Es gibt zahlreiche Geschichten von Menschen, die das Gelübde zur Ehelosigkeit abgelegt haben - und sich verlieben. Symbolfoto: SeventyFour/iStock
Liebe predigen und sie doch verbieten
Wenn Frauen Priester lieben
«Einerseits predigt die Kirche Liebe und andererseits dürfen wir sie nicht frei und verantwortungsvoll leben.» Diese Doppelmoral erlebten die Frauen der ZöFra, des Vereins vom Zölibat betroffener Frauen, in ihren Beziehungen zu katholischen Priestern täglich. Trotzdem blieben sie fast alle Mitglieder der Kirche. Ein Gespräch mit Vorstandsfrauen der ZöFra.
von Rafaela Estermann, religion.ch*
Sie ist das Kernthema der Bibel: die Liebe. Und doch scheint es sich die römisch-katholische Kirche zum Auftrag gemacht zu haben, Liebe unter bestimmten Umständen zu verhindern, zu verbieten. Im Fokus: das Pflichtzölibat. Mit dessen Einführung im 11. Jahrhundert wollte die Kirche die Vererbung kirchlicher Pfründe an die Kinder von verheirateten Priestern verhindern und die Priester mit voller Aufmerksamkeit und Hingabe ihrem Amt verpflichtet wissen.
Dennoch gibt es seitdem zahlreiche Geschichten von Menschen, die das Gelübde zur Ehelosigkeit, also zum Pflicht-Zölibat, abgelegt haben – und sich verliebten. Einige dieser Geschichten sind geprägt von Leid und Not, weil die Liebe nicht hätte gelebt sein dürfen. Was eigentlich wunderschön ist, brachte Trauer und Schmerz, oft tiefe Verletzungen.
Aus dieser Not entstand in der Schweiz der im Jahr 2000 gegründete Verein ZöFra, für die vom Zölibat betroffenen Frauen. Über die Geschichten der Frauen und Priester berichtet eine der Mitgründerinnen, Gabriella Loser Friedli, im 2014 erschienenen Buch «Oh, Gott! Kreuzweg Zölibat». Acht Jahre später, im Frühling 2022, treffe ich die drei Vorstandsfrauen der ZöFra, um mit ihnen über die Liebe zu sprechen.
Die Gesellschaft hat sich verändert
Früher waren die gesellschaftlichen Normen ganz anders. Uneheliche Kinder, Beziehungen ohne Heirat, Scheidungen und Laisierungsverfahren von Priestern lösten gesellschaftliche Skandale aus.
Verliebten sich eine Frau und ein Priester, zwang sie der Regelbruch zur Geheimniskrämerei: «Früher musste man in einem Pfarrhaus wohnen. Damit einher ging dann auch, dass genau beobachtet wurde, wer da ein und aus geht. Man musste ein Versteckspiel spielen», erklärt eine Vorstandsfrau der ZöFra.
Dieses Leben im Verborgenen war bei vielen Betroffenen Ursache für Leid und Kummer. Doch die Gesellschaft hat sich verändert und mit ihr auch die Bedingungen für verliebte Priester und in Priester verliebte Frauen.
Nicht nur gibt es aufgrund des Mitgliederschwundes der katholischen Kirche von beiden massiv weniger, es löst auch einfach bei niemandem mehr einen Aufschrei aus, wenn der Partner Priester ist – höchstens aus anderen Gründen.
Der Ausstieg ist wesentlich einfacher, wenn du nicht mit Arbeitslosigkeit und einer beruflichen Neuorientierung konfrontiert bist.
Weil es sich die katholische Kirche ausserdem nicht leisten kann, ihr ganzes Bodenpersonal an die Liebe zu verlieren, dürfen laisierte Priester in der Deutschschweiz beinahe dieselben Aufgaben in Kirchgemeinden erfüllen, wie vor ihrer Laisierung. Einzig die Sakramente dürfen sie nicht mehr spenden.
Zu einer Beziehung zu stehen, ist heute daher weder für den Priester noch für die in ihn verliebte Frau mit einem grossen Risiko verbunden. So präzisiert eine der Vorstandsfrauen: «Wenn die Frage der Liebe mit der Existenz gekoppelt ist, nimmt es nochmals eine andere Dimension an. Der Ausstieg ist wesentlich einfacher, wenn du nicht mit Arbeitslosigkeit und einer beruflichen Neuorientierung konfrontiert bist.»
Reduktion auf die Sexualität
Der Wandel der Gesellschaft brachte in der Schweiz auch einen Wandel in den kirchlichen Strukturen, was die Liebe in vielerlei Hinsicht erleichtert. Auf dem Weg dahin wurden die Frauen der ZöFra jedoch häufig mit der Kirche als Institution konfrontiert, die trotz froher Botschaft speziell in einer Liebesbeziehung zwischen einem Priester und einer Frau nur wenig Sinn für die Liebe hatte: «Es ist störend, auch verletzend, dass diese Liebesbeziehung auf die Frage reduziert wird, ob ein sexueller Kontakt zwischen diesen beiden Menschen gelebt wird oder nicht.
