«Die Mitverantwortung von Lai:innen halte ich für extrem wichtig», sagt Angela Berlis. Foto: Pia Neuenschwander
Mit den Geistlichen auf Augenhöhe
150 Jahre christkatholische Kirche - Parallelen zu heute.
Vor 150 Jahren weigerten sich Katholik:innen, das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes zu akzeptieren. So kam es zur Formierung der Christkatholischen* Kirche. Angela Berlis, Professorin für Geschichte des Altkatholizismus* an der Uni Bern, zeigt Parallelen zu heute auf.
Interview: Sylvia Stam
«pfarrblatt»: «Katholische Kirche am Scheideweg» heisst das Symposium zum 150 Jahr-Jubiläum. Das klingt aktuell. Sehen Sie Parallelen zwischen damals und heute?
Auch heute geht es in der römisch-katholischen Kirche um die Stellung des Papstes und die Langzeitfolgen der Dogmen des ersten Vatikanischen Konzils. Das zeigt sich beim Synodalen Weg in Deutschland: Manche grenzen sich stark von diesem Reformprojekt ab, andere sagen, dass die Kirche sich bewegen muss; das nehme ich als etwas Positives wahr. Ich sehe aber auch Stolpersteine auf diesem Weg, die wir Christkatholik:innen so nicht mehr haben.
An welche Stolpersteine denken Sie?
Die Mitverantwortung der Lai:innen halte ich für eine enorm wichtige Frage. Schon in den frühen christkatholischen Texten wird festgehalten, dass Lai:innen mit Geistlichen auf Augenhöhe sein sollen. Dies nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in religiösen Fragen: Welche Vision von Kirche haben wir? Welche Ausstrahlung wollen wir als Kirche? Diese Mitverantwortung von Lai:innen sollte zudem rechtlich verankert sein.
Wie sieht diese Verankerung in der christkatholischen Kirche heute konkret aus?
Im Schweizer Bistum wird der Bischof durch die Synode gewählt. Zwei Drittel der Synodenmitglieder müssen Lai:innen sein, ein Drittel stellen die Geistlichen. In anderen altkatholischen Kirchen kann das Zahlenverhältnis variieren, aber der Grundsatz «auf Augenhöhe» gilt überall. Das ist einer der Reibungspunkte des Synodalen Weges.
Wie schätzen Sie die Erfolgschancen des Synodalen Weges ein?
Ich glaube, er hat gute Karten, weil er gut begründet ist. Das Erste Vatikanum hat zu einer Zentralisierung geführt. Aber die römisch-katholische Kirche hat eine längere Tradition als die letzten 150 Jahre. Früher konnte das Volk bei der Wahl ihrer Bischöfe mitwirken.
Angenommen, die römisch-katholische Kirche setzt solche Reformen um. Halten Sie eine Wiedervereinigung der beiden katholischen Kirchen für denkbar?
Diese Frage wurde vor einigen Jahren in einer internationalen Dialog-Kommission diskutiert. Für Christkatholik:innen, wie für andere christliche Kirchen auch, wäre es jedoch inakzeptabel, wenn der Bischof von Rom auch für uns unfehlbar wäre. Ein Dogma ist eine Lehre, die man zu glauben hat. Als Christkatholikin möchte ich jedoch sagen können: Nein, daran glaube ich nicht.
In Deutschland treten römische Katholik:innen vermehrt zur christkatholischen Kirche über. Ist die christkatholische Kirche ein Auffangbecken für enttäuschte römische Katholik:innen?
In der heutigen Situation sollten wir froh sein, wenn Leute überhaupt christlich bleiben wollen. Und dass Menschen ihrem eigenen Gewissen folgen wollen - in beide Richtungen - kann man doch eigentlich nur unterstützen. . Im Vergleich zu Deutschland ist der Leidensdruck in der Schweiz wohl kleiner, weil die römisch-katholische Kirche hier mit dem dualen System stärker von der Basis her organisiert ist.
Lesen Sie auch Teil 1 des Interviews: Als Berner:innen die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnten.
Hinweise:
«Katholizismus am Scheideweg» - Die Katholischen Kirchen der Schweiz nach dem ersten Vatikanischen Konzil. Symposium an der Universität Bern, 9. Dezember. Infos und Anmeldung bis 2. Dezember an martin.buergin@unibe.ch
Kirche sucht Zukunft – Feier mit Podiumsveranstaltung. Mit Angela Berlis, Christoph Schuler, Ruedi Heim und anderen. Moderation: Norbert Bischofberger. 19 Uhr, Heiliggeistkirche.
Die Initiative zu diesen Veranstaltungen ging von der römisch-katholischen Gesamtkirchgemeinde und der christkatholischen Gemeinde Bern aus.