Doris Leuthard am Staatsakt in Sarnen | © Vera Rüttimann
«Man glaubte Bruder Klaus, weil man ihm nicht misstrauen konnte»
Staatsakt zu Ehren Bruder Klaus in Sarnen, 30. April
«Zuhören» und «Vertrauen» waren Begriffe, die in den Reden anlässlich des Staatsakts zum 600. Geburtstag von Niklaus von Flüe im Zentrum standen. Bundespräsidentin Doris Leuthard ging ebenso darauf ein wie Festredner und Literaturprofessor Peter von Matt. Unter den 300 geladenen Gästen befanden sich auch zahlreiche Kirchenvertreter.
Von Sylvia Stam, kath.ch
Unter einem strahlend blauen Himmel waren am Sonntag, 30. April, die gegen 700 Personen, davon 300 Gäste vor allem aus Politik, aber auch aus kirchlichen Kreisen, vom Dorfplatz in Sarnen OW den kurzen Weg hinauf zum so genannten «Landenberg» gelaufen. Der Ort, wo traditionellerweise die Landsgemeinde stattfand. Begleitet wurde der Zug denn auch von den Klängen der Feldmusik Sarnen, die den Landsgemeindemarsch spielte.
Der Platz auf dem Landenberg schien prädestiniert für den Staatsakt anlässlich des Geburtstags eines Heiligen: Auf der Rednerbühne ein grosses, schlichtes Holzkreuz, gesäumt von der Fahne des Kantons Obwalden und der Landesfahne. Im Hintergrund ein strahlend blauer Himmel und ein grandioser Blick in die verschneiten Ob- und Nidwaldner Alpen. Als hätte Bruder Klaus genau rechtzeitig ein Wunder gewirkt und nach tagelangem Schneeregen die Sonne scheinen lassen.
Über allen Konfessionen
Der Obwaldner Landammann und Präsident des Trägervereins «600 Jahre Niklaus von Flüe», Franz Enderli, wies in seiner Begrüssung darauf hin, dass alle Stände an diesem Staatsakt vertreten seien. «Ein starkes Zeichen», so Enderli. In seiner Begrüssung erwähnte er auch Markus Büchel als Vertreter der Schweizer Bischofskonferenz, Generalvikar Martin Kopp als Vertreter des Bistums Chur, die Äbte von Muri-Gries und von Engelberg, die Äbtissin des Klosters Sarnen und die Priorin des Klosters Melchtal sowie Peter Schmid als Vertreter des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes.
Denn schliesslich stehe Niklaus von Flüe über allen Konfessionen, so Enderli. Trotz des politischen Anlasses stellte auch Enderli den Staatsakt «unter den Machtschutz Gottes», wie dies jeweils der Landammann an der Landsgemeinde zu tun pflegte.
Eidgenossen auf Identitätssuche
Auf grosse Resonanz stiess die anschliessende Festrede von Peter von Matt, emeritierter Professor für Neuere Literatur an der Universität Zürich und gebürtiger Nidwaldner. In kernigen Worten schilderte er die Identitätssuche der Eidgenossen zu Lebzeiten von Niklaus von Flüe, sprach von «totschlagen» und der «Lust, einander zu ertränken», von Seeschlachten auf dem Zürichsee und vom «europäischen Machtfaktor», zu dem die Eidgenossen nach den Siegen über die Burgunder über Nacht geworden seien.
In solchen Zeiten habe es eine Stimme gebraucht, um die «Kräfte des Chaos» zu binden. «Diese Stimme kam aus der tiefen Schlucht im Melchtal». Niklaus von Flüe sei kein Prophet gewesen, dennoch erinnere die Figur an die Gestalt eines Sehers, «der weiss, was in der Not zu tun ist». «Man hat ihm geglaubt, weil niemand, der ihm persönlich begegnete, ihm misstrauen konnte». Gerade deshalb hätten seine wenigen Worte Gewicht gehabt.
Einander gehorsam sein
Der Germanist von Matt zitierte in der Folge drei Sätze aus einem Brief von Niklaus von Flüe an den Rat von Bern. Ins Zentrum stellte er dabei dessen Aussage, «darum sönd ir luogen, dz ir einander gehorsam syend» (Darum sollt ihr euch bemühen, einander gehorsam zu sein). Das Wort «horchen», auf das «gehorsam» zurückzuführen sei, meine hier «aufmerksam auf etwas hören». Der Zuruf ziele somit auf die politische Kommunikation: Die Art, wie man mit dem politischen Gegner rede, bestimme die politische Qualität der Debatte und damit den Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger.
Im Folgesatz «Darumb so sönd ihr luogen, dz i ruf frid stellend» (Darum sollt ihr bemüht sein, alles auf Frieden auszurichten) zeige sich, dass Friede für Niklaus von Flüe ein «Element täglichen politischen Handelns» sei, genauso wie die politische Kommunikation, nämlich die «Verständigung unter gegenseitigem Respekt».
Braucht es heute wieder einen Bruder Klaus?
