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Mehr Weisheit, weniger Informationen
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Ich erhoffe mir fürs Jahr 2023 für uns alle etwas mehr Wille zur Weisheit und weniger Fokus auf reiner Informationsvermittlung.
Der nicht ganz unkritisch rezipierte Entomologe Edward O. Wilson soll gesagt haben: «We are drowning in information, while starving for wisdom» – wir ertrinken in Informationen, während wir nach Weisheit hungern. Das fasst aktuell meine Gefühlslage ganz gut zusammen, wenn ich die Nachrichten über die Welt anschaue. Minütliche Berichte über den Angriffskrieg in der Ukraine im Liveticker, endlose Diskussionen über den Sinn und Unsinn von Katar als Austragungsort eines Sportereignisses, die sozialen Medien berichten unisono über die Proteste im Iran, ein Eltern teil unserer Whatsapp-Gruppe der Schule schreibt unentwegt über Läuse und die Notwendigkeit von Haarwaschmitteln in der Schule unserer Tochter. Donald Trump will wieder kandidieren. Der Pflegemangel nimmt ein zu grosses Ausmass an. Ich verliere den Überblick. Jeder Blick auf mein Handy füttert mich mit immer mehr Informationen. Aber was ist hier wichtig? Ich kann vieles verstehen, aber nur ganz wenig begreifen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich würde gern mehr wissen, mehr verstehen. Ich möchte mitdenken können, aber die Komplexität übersteigt oft meine Fähigkeiten. Kann ich Kriege verstehen, ohne jemals eigene Erfahrungen mit Krieg gemacht zu haben? Kann ich Proteste in Kontexten verstehen, deren Kultur ich kaum kenne? Ich befürchte Nein. Trotzdem müssen wir irgendwie Stellung beziehen, uns positionieren, Solidarität zeigen.
Ich will keinen Krieg – und auch keine unde mokratischen Staaten. Das ist schon mal relativ klar.
Und etwas anders weiss ich schon mal 100 %ig sicher. Mit dem Haarshampoo-Papa zeige ich keine Solidarität. Mit allen anderen Themen muss ich mir etwas mehr Zeit lassen. Das hoffe ich für uns alle: nicht immer so schnell urteilen. Mehr Weisheit, nicht nur Informationen.
Prof. Dr. Rouven Porz, Medizinethiker in der Insel Gruppe