André Galli glaubt, dass eine gerechtere Welt möglich ist. Foto: zVg

Mit Gebet und Briefen gegen Folter

10.12.2020

Ein junger Christ engagiert sich für die Menschenrechte.

Sie beten gemeinsam und schreiben Briefe an Gefangene, die in Todeszellen sitzen. Am heutigen Tag der Menschenrechte lädt die Acat-Regionalgruppe Ittigen zu einer ökumenischen Online-Feier.

Autorin: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Zum Tag der Menschenrechte vom 10. Dezember lanciert Acat-Schweiz die Kampagne «Umweltaktivist*innen in Gefahr – schützen wir ihre Menschenrechte!» Wie hängen Umweltschutz und Menschenrechte zusammen?

André Galli: Wenn das eine leidet, leidet oft auch das andere. Es ist ein Menschenrecht, in einer intakten Umwelt leben zu können. Wenn Menschen kein sauberes Trinkwasser haben, ist das Recht auf Gesundheit oder auf Leben nicht mehr gegeben.

Was tut die Regionalgruppe Ittigen konkret?

Die Regionalgruppe Ittigen hat sechs bis acht aktive Mitglieder, reformierte, freikirchliche und katholische. Vor Corona trafen wir uns alle zwei Monate. Wir gestalten in der Karwoche und im Advent jeweils einen Gottesdienst in der reformierten Kirchgemeinde Ittigen mit, in dem Anliegen von Acat thematisiert werden. Dieses Jahr konnten wir in einem Online-Gottesdienst der reformierten Kirchgemeinde Gebetsanliegen einbringen, etwa für ein christliches Ehepaar aus Pakistan, das wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt wurde.

Betet die Gruppe Ittigen auch gemeinsam?

Ja, bei jedem Treffen beten wir für die Menschen, die uns Acat oder andere Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Open Doors uns melden. Dabei handelt es sich um Menschenrechtsaktivist*innen, die spurlos verschwunden sind, oder um Menschen, denen ein rechtlich unhaltbarer Prozess gemacht wurde.

Nützt beten gegen Folter und die Verletzung von Menschenrechten?

Im Gebet werden wir uns der Situation anderer Menschen bewusst. Dies ist der erste Schritt. Weitere Schritte sind das Publik-Machen der Vorfälle. Damit erhöhen wir den öffentlichen Druck auf die staatlichen Behörden. Als Einzelpersonen schreiben wir Briefe an die Anwält*innen der Betroffenen, an die Behörden oder an die inhaftierten Personen selbst, auch wenn es nicht immer sicher ist, ob diese Briefe ankommen.

Die Aktion der Christ*innen für die Abschaffung der Folter (Acat) ist eine Menschenrechtsorganisation, die zum Ziel hat, Folter und Todesstrafe weltweit abzuschaffen. Sie setzt sich für Gefolterte und zum Tod Verurteilte ein - unabhängig von deren Ideologie, Religion, Ethnie und ungeachtet ihrer angeblichen oder tatsächlichen Straftat. Acat greift auch ein bei willkürlichen Inhaftierungen und unfairen Prozessen, engagiert sich für Menschrechtsverteidiger*innen, die verfolgt werden, oder für Flüchtlinge, die in Länder zurückgeschafft werden sollen, in denen ihnen Folter oder die Todesstrafe drohen. Die Organisation stützt sich auf Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:«Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden». (sys)

Bekommen Sie Antworten?

Nicht immer. Manchmal melden sich Gefangene, die frei gekommen sind, Jahre später und bedanken sich bei allen, die ihnen in die Gefangenschaft Briefe geschrieben haben. Selbst dann, wenn diese Korrespondenz objektiv nichts verändert, merkt die Person, dass sie nicht alleine ist. Wir haben Rückmeldungen von Inhaftierten, die sagen, dass es für sie sehr wichtig ist zu wissen, dass es eine Welt ausserhalb des Gefängnisses gibt und dass dort Menschen sind, die sie nicht vergessen haben.

Haben Sie persönlich schon solche Rückmeldungen bekommen?

Nein, aber in der Regionalgruppe Ittigen gibt es Leute, die mit Menschen in Briefkontakt standen, die jahrelang in den USA in der Todeszelle sassen. Sie haben von diesen Inhaftierten auch Antwort erhalten. Manchmal hört man aber auch gar nichts oder Verschollene bleiben spurlos verschwunden.

Weshalb bleiben Sie trotzdem dran?

Weil ich daran glaube, dass es noch eine andere Instanz gibt als diese weltlichen Gerichte, die manchmal jeder Gerechtigkeit spotten. Ich halte der Hoffnung fest, dass es sich lohnt, sich einzusetzen und zu glauben, dass eine bessere Welt und ein besseres Rechtswesen möglich sind, bei uns und weltweit.

Engagieren Sie sich deshalb bei Acat und nicht bei Amnesty International?

Ja, es ist mir wichtig, darauf zu vertrauen, dass eine gerechtere Welt möglich ist. Dass es sich lohnt, darauf hin zu arbeiten, zu beten und zu leben. Eine Welt, die nicht immer sichtbar ist, aber von der wir glauben, dass sie möglich und dass sie im Sinne von Gott ist. Sie erhalten Informationen über Menschen, die gefoltert werden oder verschwunden sind, von Acat oder ähnlichen Organisationen.

Wie können Sie sicher sein, dass diese Informationen keine Fake News sind?

Acat überprüft, ob die Quelle verlässlich ist. Manchmal berichten die staatlichen Behörden selber über eine Verhaftung. Es gibt Fälle, in denen Medien oder bekannte Presseagenturen vom spurlosen Verschwinden einer Person berichten. Wenn mehrere Quellen dasselbe melden, kann man davon ausgehen, dass die Information zutrifft. Manchmal alarmiert eine persönliche Kontaktperson Acat, die das dann überprüft: Können wir diese Person erreichen? Ist sie inhaftiert? Wurde ein Haftbefehl erlassen? Man fragt bei den Behörden: Weshalb wurde diese Person verhaftet? Sobald Acat diese Fakten beieinander hat, ergeht eine Mitteilung an die Mitglieder mit einem Gebetsaufruf.

Weiterführender Artikel: In der Verlautbarung der Schweizer Kirchen zum Menschenrechtstag fehlt die Bischofskonferenz.

Mahnwache und ökumenische Feier
Am 10. Dezember ist der UNO-Menschenrechtstag. Acat Schweiz organisiert an diesem Tag jeweils zusammen mit Amnesty International, der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Bern (AKiB) und der Fachstelle «Kirche im Dialog» der katholischen Kirche Region Bern eine ökumenische Feier, dieses Jahr im Berner Münster:
18 - 18.15 Uhr: Glockengeläut des Münsters, stille Mahnwache auf dem Münsterplatz
18.30 Uhr: Ökumenische Feier im Münsterchor. 15 Personen dürfen an der Feier teilhaben. Das Münsterschiff ist zur Zirkulation frei zugänglich. Die Feier wird ab 18.15 Uhr online gestreamt.