Der Thuner Nachfolger des Bischofs von Myra «wollte immer Samichlous werden». Foto: Pia Neuenschwander
«Manche bleiben für immer Schmutzli»
Ein Gespräch mit dem Thuner «Oberchlous»
Der Samichlous kennt Thun wie seine Westentasche. Seit 44 Jahren besucht der dortige Nachfolger des Bischofs von Myra, Mike Schönenberger, die Kinder der Stadt und Region. Seine Karriere begann unerwartet mit einem Sondereinsatz als Schmutzli. Mittlerweile hat er als Oberchlous einiges zu erzählen.
Von Anouk Hiedl
«Anfang Dezember wurde der Keller unserer Eltern jeweils zur «Chlousezentrale». Alle gingen von hier aus los und trafen sich abschliessend zum gemeinsamen Znacht, bei dem man sich über das Erlebte austauschte», erinnert sich Mike Schönenberger. Seine Mutter half tatkräftig bei den Vorbereitungen und der Organisation der verschiedenen Touren mit. Wie schon sein Vater damals ist Mike Schönenberger seit 2013 Obmann der Chlausengruppe Thun und Umgebung.
Sprung ins kalte Wasser
An seinen ersten Einsatz als 13-Jähriger erinnert er sich gut. «Es war ein Notfall. Die betagte Adelsfrau von Schloss Kiesen wünschte sich am 6. Dezember spontan einen eigenen Chlous, inklusive dem Vorlesen der Weihnachtsgeschichte. So schickte mich meine Mutter als Schmutzli mit.» Seither ist der 57-Jährige jedes Jahr «regulär» unterwegs. Mit 30 wechselte er die Rolle. «Ich wollte immer Samichlous werden und fühlte mich bereit dazu», erinnert er sich. Nicht jeder wolle das. «Manche bleiben für immer Schmutzli oder werden es wieder.»
Seit etwa 25 Jahren besucht der Thuner Samichlous die Kinder der Region vom 4. bis 6. Dezember von der «Chlousezentrale» in der Pfarrei St. Martin aus. Mit rund 60 Freiwilligen ist die Chlausengruppe Thun und Umgebung sehr gut dotiert. «Mit maximal fünf Chlöisen, Schmutzlis und Fahrern sind wir ökumenisch unterwegs und besuchen im Umkreis von 30 km pro Abend je acht bis zwölf Familien» berichtet Mike Schönenberger.
Mit Haut und Haar
Dieses Jahr sind knapp 90 Anmeldungen eingegangen. «Unsere über 70-Jährigen werden vor und nach den Touren mithelfen, statt auszuschwärmen. Danach gibt’s wie immer Spaghetti. Sechs Frauen kochen jeweils für alle», sagt Mike Schönenberger. Marlise Ryser aus Steffisburg kümmert sich ums Gesicht und die Haare des Samichlous. Seit 30 Jahren weisst die gelernte Coiffeuse den Chlöisen die Augenbrauen und zeichnet ihnen ein paar Runzeln sowie «rosa Bäckli» ins Gesicht. «Die Schmutzlis schminken sich meist selber, einige heller, andere dunkler.»
Marlise Ryser ist auch um die Pflege der Echthaarbärte aus Büffelhaar besorgt. «Nach dem 6. Dezember wasche ich sie sorgfältig mit Shampoo und Conditioner – wie Menschenhaar. Weil sie dabei ganz gerade werden, forme ich die Bärte dann mit Haarspangen und Klammern wieder zu Wellen und lege sie zum Trocknen zwei bis drei Tage auf Frotteetüchern aus», erklärt sie. «Die Schnäuze werden beim Sprechen und den Temperaturwechseln zwischen drinnen und draussen stärker strapaziert. Deshalb wasche ich diese nach jedem Einsatz aus. Bis zum nächsten Abend sind sie dann wieder frisch und trocken.»
Keine Nachwuchssorgen
Bis jeweils Mitte November können Familien ihre Kinder und die «Funktionäre» ihre zeitlichen Möglichkeiten anmelden. Anhand dessen werden die Touren pro Dreiergruppe zusammengestellt, und «die Fahrer haben so noch zwei Wochenenden, um ihre Routen einzuüben und die Fahr- und Ankunftszeiten zu kennen.» Personalprobleme kennt die Thuner Chlausengruppe nicht. «Wir sind immer darauf bedacht, nicht kommerziell unterwegs zu sein und individuell auf die Kinder einzugehen», berichtet der Oberchlous. «Unser Ziel ist immer, eine positive Atmosphäre zu schaffen. Das spricht sich herum und zieht, bei den Familien und für den Gruppennachwuchs. Unsere Jüngsten sind Ende dreissig, und der Älteste, unser Materialwart, ist seit 55 Jahren dabei.»
St. Nicole?
Etwa alle fünf Jahre komme es vor, dass eine Frau Samichlous oder Schmutzli sein möchte. «Das besprechen wir dann demokratisch», sagt Mike Schönenberger. «Beim Samichlous sind wir immer zum Schluss gekommen, dass er auf den Bischof von Myra zurückgeht – und der war nun mal ein Mann. Mittlerweile redet der Chlous bei Hausbesuchen viel mit dem Schmutzli, dieser muss ihm mitunter auch mal beim Lesen helfen. Dann muss die Stimme auch da stimmen.»