Gigantische Maschinen, gigantische Baustelle. Mittendrin wird eine Messe gefeiert. Fotos: Vera Rüttimann
«Mineure sind Lichtsucher»
Eine Barbaramesse tief unter der Erde
Tief unter den Gleisen des Bahnhofs Bern werden seit Februar die unterirdischen Kavernen für den neuen RBS-Bahnhof herausgebuddelt. Pfarrer Christian Schaller feierte am 4. Dezember mit Mineuren eine besondere Messe zu Ehren der heiligen Barbara.
Von Vera Rüttimann
Christian Schaller kennt den Weg zur Messe mit den Mineuren am Barbara-Tag. Der Pfarrer der Dreifaltigkeitskirche Bern ist ein Insider. Mehrfach war er schon im Stollen unter dem Bahnhof Bern. Schaller erklimmt einen Schacht, der zur Logistikplattform bei der Laupenstrasse führt. Dort steigt er in einen Lift, der ihn 25 Meter senkrecht hinunterführt. Tropfendes Wasser, Feuchtigkeit und gurrende Tauben empfangen ihn in einem Kathedralen-ähnlichen Schacht. Weiter geht es über einen schmalen Stollen hinein ins Erdinnere. Angekommen bei der Tunnel-Baustelle, eröffnen sich vor ihm zwei gigantische Kavernen. In wenigen Jahren ist hier der neue unterirdische RBS-Bahnhof in Betrieb.
Kreuz aus LED-Bändern
Der Altar steht vor jenem Loch, an dem sonst Tag und Nacht gebohrt wird. Nur heute ruhen die Maschinen. Der Altar wird flankiert von zwei riesigen Baggern, die von Baustrahlern effektvoll angestrahlt werden. Ein besonderer Blickfang ist auch das riesige leuchtende Kreuz über dem Altar. Mitarbeiter der Elektroabteilung der Marti Tunnel AG haben es für diese Messe extra angefertigt. Es besteht aus Holzlatten, auf die LED-Bänder montiert wurden.
Begrüsst wird die Gottesdienstgemeinde von Baustellenleiter Thomas Heid. Er sieht vor sich Mineure und ihre Familien im Staub der Taverne stehen. Sie kommen aus Ländern wie Portugal, Spanien und Slowakei. Es sind nicht nur Strassenbauer, Schlosser und Maurer hier, sondern auch Vertreter der Bauleitung. «Wir sind heute alle zusammengekommen, um die Schutzpatronin zu ehren und die Arbeit der Mineure zu würdigen», sagt Thomas Heid. Stolz können alle Beteiligte sein, was hier seit März dieses Jahres geleistet worden sei. «Heute dürfen wir in der zukünftigen Bahhnhofskaverne Nord diesen jahrhunderatealten Brauch feiern.»
Der Tunnel als Garten
Alle Blicke sind während der Messe auf die heilige Barbara gerichtet. Die kleine Statue vor dem Altar ist dargestellt mit einem Turm, einem Kelch und einer Hostie sowie einer Fackel. Die Mineure danken ihr, dass in den vergangenen Monaten alles gut gegangen ist. Keine Verletzten, kein Wassereinbruch, nichts. Thomas Heid sagt: «Trotz technischer Erleichterungen und fortschrittlichen Arbeitsschutzmassnahmen bleibt ein Restrisiko. Deshalb bauen wir auch auf unsere Schutzpatronin.»
Christian Schaller spricht in seiner Predigt über Jesaja. Der Prophet träumte einst von einem grossen, blühenden Garten. Auch dieser unwirtliche Ort soll dereinst erblühen: «Sie machen aus diesem Loch einen Garten.» Der Staub in ihm solle verwandelt werden, damit hier später das Leben erblühe. Der Pfarrer der «Dreif» vergleicht die Mineure mit «Lichtsuchern»: «Ihr habt viel Staub in den Lungen. Wir sind nicht geboren, um in einem Tunnel zu bleiben.» Der Mensch wolle das Ende des Tunnels sehen, und zum Licht zu kommen. «Möge dieses Licht euch begleiten und Hoffnung bringen.»
Apero in der Kaverne Nord
Nach der Messe treffen sich alle in der Kaverne Nord. Dort gibt es Sekt und Häppchen. Rote, gelbe und blaue Neonröhren leuchten die Rohre, Kabel und Stollen effektvoll aus. Für Thomas Heid war diese Messe etwas ganz Besonderes: «Diesen Traditionsanlass müssen wir weiter pflegen.» Die heilige Barbara steht für ihn für Glaube, Besinnung und Verehrung. Seit 12 Jahren im Untertagebau tätig, habe er mittlerweile einen speziellen Bezug zu ihr. «Sie ist die Figur, die mich tagtäglich begleitet.» Auch Christian Schaller spürt beim Apéro die besondere Verbindung vieler Mineure zu dieser Heiligen. Zudem hätten Bergleute eine besondere Religiosität. «Es ist ihnen deshalb wichtig, dass ich mit ihnen hier jeweils eine Messe feiere», sagt der Pfarrer der «Dreif».
Der neue RPS-Bahnhof soll 2026 fertig werden. Bevor in den Tavernen jedoch die Züge einfahren können, wird Christian Schaller hier noch etliche Male unter Tage Messe feiern können.