitungen für unser Weihnachtsessen dazu.
Haben Sie Bräuche aus Ihrer Heimat aufgegeben?
Ja, die Weihnachtssocken für die Kinder und später auch für unsere Eltern. Wir füllten diese mit je einer Mandarine, einem Apfel und einer Pfundnote sowie vielen kleinen Plastikspielsachen und Süssigkeiten. Im Advent trafen wir uns auch stets mit 20 bis 30 Leuten, um Weihnachtslieder zu singen.
Sind britische Traditionen kulturell oder religiös geprägt?
Beides. Ich lebe die Tradition des Weihnachtssingens auch in der Kirche, denn religiöse Aspekte bleiben mir wichtig. Leider geht es im Advent oft mehr um den Mammon als um Gott. Am «Black Friday» geht der allgemeine Kaufrausch los.
Haben Sie Traditionen von Ihrer Schweizer Frau übernommen?
Ja, als die Kinder klein waren, feierten wir den «Samichlous» mit Freunden und Nachbarn. Und zudem kommt jeden Sonntag im Dezember der Adventsengel und versteckt im Wohnzimmer je ein in Stoff gehülltes Geschenk für uns alle. Der Engel ist meine Frau. Aber wir tun so, als wüssten wir das nicht.
Was sagen Sie zu hiesigen Bräuchen?
Ich mag den Fokus des «Samichlous» auf die Kinder. Am 6. Dezember essen wir jeweils unsere erste Zitrusfrucht der Saison. Als ich 2001 in die Schweiz kam, waren mir Weihnachtsgüetzi neu. Und noch heute wäre es seltsam für mich, Weihnachten am 24. Dezember zu feiern und Fondue chinoise als Festessen aufzutischen.
Last, but not least: Wie viele Weihnachtskarten werden Sie schreiben?
Maximal zwei. Ich verschicke keine E-Mail-Karten, da ich das nicht gut finde. Aber ich werde mir Zeit für verschiedene Anrufe nehmen. Die Stimme des Gegenübers zu hören und sich auszutauschen ist zutiefst persönlich.
«Carol services»: anglikanische Gottesdienste mit «Christmas carols»
Donnerstag, 15. Dezember, 19.00, French Chapel, Frutigenstrasse 22, Thun
Sonntag, 18. Dezember, 18.00, St. Ursula’s church, Jubiläumsplatz 2, Bern
Erfahren Sie mehr über den jährlichen Weihnachtsgottesdienst auf BBC:
«A Festival of Nine Lessons & Carols: The Centenary Service» (2020)
«Introducing Nine Lessons & Carols» (2012)