Annalena Müller - ab Juli neue Chefredaktorin beim Berner «pfarrblatt». Foto: Mattia Vacca

«Meinen kritischen Geist behalte ich»

Annalena Müller, die neue Chefredaktorin des «pfarrblatt» Bern, im Gespräch

Sie war auf dem Weg zur Professorin an einer Universität – doch sie hat sich für den Journalismus entschieden: Annalena Müller, die neue Chefredaktorin des «pfarrblatt» Bern. Wohin und wie will die neue Kapitänin die Mitglieder-Zeitung steuern?

Interview: Marcel Friedli-Schwarz

Noch eine Stunde – dann unterschreibt sie den Vertrag als neue Chefredaktorin des «pfarrblatt» Bern. «Ich freue mich sehr», sagt Annalena Müller am Anfang des Gesprächs, «dass die neue Ära beginnen kann.»

«pfarrblatt»: Sie waren in der Wissenschaft vielversprechend unterwegs.

Annalena Müller: Ich hatte Spass an meiner Arbeit, aber: Die Weltfremdheit meines Gebiets hat mich zunehmend befremdet: In der Wissenschaft fühlte ich mich irgendwann im Elfenbeinturm.

Was fasziniert Sie am Journalismus?

Ich kann etwas bewegen. Zwar habe ich auch als Wissenschaftlerin viel geschrieben. Meine zwei Bücher und die Fachartikel haben indes nur einen Bruchteil dessen ausgelöst, was ich mit Artikeln bewirke und bewege.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf noch?

Als Journalistin kann ich Menschen dort abholen, wo Fragen brennen. Ich bin im Herzen der Gesellschaft. Nahe bei den Menschen.

Als Journalistin verdient man nicht so viel.

Möglichst viel Geld zu verdienen ist nicht mein Ansporn. Sonst hätte ich eine Professur angestrebt oder wäre in die freie Wirtschaft gegangen. Ich bin recht werteorientiert und will mich mit dem identifizieren können, was ich beruflich mache.

Mit vielen Ihrer Artikel ecken Sie bei katholischen Bischöfen an – wird das «pfarrblatt» frecher?

Das «pfarrblatt» wird nicht zum neuen kath.ch. Es ist ein anderes Medium mit einem anderen Zielpublikum. kath.ch lebt vom Investigativen, von den Klicks. Ich sehe es nicht als primäre Aufgabe einer Mitgliederzeitschrift, jeden Missstand in der Kirche zu thematisieren.

Sondern?

Mittel- und langfristig wieder Vertrauen aufzubauen – in einem Umfeld des Misstrauens gegenüber kirchlichen Institutionen. Auch indem wir rausgehen und uns zeigen; zum Beispiel mit Veranstaltungen zu Themen unserer Zeit.

Sie schleifen also all Ihre Ecken und Kanten ab?

(lacht) Nein. Den kritischen Geist, den behalte ich. Der gehört zu mir. Die journalistische Unabhängigkeit ist mir wichtig. Wir machen weiter Journalismus für eine kirchliche Publikation. Wir lassen uns nicht einlullen.

Das passiert allein schon dadurch, dass katholisch Bern recht klein ist.

Das kenne ich schon von Zürich und kath.ch: Auch da trifft man oft wieder dieselben Menschen. So kommt man zu Hintergrundwissen. Als Journalistin weiss man immer mehr, als man publiziert. Das ist Teil der Verantwortung, die man hat. Es geht nicht darum, möglichst alles herauszuposaunen. Man wägt ab: Was dient dem öffentlichen Interesse, der Aufklärung? Was ist dem Kontext angemessen und den involvierten Personen gegenüber respektvoll? Zudem arbeiten wir im Team und sind in stetem Austausch: Das stützt das Wandern auf dem schmalen Grat zusätzlich.

Das «pfarrblatt» setzt auf einen vielfältigen Mix an Themen.

