Joan Miró: «Verbrannte Leinwand 2», 1973. Acryl auf geschnittener und verbrannter Leinwand.
Leerstellen
Wenn Kunst schockiert: Joan Mirós «Verbrannte Leinwand 2»
Aktuell hängt Joan Mirós «Verbrannte Leinwand 2» in Bern. Dieses Bild zu betrachten ist – ein Schock.
von Sandro Fischli
Joan Miró wollte wie etliche andere Künstler:innen des 20. Jahrhunderts gegen die bildende Kunst angehen, die Malerei gegen den Strich bürsten. «Stop painting» hiess eine Ausstellung in Venedig 2020 zu diesem Thema. Es ging darin mehr um Abgrenzung gegen überkommene Formen, Besetzung neuer Formsprachen, also um eine kunstgeschichtliche Auseinandersetzung. Aber die Geschichte prägte diese Entwicklung auch, ohne die Gräuel des Ersten Weltkriegs wäre Dada wohl nicht entstanden, mit Unsinn gegen den Unsinn.
Noch bis zum 7. Mai ist Joan Mirós «Verbrannte Leinwand 2» im Berner Zentrum Paul Klee zu sehen. Das Werk ist buchstäblich hervorragend gehängt – mit grossem Abstand von der Wand, im Raum. Es kann umgangen und von hinten betrachtet werden, es wirft seinen Schatten auf die Wand, die herausgeschnittenen, herausgebrannten Flächen lassen das Licht hindurch.
Bei der Betrachtung dieser beschädigten, zerschnittenen, angebrannten Leinwand fällt mir Theodor Adornos Frage ein, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne. Miró stellte sich hier die Frage, wie er noch malen könne. Wusste er schon von den Brandrodungen im Amazonas, auf Borneo, im Kongo? Mir fällt Jim Morrisons Anklage in «When the Music’s Over» ein: «Was haben wir der Erde angetan? Was haben sie unserer schönen Schwester angetan? Verwüstet und geplündert und zerrissen und gebissen, sie am Rande der Dämmerung mit Messern erstochen und mit Zäunen gefesselt und fertiggemacht.» Mir fällt auch das rätselhafte Zeichen ein, mit dem Jimi Hendrix seine Gitarre in Brand steckte.
Mirós «Verbrannte Leinwand 2» ist ein gemartertes Bild. Und doch ist es im Schatten hinter dem Bild, hinter den brutalen Löchern, hell. «Ein Riss ist in allem, da kommt das Licht hindurch», sang Leonard Cohen. Dieses «doch» macht uns das Bild aber gar nicht einfach, es weist billigen Trost angesichts seiner Beschädigung weit von sich. Hoffnung ist nur als Ahnung angedeutet. Ein bisschen wie die Auferstehung, die aber immer auf die Marter des Kreuzes verweist?