Nach einem witzigen szenischen Intermezzo von Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart griff Bundespräsidentin Doris Leuthard in ihrem Grusswort ebenfalls die zentrale Bedeutung des Zuhörens auf. Niklaus von Flüe habe das Vertrauen der Menschen gehabt, «weil er zuzuhören wusste», so Leuthard. «Weil er Vertrauen schenkte und Vertrauen nicht missbrauchte». Danach hätten wir auch heute, in Zeiten von Populisten und Autokraten, unseren Kompass auszurichten. Entsprechend gelte es für Bürger wie für Politikerinnen, «Farbe zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen».
Wichtig dafür sei das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in den guten Willen des Anderen und in die Kraft der Mitmenschen - die Basis für das Funktionieren einer Demokratie. «Braucht es dazu wieder einen Bruder Klaus?», fragte die Bundesrätin zum Schluss. Und antwortete: «Das schaffen wir selber: Setzen wir uns zusammen, hören wir zu und arbeiten gemeinsam an der Zukunft unseres schönen Landes.»
Buntes Rahmenprogramm
Im Anschluss an den Festakt trafen sich Besucher und Gäste zum Volksapero auf dem Dorfplatz. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher nutzten ausserdem das Rahmenprogramm, welches Klöster und Museen der Region nachmittags anboten. So konnte man etwa einen Blick in das «Weisse Buch von Sarnen» werfen, das unter anderem Abschriften der ersten Bundesbriefe enthält, andere nutzen die Gelegenheit für eine Besichtigung des Frauenklosters St. Andreas mit seinem bekannten «Sarner Jesuskind». Eine Vorführung von Luke Gassers «Von Flüe – Ein Mann in Pilgers Art» konnte man sich zu Gemüte führen wie eine Ausstellung zeitgenössischer Werke zum Radbild von Niklaus von Flüe im Museum Bruder Klaus in Sachseln.
«Unverständlich, dass Gott in diesem Kontext nicht erwähnt wurde»
Am Staatsakt zum Jubiläum von Niklaus von Flüe in Sarnen waren auch zahlreiche Kirchenvertreter eingeladen. Während Markus Büchel, Bischof von St. Gallen, sich freut, dass Religion spürbar war, ohne dass man darüber sprach, bedauert Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, dass das Wort Gott in diesem Kontext nicht verwendet wurde.
Von Sylvia Stam, kath.ch
Besonders beeindruckt sind die Kirchenvertreter von der Würde, mit der dieser Staatsakt gefeiert wurde: «Es ist wunderbar, mit welcher Tiefe das aufgenommen wird», sagt der St. Galler Bischof Markus Büchel, der die Schweizer Bischofskonferenz vertritt. Auch Martin Kopp, Generalvikar für die Urschweiz und Vertreter des Bistums Chur, freut sich sehr, dass der Kanton Obwalden «dafür hinsteht und sagt, ‹Bruder Klaus ist der grösste Obwaldner, den wir in der Geschichte kennen. Darum verdient er unsere Aufmerksamkeit und das wollen wir auch in der ganzen Schweiz sichtbar machen.›» Es sei eine grossartige Aussage, dass ein Heiliger hier ein solches Gewicht habe, so Kopp.
Niklaus von Flüe werde an diesem Akt natürlich als Politiker und Staatsmann gefeiert, so Büchel, «aber man spürt durch alles hindurch, dass er aus einer Quelle heraus lebte.» Beide heben auch die Festrede von Literaturprofessor Peter von Matt hervor: «Ich habe noch nie eine so tolle Zusammenfassung dieser Zeit und der Bedeutung von Bruder Klaus darin gehört», schwärmt Kopp von der Rede von Matts. «Das war ein staatsmännisches Wort!»
Die religiöse Komponente thematisieren
Büchel hat beeindruckt, «wie er von den Worten ausgehend die Themen Gehorsam und Frieden eingebracht hat. Ohne dass man über einen religiösen Gedanken spricht, dringt das durch in den einfachen politischen Botschaften von Bruder Klaus.»
Gerade hier hätte sich Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, mehr Explizitheit gewünscht: «Es ist eine würdige Feier bei wunderbarem Wetter. Ich bedaure allerdings, dass man bei einem Staatsakt, an dem man des Nationalheiligen gedenkt, die religiöse Komponente nicht zu thematisieren getraut.» Konkret bedauert er, dass Bundespräsidentin Doris Leuthard, die sich in ihrem Grusswort zwar auf die Präambel der Bundesverfassung berufen hat, «sich nicht mehr getraut, das Wort Gott in den Mund zu nehmen.» Gott in diesem Kontext nicht zu erwähnen, ist für ihn unverständlich.
Radikalität und Entsagung
Der Nationalheilige ist für alle drei Kirchenvertreter auch heute noch von Bedeutung. Luc Humbel fasziniert «seine Radikalität und das Entsagen aller ‹Gelüste›, um im Geist Klarheit zu finden.»
Martin Kopp hebt den Mystiker hervor, «der durch sein Dasein eine unglaubliche Wirkung hatte, eine formende Wirkung für das Gemeinwesen und für die Geschichte dieses Landes.»
Markus Büchel fuhr schon als Kind mit seiner Familie zur Wallfahrt vom Rheintal in den Ranft. «In einer Bauernfamilie wurde Bruder Klaus als Landesvater verehrt. Daher habe ich eine tiefe Beziehung zu ihm.» Er geht denn auch heute noch «immer wieder ganz gern still für mich allein in den Ranft» wie er verriet.