Heute. Geht nach 15 Jahren aus Bern weg: Dreifpfarrer Gregor Tolusso. Foto: kr
Mensch, Christ, Priester
Nach 15 Jahren in der Berner Dreif zieht Pfarrer Gregor Tolusso nach Aarau weiter. Ein Gespräch zum Abschied
Kann er das? Pfarrer sein. Gregor Tolusso begann seine Tätigkeit in der Berner Dreifaltigkeitspfarrei zunächst bloss als Pfarradministrator. Die Situation war nicht einfach damals. Man wollte den jungen Seelsorger nicht verheizen. Die diversen Interessengruppen verfolgten je eigene Ziele. Gregor Tolusso liess sich aber nicht beirren und war geduldig und beharrlich auf seinem Kurs. Neun Monate später wurde er als ordentlicher Pfarrer eingesetzt. Das war vor 15 Jahren und jetzt, jetzt zieht er weg. Zeit also für ein Gespräch.
Wir treffen uns im frisch renovierten Pfarrhaus an der Taubenstrasse 4. Alles ist aufgeräumt, die Räume wirken einladend, ästhetisch. Menschen kommen und gehen. Handwerker sind noch da. Wir ziehen uns in ein Sitzungszimmer zurück. Gregor Tolusso gibt Ende Oktober seinen Abschied. Er kam gerne nach Bern. Die Möglichkeiten der Pfarrei Dreifaltigkeit hätten ihn fasziniert, erzählt er. «Als ich das erste Mal die Kirche betreten habe, dachte ich bei mir, dass dieser russgraue Kirchenraum eine Renovation nötig hat.» Jahre später erstrahlt die renovierte Kirche in einladender Farbigkeit. Sein Fazit der vergangenen 15 Jahre fällt ebenso farbig aus: «Es war eine grossartige Zeit. Die Aufgaben, die Möglichkeiten, Perspektiven entwickeln und realisieren, die Vielfalt, die Herausforderungen – es war das absolut Richtige!»
Bei seinem Amtsantritt sprach er davon, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Das sei ihm meistens gelungen. Wichtig sei, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, «nicht eine Ideologie oder Dogmatik. Wenn mich die einzelnen Gruppen respektierten und akzeptierten, dann habe auch ich sie ihrerseits akzeptiert, respektiert und Freiraum gegeben.» Das ist sein Credo. Gregor Tolusso ist überzeugt: «Es gibt so viele Kirchen- und Gottesbilder, die nebeneinander Platz haben dürfen und sollen. Man darf nicht den Anspruch haben, dass das eigene Gottesbild das einzig Richtige sei und das des anderen sei falsch.» Auf der Ebene des Verbindenden, auf der Ebene der Spiritualität zu arbeiten und eine Vielfalt zu ermöglichen ist ihm wichtig. «Nicht eine irgendwie geartete Rechtgläubigkeit voranzustellen.»
Dazu passt auch sein mit Vehemenz vorgetragenes Engagement für die Ökumene. «Es ist total bereichernd, mit den verschiedenen Kirchen zusammen zuarbeiten und nicht nur am runden Tisch zu diskutieren. Wir haben alle den gleichen Herrgott. Aus der Geschichte haben sich unterschiedliche Traditionen entwickelt. Aber Glaube und Spiritualität sind der gemeinsame Nenner.» Die verschiedenen Pfarrerinnen und Pfarrer würden sich in Bern nicht als Konkurrenz wahrnehmen, sondern als Kolleginnen und Kollegen. Man müsse jeden und jede im Glauben ernst nehmen und nicht denken, man vertrete die einzig richtige Position. «Es ist eine ganz wichtige Angelegenheit, dass wir die Vision nicht verlieren, dass wir eine Kirche sind. Die Trennung ist das Schmerzliche.»
