Medienkonferenz Sexueller Missbrauch

Vreni Peterer ist seit der Medienkonferenz zur Missbrauchsstudie zum Gesicht der Betroffenen geworden. Fotos: Moritz Hager

Kulturwandel in Sicht?

Wo steht das Bistum Basel in der Umsetzung der Massnahmen, die nach Publikation der Missbrauchsstudie vor einem Jahr verkündet wurden? Ein Augenschein anhand der Missbrauchs-Meldestelle. Teil 1

 

Sylvia Stam

Ein Jahr ist seit der Publikation der Missbrauchsstudie vergangen. Von einem «Kulturwandel» war an der Medienkonferenz vom 12. September 2023 die Rede. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Ordensgemeinschaften (Kovos) und der Dachverband der Kantonalkirchen (RKZ) verkündeten damals Massnahmen, die zu diesem Wandel beitragen sollten.

Für Betroffene sollen schweizweit professionelle Angebote geschaffen werden, bei denen sie Missbräuche melden können, lautet die erste Massnahme. Im Bistum Basel ist dafür bereits seit 2017 die von der Kirche unabhängige Koordinationsperson Christine Hess-Keller, Anwältin und Mediatorin, zuständig. Ihre Anwaltskanzlei nimmt Meldungen von Betroffenen, Zeug:innen oder Beschuldigten entgegen und setzt sich laut Website des Bistums dafür ein, «dass der Vorfall vollständig geklärt wird».

Seit Veröffentlichung der Studie sind bei ihr allein 120 neue Meldungen eingegangen (Stand Juni 2024). Christine Hess-Keller bearbeitet die Meldungen zusammen mit einer weiteren Anwältin.

Juristischer Aspekt im Vordergrund

Basel ist im Vergleich zu den anderen Deutschschweizer Bistümern für diese Aufgabe personell eher knapp aufgestellt. Laut Generalvikar Markus Thürig genügten die beiden Juristinnen aber. Das Bistum schaue die Fälle primär unter dem juristischen Aspekt an. «So können wir den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren lassen», sagt Thürig. Dafür gebe es ein standardisiertes Verfahren mittels Checkliste, worin beispielsweise die Personalien des mutmasslichen Opfers, Tatzeit und Tatort(e), Personalien der beschuldigten Person, erste Massnahmen sowie weitere relevante Informationen festgehalten würden.

Für den deutschsprachigen Teil des Bistums gibt es ausserdem zwei Beratungspersonen aus den Bereichen «Sozialarbeit» und «Psychologie». Dort könne man Missbrauch ebenfalls melden. Die beiden Beratungspersonen sind allerdings verpflichtet, alle juristisch relevanten Meldungen der Anwaltskanzlei Hess zu melden.


Anlaufstelle für spirituellen Missbrauch geplant

Vreni Peterer, Präsidentin der «IG Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld», erinnert gegenüber dem «pfarrblatt» daran, «dass Gespräche mit Betroffenen sehr zeitintensiv sind». Denn die Menschen benötigten Raum, um zu erzählen, was ihnen widerfahren ist.

Dass der juristische Aspekt bei den Untersuchungen im Vordergrund steht, hält sie für recht abstrakt. «Vor allem, weil Betroffene in den meisten Fällen auch spirituellen Missbrauch erlebt haben.» Dies sei jedoch kein Straftatbestand, auch nicht im Kirchenrecht. Aus ihrer Sicht ist es an der Zeit, «auch spirituellen Missbrauch strengstens zu ahnden, denn er verursacht grosses Leid und ist der beste Nährboden für sexuellen Missbrauch».

Dieser Problematik ist sich das Bistum bewusst. Aktuell würden auch Fälle spirituellen Missbrauchs bei der Anwaltskanzlei erfasst und auf allfällige sexuelle Komponenten untersucht. Geht es ausschliesslich um geistlichen Missbrauch, gelangen diese zu Generalvikar Markus Thürig zur weiteren Bearbeitung. Er sei dabei, ein Konzept für den Umgang mit spirituellem Missbrauch zu erstellen, das auch eine eigene Anlaufstelle beinhalte, sagte er gegenüber dem «pfarrblatt». Ziel sei es, dass Konzept und Anlaufstelle bis Ende Jahr stehen.

Zusammenarbeit mit kantonalen Opferhilfestellen

Dass viele Betroffene lediglich von der Kirche gehört werden wollen, ohne in ein juristisches Verfahren verwickelt zu werden, ist den Verantwortlichen des Bistums ebenfalls bewusst. «Das ist tatsächlich ein schwieriger Punkt», sagt Thürig. Das Bistum verweist hierfür an die staatlichen Opferhilfestellen.

Auch Vreni Peterer erachtet diesen Punkt als sehr heikel: «Das kann Betroffene davon abhalten, sich bei der Kirche zu melden.» Transparenz seitens der Verantwortlichen sei wichtig, «aber nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg».

Die Bischofskonferenz ist darum in Kontakt mit den kantonalen Opferhilfestellen, mit denen eine Zusammenarbeit angestrebt wird*. Inwiefern sich in diesem Jahr tatsächlich ein Kulturwandel vollzogen habe, vermag Vreni Peterer nicht zu beurteilen, denn von aussen sehe man nicht, «inwieweit die Verantwortungsträger:innen einen inneren Wandel vollzogen haben».

Erfolge liessen sich an einer transparenten Kommunikation messen. «Solange Betroffene Informationen mühsam einfordern müssen und sie nicht zu den Ersten gehören, die ganz selbstverständlich über Prozessschritte informiert werden, ist noch viel Luft nach oben», so die Präsidentin der Betroffenenorganisation.

Im Nachklang zur Veröffentlichung der Missbrauchsstudie wurde von der RKZ die Forderung formuliert, kirchliche Anstellungen mit Missio vom Privatleben der Personen zu entkoppeln. Das Bistum Basel verweist in dieser Frage auf die Kommission für Theologie und Ökumene, welche im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz bis Spätherbst eine Antwort ausarbeiten wolle.

Ob Bischof Gmür unabhängig von dieser Antwort einer Entkoppelung zustimmen wird, wie dies im deutschen Bistum Essen der Fall ist, ist derzeit noch offen. Die Forderung dürfte an der Luzerner Synode vom 6. November zu reden geben. Sie ist eine der Bedingungen, die das Luzerner Kirchenparlament für die Auszahlung der zweiten Tranche der Gelder ans Bistum aufgestellt hat

*Hinweis: Der Artikel wurde am 4. September publiziert. Am 6. September gab die RKZ bekannt, dass die Kooperation mit den Kantonalen Opferhilfestellen im Januar 2025 starten kann.


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