«Liebe ist das zentrale Thema des Christentums. Von daher muss das Christentum auch etwas dazu sagen können, was Liebe ist und wie Liebe unter Menschen gelebt werden kann.» Daniel Bogner. Foto: zVg

«Menschen sind sexuelle Wesen»

22.02.2024

Der Theologe Daniel Bogner plädiert für eine neue Sexualmoral

Der Freiburger Theologe Daniel Bogner plädiert in seinem neuen Buch für eine neue Sexualmoral. «Erst die Dämonisierung führt dazu, dass sich Nischen und Ventile bilden für einen unheilvollen Umgang mit Sexualität.» Anstelle der «Helikoptermoral» der katholischen Kirche, müsse die Liebe im Zentrum stehen. Dass Liebe enden könne und dass es manchmal besser ist, auseinanderzugehen als zusammenzubleiben, müsse die Kirche lernen.

von Annalena Müller

In Ihrem neuen Buch «Liebe kann nicht scheitern» geht es um Liebe und Sexualität. Sind Sie als katholischer Theologe eine gute Quelle für diese Themen, Herr Bogner?

Daniel Bogner*: Das Christentum ist eine Religion der Liebe. Gott liebt die Menschen. Er hat uns seinen Sohn gesandt – aus Liebe. Liebe ist das zentrale Thema des Christentums. Von daher muss das Christentum auch etwas dazu sagen können, was Liebe ist und wie Liebe unter Menschen gelebt werden kann. Daher fühle ich mich als Theologe überhaupt nicht fehl am Platz, dazu etwas zu sagen.

Und über Sexualität? Das ist ja kein ganz einfaches Thema in der Theologie…  

Bogner (lacht): Die Sexualität ist eine Sprachweise der Liebe. Liebe und Sexualität haben ganz viel miteinander zu tun. Beides, Liebe und Glaube auch. Beide beziehen sich auf einen «Anderen». Im Glauben ist das Gott. Und in der Liebe ist es der andere Mensch, der Partner oder die Partnerin. Im Glauben und in der Liebe wird dieses Gegenüber ersehnt, begehrt, geliebt, vermisst. Man will es fassen und zugleich entzieht es sich. Damit müssen Menschen umgehen. Und das verbindet Religion, Liebe und Sexualität. Und daher ist beides auch ein Thema für die Theologie.

Sie schreiben, dass Missbrauch in der Kirche inklusive der Inzest-Theologie des Freiburger Theologen Marie-Dominique Philippe, der «paradoxe Reflex einer langen Tradition der Verdrängung und verengten Sichtweise des Christentums auf Liebe und Sexualität» sei. Was meinen Sie damit?

Bogner: Ich meine damit, dass die Geschichte des Christentums von einer jahrhundertelangen Verdrängung der positiven Lebenskräfte von Sexualität geprägt ist. Das Christentum hat Sexualität lange als hinzunehmende Sache betrachtet. Als etwas, das man irgendwie akzeptieren muss, allenfalls gut für die Fortpflanzung. Diese Sichtweise entspricht aber keinesfalls dem, wie wir Menschen geschaffen sind.

Menschen sind sexuelle Wesen und sie erleben Sexualität als eine Lebenskraft, als eine grosse Energie, die uns erst zu dem macht, was wir sind. Erst die Verdrängung und Dämonisierung dieser Energie führt dazu, dass sich Nischen und Ventile bilden für einen unheilvollen Umgang mit Sexualität, die man eben nicht verdrängen kann.

In «Liebe kann nicht scheitern» plädieren Sie für einen entspannten Umgang mit Sexualität, die integraler Bestandteil einer liebenden Beziehung sei. Warum ist das, was in der Gesellschaft seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, in der katholischen Kirche noch immer ein Problem?

Bogner: Die allermeisten Katholikinnen und Katholiken leben ihre Sexualität auf ganz natürliche Weise, unabhängig von der offiziellen Sexualmoral der Kirche. Aber in der offiziellen Kirche erfahren Menschen für diese wichtige Lebensdimension oft keine grosse Unterstützung. In der Kirche dominiert noch immer eine Art Bewahrpädagogik oder eine Helikoptermoral…

… ein moralisches Pendant zu den berühmt-berüchtigten «Helikoptereltern»?

Bogner: Genau. Und weder Helikoptereltern noch Helikoptermoral sind gute, gesunde oder effektive Erziehungsmethoden.

Wieso hat die katholische Sexualmoral eine angstbehaftete Auffassung von Sexualität?

Bogner: Man spürt, Sexualität ist eine starke Lebenskraft. Sie hat eine starke Energie, sie kann Menschen bewegen. Und alles, was derart wirkmächtig ist, kann auch immer als Bedrohung wahrgenommen werden. Und deshalb hat man versucht, aus einem Ordnungsdenken, vielleicht auch aus Herrschaftsstreben heraus, diese grosse Lebenskraft der Sexualität, welche die Menschen irgendwie auch autonom macht, einzugrenzen und zu kontrollieren.