Die Schwerpunkte von Beziehungen sind ja eigentlich Liebe und Zuneigung für jemanden, Verantwortung füreinander zu übernehmen und zusammen einen Weg zu gehen, ob spirituell oder und praktisch im Alltag, einfach füreinander da zu sein. Das nur auf die Frage der Sexualität zu reduzieren, wird der Fülle des Begriffes Liebe nicht gerecht. Das stimmt für mich nicht.»
Das sei allgemein ein Problem in der katholischen Kirche: Die Sexualität ist nach wie vor ein rotes Tuch. Die Kirche, geprägt von patriarchalen Strukturen, reduziere die Weiblichkeit auf Sexualität und Verführung. Die Frauen der ZöFra sind überzeugt: Wenn Frauen in der Kirche eine andere Stellung hätten, wäre das anders. Gelebte Sexualität ist Teil der Fülle des Lebens und müsste folglich nicht verboten werden. Es gebe eigentlich sowieso keinen biblischen Grund dafür, dass das Zölibat für Ortspriester weiter Pflicht sein sollte.
Die Institution Kirche und den persönlichen Glauben trennen
Trotz aller Kritik an der Institution Kirche sind die ZöFra-Frauen nicht nur in der katholischen Kirche geblieben, sondern engagieren sich häufig mit Herzblut. Aber das ganze System der männerdominierten, hierarchischen römisch-katholischen Kirche, die den Menschen vorschreibt, wie sie zu leben haben, können sie nicht befürworten:
«Für mich war es auch immer eine Doppelmoral. Einerseits predigt die Kirche Liebe und andererseits dürfen wir sie nicht frei und verantwortungsvoll leben. Diese Doppelmoral habe ich manchmal fast nicht ausgehalten. Wir wussten, wie wir einander lieben, wir lebten das auch, wenn wir zusammen sein konnten, aber wenn wir aus dem Haus gingen, waren wir wie Schwester und Bruder.»
Mein persönlicher Glaube hängt mit Jesus und seiner Botschaft zusammen. Die Glaubenslehren der Kirche, die an Dogmen gebunden sind - zu denen kann ich nicht stehen.
Durch das System der römisch-katholischen Kirche mussten sie früh lernen, die Institution Kirche und den persönlichen Glauben zu trennen: «Ich habe das schon damals nicht mehr zusammengebracht und jetzt erst recht nicht mehr. Mein persönlicher Glaube hängt mit Jesus und seiner Botschaft zusammen. Die Glaubenslehren der Kirche, die an Dogmen gebunden sind – zu denen kann ich nicht stehen.»
Bei der Botschaft von Jesus gehe es um Liebe und die Ehe sei einfach eine Art der Gesellschaft, diese irgendwie in Strukturen zu giessen. Wenn man die Nachfolge Jesus so verstehe, passe ein solches Gesetz wie das Pflichtzölibat überhaupt nicht zum christlichen Glauben.
Trotzdem sind die Frauen der ZöFra wie auch viele andere Menschen in der Schweiz im katholischen Glauben und Leben beheimatet. Es geht um mehr als um eine Institution mit Sitz in Rom. Es ist die Art und Weise, wie man aufgewachsen ist. Die Rituale und Feste, die man erleben darf und mit denen man tiefe Emotionen verbindet. Eine religiöse Praxis, die tiefer sitzt als irgendwelche Glaubenslehren, ausgedacht von Gelehrten.
Die reale Kirche vor Ort sollte ebenfalls nicht mit der Institution verwechselt werden. In den Kirchgemeinden setzen sich viele Menschen für einen Weg der Reformen ein. Die Basis fordert, das zeigt sich auch im Synodalen Prozess, dass Frauen in der Kirche eine andere Stellung erhalten.
Aber das sei das Problem einer Weltkirche: Nur weil Menschen hier etwas verändern wollen, heisst das nicht, dass am anderen Ende der Welt die Menschen dasselbe wollen.
Zuletzt bleibt die Hoffnung, dass nur wer dabeibleibt, auch weiterhin mitgestalten kann. Auch wenn sich die Frauen der ZöFra immer wieder fragen, ob sie tatsächlich etwas bewegen können.
Oder muss diese Kirche sterben und müssen alle austreten, sodass nur noch die dabei sind, die hinter all dem stehen können? Die Frage bleibt – noch – unbeantwortet im Raum.
Wie geht es weiter mit der ZöFra?
Die Welt und die Gesellschaft haben sich verändert. Auch bei der ZöFra gibt es nicht mehr viele Frauen, die betroffen sind, weil es insgesamt viel weniger Priester gibt. Frauen seien zudem auch selbstbewusster, beispielsweise in Beziehungen.
Dementsprechend gibt es nur noch vereinzelt Anfragen von Frauen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie jemanden kennengelernt haben. In der Zwischenzeit gibt es viele andere Organisationen, die sich für Frauen in der Kirche einsetzen. Die ZöFra wird sich also wahrscheinlich auflösen: «Bis in 10 Jahren braucht es unseren Verein nicht mehr», hoffen die Vorstandsfrauen der ZöFra.
* Erstpublikation bei religion.ch, 12.7.22