Diskutieren unter der Laube im Interreligiösen Garten. Foto: Vera Rüttimann
Mehrreligionenhäuser: Beziehungspflege erfordert Ausdauer
Die erste Tagung von Mehrreligionenhäusern fand in Bern statt.
Mehrreligionenhäuser sind ein Labor. Nur mit einer Vision, enormem Engagement von Frreiwilligen und Geldgeber:innen gelingt die Realisierung eines solchen Hauses. Dies das Fazit einer internationalen Tagung zu Mehrreligionenhäsern, die vom 19. bis 21. Mai in Bern stattfand.
Von Vera Rüttimann
Das Treffen in Bern war die zweite Veranstaltung des Netzwerkes multireligiöser Einrichtungen. Da immer mehr solche Einrichtungen geplant sind, war der Wunsch nach Vernetzung und Austausch gross. Bern war für Karin Mykytjuk, Geschäftsleiterin des Hauses der Religionen Bern, der richtige Ort. Sie ist sich der Vorreiterrolle dieses Hauses bewusst: «Das Haus der Religionen ist eines der am weitesten fortgeschrittenen Projekte im Bereich Mehrreligionenhäuser.»
Bedeutung des Ortes
Marco Ryter, Architekt dieses Hauses, berichtete in einem Workshop über seinen Entstehungsprozess und wie wichtig der Ort dafür ist. Zuerst seien da viele Fragen gewesen: «Was ist ein Haus der Religionen? Ist es ein Museum? Was wird man riechen? Je mehr wir gesucht haben, desto weniger haben wir gefunden», sagte Marco Ryter.
Dass der Europaplatz, dieser «Zwischenort», die neue Heimat des Hauses werden würde, war anfangs nicht klar. «Interessanterweise sind es gerade diese Nahtstellen-Orte mit ihren brachliegenden Grundstücken und leeren Gebäuden, wo spanende hybride Projekte entstehen können», sagte der deutsche Religionswissenschaftler Martin Rötting.
Mehrreligionshäuser als Sinnstiftung
Er selbst unterstützt das Haus der Religionen, das in der evangelisch-lutherischen Immanuel-Nazareth-Kirche in München entstehen soll. Seine Student:innen bauen derzeit mit Legosteinen verschiedene Modelle eines Mehrreligionenhauses. Vieles ist im Fluss.
Der Religionswissenschaftler dachte in seinem Vortrag über den Sinn von Religionshäusern nach. «Für mich sind sie ganz klar sinnstiftend für eine neue plurale Gesellschaft», sagte Martin Rötting. Auch hier sei der Entstehungsprozess herausfordernd und befruchtend zugleich: «Aus einem solchen Projekt entstehen Fragen wie: Wie gehen die Kirchen damit um, Macht abgeben zu müssen? Und: Welche Leute sollen dieses Haus beleben? Allein die Diskussion darüber markiert Sinnstiftung.»
Campus der Religionen in Wien
In Wien entsteht mit der Seestadt Aspern derzeit ein neues Stadtviertel. In einem Jahr ist dort Baubeginn des «Campus der Religionen». Harald Gnilsen, Baudirektor der Erzdiözese Wien und Vertreter des Vereins Campus der Religionen, sprach an der Tagung über dieses Projekt. Es werde eine Container-Anlage geben, in der sich verschiedene Sakralbauten befinden. Ein schwebendes Dach verbinde die einzelnen Elemente. Zentrale Anliegen seien der Austausch und die Kommunikation zwischen den Religionsgemeinschaften, den Gläubigen und den Lehrenden.
In diesem neuen Stadtviertel werden Leute aus der ganzen Welt wohnen. Harald Gnilsen hofft, dass der «Campus der Religionen» die Integrationsprozesse von Migrant:innen beflügelt. «Im Praktizieren ihrer Religionen können sie ihre Wurzeln pflegen.» Der Architekt wünscht sich, dass der Campus im neuen Stadtviertel ähnlich grosse Kreise ziehen kann wie das Haus der Religionen am Europaplatz.
Interreligiöse Feiern
Ebenfalls noch nicht fertig ist das «House of ONE» in Berlin. Wie man das Mehrreligionenhaus bereits vor Fertigstellung beleben kann, darüber informierte Gregor Hohberg, Pfarrer der evangelischen St. Petri-St. Marien Gemeinde und Präsident der Stiftung «House of One». Kirchliche Hochfeste werden zusammen mit Gästen aus anderen Religionen gefeiert. «Wir sind seit 2007 zusammen unterwegs und haben eine wachsende Vertrauensbasis», sagte Gregor Hohberg. Die Beziehungspflege erfordere viel Ausdauer. «Darauf hoffen wir: dass es einen gemeinsam verantworteten und bespielten Ort geben wird, wo man gut zusammenarbeiten kann.»
Weltweiter Trend
Die Tagung zeigte: Mehrreligionenhäuser sind in den letzten Jahren zu einem internationalen Trend geworden. Auch als Reaktion von 09/11 in New York. In einem Tower befindet sich dort das «Interface-Zentrum». Interreligiöse Häuser sind zudem in Stockholm und London geplant.
Für den Rabbiner Alon Goshen-Gottstein vom The Elijah Interfaith Institute in Jerusalem, bestehen diese Häuser schon im Vorfeld. Er sagte: «Das Haus besteht bereits durch die Menschen, die in diesen Entstehungsprozess involviert sind. Und natürlich durch ihr aufrichtiges Gebet. Vor allem das!»
Die Tagung war eingebettet in ein spannendes Rahmenprogramm. So gab es den «Reflex am Mittag» ein interreligiöser Perspektivenwechsel. Diskutiert wurde auch im interreligiösen Garten des Hauses der Religionen. Die Gäste sassen unter einer Laube, umgeben von Bäumen. Es hatte die Atmosphäre einer Sommeruniversität. Am letzten Tag stand der Stadtrundgang «Auf kolonialen Spuren Berns» mit Karl Rechsteiner auf dem Programm.
Was alle eint
Alle Teilnehmer dieser Tagung einte folgende Erkenntnisse: Mehrreligionshäuser gehen meist aus komplizierten Entstehungsprozessen hervor. Konzepte, Ideen und Rahmenbedingungen prallen aufeinander. Was am Ende eines Prozesses steht, kann von der Ursprungsidee abweichen. Zudem: Nur mit einer Vision, enormem Engagement von freiwilligen Helfern und potenten Geldgeber, die langfristig planen, gelingt es.
Beflügelt im Labor
Gerda Hauck zeigte sich froh, dass sich über drei Tage Leute austauschen konnten, die schon in multireligiösen Häusern arbeiten, und solche, die sie planen. Sie resümiert: «Dieses Feld ist und bleibt ein Labor. Viele, die sich darin wie hier in Bern engagieren, beflügelt das sehr.»
Auch Stadtpräsident Alec von Graffenried zeigte sich stolz über den Pionierstatus des Hauses der Religionen in Bern: «Dieses Haus ist aus der Berner Landschaft nicht mehr wegzudenken. Das ist die die beste Entwicklung, die es nehmen konnte.»
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