Sie plädieren für Qualität statt Dauer. Also mehr für einen Vertrag als einen unauflöslichen Bund. Wie geht das mit der kirchlichen Lehre der Ehe als Spiegelung des untrennbaren Bundes Gottes mit den Menschen in der Zweierbeziehung zusammen?

Bogner: Ich finde das Bild vom Bund schön und wertvoll. Ich bin aber der Auffassung, dass man es als ein Bild sehen muss. Menschen sind nicht Gott. Menschen können auch nicht lieben, wie Gott es tut. Das Leben von Menschen ist immer von Grenzen und Brüchen durchzogen. Und das muss auch in das Verständnis vom menschlichen Liebesbund aufgenommen und integriert werden. Dafür plädiere ich.

Ist es realistisch, dass sich die Kirche dieses menschliche Verständnis des Bundes eines Tages zu eigen macht?

Bogner: Schauen Sie, das ist doch genau die Aufgabe der Theologie. Sie soll Denkprozesse anstossen. Die Theologie darf sich von bestimmten aktuellen Gegebenheiten oder Konstellationen nicht abschrecken lassen. Natürlich muss sie sensibel sein für das, was bisher gedacht und für richtig befunden wurde, also für die Tradition. Aber die Theologie hat eine kritische Funktion und sie hat die Aufgabe, kirchliche Lehre weiterzuentwickeln.

Sie haben ihr Buch vor «Fiducia Supplicans» geschrieben. Aber Sie sprechen just das zentrale Problem an, wenn Sie schreiben, dass ein möglicher Segen für homosexuelle Paare kein Sakrament und daher ein «gnadentheologisches Zweiklassensystem» wäre. Wie stehen Sie zu «Fiducia Supplicans»?

Bogner: Ich finde, man muss da verschiedene Elemente betrachten. «Fiducia Supplicans» ist der Versuch der römischen Kirchenleitung, etwas Öffnung hineinzubringen und zu würdigen, dass auch in homosexuellen und sogenannten irregulären Partnerschaften etwas Wertvolles da ist.

Aber?

Bogner: Die Art und Weise, wie Rom dies tut, wirkt hilflos. Das zeigen auch die Reaktionen. Für die einen ist «Fiducia Supplicans» häretisch, weil es zu weit geht. Und für die anderen greift der «Segen für alle» zu kurz. Und drittens als Theologe und Beobachter der kirchlichen Veränderungsprozesse halte ich die Erklärung für wenig zielführend.

Wie meinen Sie das?

Bogner: Man muss die Art und Weise, wie die katholische Kirche verfasst ist, berücksichtigen. Sie ist eine Rechtskirche, die ihre dogmatischen Überzeugungen immer in Rechtsform giesst. Wenn man wirkliche Veränderungen erwirken will, ist es zwingend notwendig, die Lehre selbst anzuschauen und weiterzuentwickeln. Und das steht noch aus.

Es sind also die Theologen und Theologinnen gefordert?

Bogner: Ja. Es braucht eine Theologie, die etwas auf den Tisch legt, die vor- und neu denkt. Zum Beispiel die Frage, ob der Bund der Liebe, als menschliches Abbild des Bundes zwischen Gott und den Menschen, auch von homosexuellen Paaren geschlossen werden kann. Und natürlich braucht es auch den engen Austausch mit anderen Akteuren der Kirchenleitung, die das aufgreift und damit arbeitet. Schliesslich ist die Theologie Teil der Kirche und nicht nur eine Besserwisserei am Spielfeldrand.

*Daniel Bogner (51) ist Professor am Lehrstuhl für Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg (Schweiz). Sein neues Buch, «Liebe kann nicht scheitern. Welche Sexualmoral braucht das 21. Jahrhundert?» erscheint am 12.02.2024 im Herder Verlag.

 

Daniel Bogner: «Liebe kann nicht scheitern. Welche Sexualmoral braucht das 21. Jahrhundert?», Herder Verlag, Fr. 29.90.

Kaum jemand sucht Beziehungstipps für Liebe, Sexualität und Trennungssituationen mehr bei der Kirche. Und das aus gutem Grund, so der Moraltheologe Daniel Bogner. Dennoch sollten die Ressourcen des christlichen Glaubens für das Liebesleben nicht in Vergessenheit geraten. Bogner hilft sie zu bergen und in ein neues Beziehungsethos zu überführen, das an den Gabelungen des (Beziehungs-)Lebens Kraft gibt.

Ein Buch, das mit dem Scherbenhaufen christlicher Sexualmoral aufräumt und die Vielfalt menschlicher Lebens- und Liebessituationen würdigt, damit aus Sprachlosigkeit neue Begegnungsfähigkeit wird.

Am 13. März ist Daniel Bogner zu Gast in der «theoLOGE» der Paulus Akademie. Thema des Abends: Zeit für eine neue Ethik der Liebe?