In der Blechdosenversion: der Mantel des heiligen Martin. Foto: Pia Neuenschwander
Martin – Geste der Barmherzigkeit in Worb
Martin teilt und verschenkt. Die Jahresserie #heiligbern
Warum das Wasser für die Kirche in Worb eine besonderen Rolle spielt und ein Mantel aus Blech an der Kirchenwand hängt, erfährt man in 23. Teil unserer Jahresserie.
von Nicole Arz
Mit seinem Entwurf für eine monumentale, schiffähnliche Kirche hatte der Luzerner Architekt Werner Hunziker zwar den Wettbewerb für den Neubau des katholischen Kirchenzentrums in Worb gewonnen, sein Projekt sprengte aber jeden finanziellen Rahmen. So hatte er gar beabsichtigt, den in der Nähe vorbeifliessenden Worblebach ins Gebäude zu integrieren.
Von den veranschlagten 24 Millionen Franken wurden schliesslich 5,2 Millionen genehmigt. Das Element Wasser kam auch bei der abgespeckten Version zum Tragen: Der im Gebäude integrierte Lichthof wurde gänzlich mit Wasser geflutet. Gleichzeitig mit der neuen Kirche entstand auch die Pfarrei St. Martin. Zuvor waren die Katholik:innen der Region der Pfarrei Ostermundigen zugeteilt gewesen, hatten ihre Gottesdienste erst im Singsaal der Schule gefeiert und später in jener Holzkappelle, die 1998 dem Neubau von Hunziker weichen musste.
Ein Mantel aus Blech
Der blecherne Mantel, der an der Aussenwand der Kirche hängt, besteht aus bunten, gefalzten Konserven und lässt jener Szene gedenken, die ihren Namenspatron weltberühmt gemacht hat, auch wenn der Mantel, um den es damals ging, von etwas wärmerer Qualität gewesen sein dürfte. Der Legende nach begegnete Martin, römischer Soldat und Mitglied der kaiserlichen Garde, im Jahr 338 am Stadttor von Amiens einem armen Bettler. Martin, hoch zu Ross, teilte mit dem Schwert seinen Mantel und schenkte die eine Hälfte dem frierenden Mann.
Zwanzig Jahre später, in der Nähe von Worms, war für Martin das Christsein und der Militärdienst nicht mehr vereinbar und er schied vor einem erneuten Feldzug gegen die Germanen aus dem Heer aus. Er widmete sich der Askese und den Nöten der Armen, bis er – gegen das Votum anderer Bischöfe und angeblich auch gegen seinen eigenen Willen – im Jahr 371 zum Bischof von Tours geweiht wurde. Auch als Bischof blieb er bescheiden, putzte seine Schuhe selbst und nahm auf einem einfachen Schemel Platz.
Was ihn beim Volk beliebt machte, brachte ihm immer wieder die Gegnerschaft des Klerus ein. Auf einer Missionsreise starb Martin im heutigen Candes-Saint-Martin. Weil man dort den berühmten Leichnam nicht herausgeben wollte, kamen Mönche aus Tours, um ihn heimlich bei Dunkelheit auf der Loire nach Tours zurückzubringen. Es heisst, auf der 40 Kilometer langen Strecke seien in dieser Nacht die Flussufer mitten im November zu neuem Leben erwacht und seien über und über von weissen Blüten bedeckt gewesen.
Traditionsreicher Martinstag
Der 11. November, der Martinstag, war viele Jahrhunderte lang auch Hauptzinstag und Beginn des bäuerlichen Wirtschaftsjahres. Löhne wurden bezahlt, Pachtverträge geschlossen und Steuern abgeführt. Das Vieh, für das man im Winter zu wenig Futter haben würde, führte man zur Schlachtbank, und es entstand der Brauch, vor dem grossen Fasten im Advent Gänsebraten zu essen. Nachfahren jener Gänse, so erzählt man sich, die Martins Predigt unterbrochen hatten, indem sie laut schnatternd in die Kirche gewatschelt waren.