Wichtig ist ihm die Kernbotschaft Jesu. Den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das Reich Gottes spürbar machen, Leben ermöglichen, Hoffnung geben, Mut machen, Liebe... «Es geht um eine Haltung», führt Gregor Tolusso aus, «dass ich diese Punkte bei Entscheidungen, bei der Arbeit, bei Projekten immer bedenke und einfliessen lasse.» Es gehe in erster Linie darum, den Bedürfnissen und Anliegen der Menschen nach Möglichkeit gerecht zu werden. Er hoffe sehr, dass er nicht zu vielen Ideen und Projekten im Weg gestanden sei, sondern «unterstützen, motivieren, befähigen konnte».
Ob er da nicht etwas tiefgestapelt habe, als er sich beim Amtsantritt bloss als weiteren Gärtner im Team bezeichnet habe, will ich wissen. Das weist er schmunzelnd zurück. Er betont aber: «Grundsätzlich gilt für mich: Mensch,Christ, Priester. In dieser Reihenfolge.» Natürlich werde der Pfarrer immer noch als Chefgärtner wahrgenommen. Aber: Eine solch grosse Pfarrei mit Dienstleistungen für die ganze Region könne man nicht und dürfe man nicht von der eigenen Person abhängig machen. «Die vielen Gärtchen waren mir immer wichtig. Freiwillige sollen als vollwertige Mitarbeitende ernst genommen werden. So etwas Grosses funktioniert nur, wenn auch viele Verantwortung übernehmen. Als Chefgärtner muss man hin und wieder etwas korrigierend oder lenkend eingreifen.»
Der Dienst am Menschen im Mittelpunkt, die Kernbotschaft Jesu überall mitdenken, zuerst Mensch und Christ sein – das sind hehre Ziele, werfe ich ein, aber angesichts von Eurokrise, Flüchtlingskrise, Krieg in Syrien und dem Kampf um Mossul, angesichts gefährlicher Zeiten also, ist das vielleicht etwas abstrakt. Sind das auch Themen für Pfarrer Tolusso? «Aber natürlich», wendet er ein. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik würden ihn interessieren. Das Problem heute sei das kurzfristige Denken. «Politiker hangeln sich von Wahlperiode zu Wahlperiode. Nur wenige denken nachhaltig. Niemand will mehr wirkliche Verantwortung übernehmen, sondern zuerst profitieren.»
Wie er hier um Gotteswillen Trost spenden könne, frage ich. Es kommt trotz allem gut, ist der Pfarrer überzeugt. «Es nützt nichts, in Angst und Weh zu versinken, sondern nur mit Glaube, Hoffnung und Liebe kommen wir vorwärts. Ich glaube daran, dass das Gute siegt, auch wenn es vielleicht nicht in dieser Welt ist. Eine Welt, in der ein trauriger Mensch getröstet wird, ist eine bessere Welt. Jesus ist uns ein Beispiel. Wir können die Spirale der Ungerechtigkeit und Gewalt nur mit Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe, ja sogar mit Feindesliebe durchbrechen.»
Gregor Tolusso hat einen langen Atem bewiesen und das hat ihn bestätigt. Über 15 Jahre hat er in der Dreifaltigkeitspfarrei gewirkt, nun zieht er weiter nach Aarau, in die Pfarrei Peter und Paul. Ich verabschiede mich von einem gastfreundlichen Menschen. An der Wand sieht er einen alten Teppich. Ob der wohl ausgerollt wird, fragt sich Tolusso. Es wäre schade um das schöne Parkett. Aber das ist nicht mehr seine Entscheidung.
Andreas Krummenacher
Abschiedsgottesdienst und Nachfolge
Die Abschiedsgottesdienste finden amSamstag, 29. Oktober, um 09.15 und Sonntag, 30. Oktober, um 11.00 statt. Der Leiter der Paroisse, Abbé Christian Schaller, soll auch die Leitung der Dreifaltigkeitspfarrei übernehmen. Im Moment läuft das Anstellungsverfahren: Vorgesehen ist, dass Christian Schaller an der Kirchgemeindeversammlung im November gewählt werden kann und im Januar 2017 sein Amt antritt.
Pfarrei Dreifaltigkeit Bern