Wir werden weiter auch Menschen porträtieren, die sich via Kirche für lebenswertes Leben oder zentrale Themen einsetzen. Wir werden sie fragen, was sie motiviert und antreibt und über Aspekte des sozialen Engagements der Kirchen berichten.

Also Werbung machen für die Kirche?

Nein, keine Werbung. Sondern ausgewogen, fair, respektvoll – und unabhängig – berichten. Und auch kirchen- und gesellschaftspolitisch am Ball bleiben.

Haben Sie sich beim «pfarrblatt» auch darum beworben, weil damit das Pendeln entfällt?

Tatsächlich ist Bern ein grosser Pull-Faktor. Die Stadt Bern ist meine Wahlheimat. Es ist das i-Tüpfchen, dass das «pfarrblatt» die Redaktion in Bern hat.

Sind Sie aus Zürich geflohen?

Nein, eine Flucht ist es nicht. Ich habe wertvolle Erfahrungen gesammelt. Es hat Spass gemacht. Auch wenn es ohne Frage ein stressiger Job war.

Stress werden Sie auch beim «pfarrblatt» haben.

Sicher. Damit kann ich umgehen. Ich bin bereit, wenn nötig den Kopf für etwas hinzuhalten, hinter dem ich stehe. Mich wirft so schnell nichts aus der Bahn.

Und Sie werden mit Bischof Felix Gmür zu tun haben.

Letzten Oktober an der Synode in Rom bin ich ihm begegnet und seither in Aarau und Bern. Wir haben einen freundlichen Umgang miteinander. Ich habe über ihn sowohl positive wie negative Dinge geschrieben – das gehört schlicht zu meiner Aufgabe als Journalistin.

Lassen Sie Ihr Team bei kath.ch im Stich?

Verlässt man eine Stelle für eine neue, verlässt man auch ein Team. Meine Kolleg:innen wussten, dass ich mich beim «pfarrblatt» bewerbe. Auch der Vorstand war über meine Bewerbung im Bild.

Sie treten in die Fussstapfen Ihres Vorgängers Andreas Krummenacher.

Ich freue mich, im Juli mit Andreas zusammenzuarbeiten. So lerne ich seine Fussstapfen kennen. Doch ich bin eine andere Person. Mir ist es wichtig, auf Augenhöhe zu kommunizieren – und mit dem Team den Weg zu finden: So dass wir alle an einem Strick ziehen. Und das Arbeiten Spass macht!

 

Neue «pfarrblatt»-Chefin
Seit 2023 ist Annalena Müller bei kath.ch angestellt und macht sich dort mit kritischen Artikeln als Journalistin einen Namen. Seit einem halben Jahr ist sie dort ad interim Co-Redaktionsleiterin. Zuvor leitete Annalena Müller an der Universität Fribourg vier Jahre ein Nationalfonds-Projekt zu vormodernen Frauenklöstern. Fünf Jahre war sie Oberassistentin an der Universität Basel. 2014 doktorierte sie an der renommierten Yale-Universität in den USA. Ihr Masterstudium in europäischer Geschichte absolvierte sie in Mainz, Tours und an der Sorbonne in Paris. Die 41-Jährige ist frisch verheiratet und bezeichnet sich als Katzenmutter. Sie mag Radfahren und Wandern und ist gerne in der Natur – auch deshalb mag sie Bern so gern.
Annalena Müller folgt per 1. Juli auf Andreas Krummenacher, der vierzehn Jahre beim «pfarrblatt» Bern im Einsatz war. Als Chefredaktor hat er Zeitung und Website weiterentwickelt: zu einem zukunftsweisenden Medienverbund mit verschiedenen digitalen Kanälen. Seine verbindende Art ermöglicht Lesestoff für Menschen aller Couleur. Der 47-Jährige, der ursprünglich aus Luzern stammt, wird fortan als Gymnasiallehrer Geschichte unterrichten.