Lo & Leduc, Ingwer und Ewig, Bakara Music/Warner Music 2017.

Musik - Lo & Leduc, Ingwer und Ewig

29.03.2017

Ein scharfzüngiger Aufguss...

Wieder mischen Lo & Leduc auf ihrem neuen Album mit Wortbildern tüchtig auf. Diesmal wird mit Ingwer scharfzüngig gekocht und wortwitzig Fäden durch Geschichten und Welten gezogen. Politisch und nationalkritisch werden da Aufgüsse gebraut, die sehr wohl zentrifugale Kräfte freisetzen können. Man wird durch mehrmaliges Hinhören hinaus auf die Strassen der Stadt geschleudert, um sich an ihr zu reiben.

«Alls drääit uf der Stell – Karussell.» Das Leben ist ein Rösslispiel. Vor der Reitschule bäumt sich das Keramikross auf … und Tonio wird gebeten, die Tür zu öffnen. So ist der Opener Karussell auch ein Bekenntnis. Ihr Herz öffnen Lo & Leduc wie Türen in «mis Huus, dis Huus» für alle Gäste, die Freunde genannt werden, auch wenn sie sich zwischendurch über dieses «Hotel» beschweren.«I chume lieber zu Dir …» singen sie in Ingwer & Ewig. Man wird zum Tee eingeladen. Das Rezept: «Früsch pressti Glücklech, paar tröchneti Truurig, es Würfeli Blybwidebisch … drüü Löffeli Kuss uf d’Stirn» – da will man bleiben!

Lo & Leduc erzählen Geschichten. Die Geschichte vom Vampir, der in seiner 337-jährigen Identitätskrise zwischendurch ein Schaf reisst – am nächsten Tag wird dann der vermeintliche Wolf geschossen. Drei Tage an der Fasnacht gibt es, an welchen der Vampir nicht auffällt. Aber auch dann fühlt er sich einsam. Eine Ode an alle Einsamen, die nicht schlafen und nicht sterben können. «Der Henker» ist ein Stück über die Stadt Bern. «I weiss chuum Bärn i bi.» Man hängt an dieser Stadt und wird ihr immer ähnlicher, löst sich immer mehr auf, bis man sich selbst durch die Hand rieselt. Man schleift sich aneinander ab – ein Bild dafür, dass man auch in einer solchen «Liebesbeziehung» miteinander und füreinander gleich-gültig wird. Eine andere Liebe wird im Song Damevelo besungen: «Di Pneu si düre, un i bis o» – das Velo als Metapher für die eigenen Befindlichkeiten und Unzulänglichkeiten.
Versorgt wird im Track 8 die demente Grossmutter: «Früecher het si albe nüdt kennt, hüt kennt sie niemer me …» Alles ist im Estrich in ihrem Kopf, versorgt in Kisten. Nur zwischendurch geht eine Kiste auf für einen Augenblick. Dann, wenn das Lied von diesem Mädchen ertönt, welches das Herz verschlossen hatte und nur ein «Bueb» dafür den Schlüssel hat. Ein anderer Bub ist der Walter, der zwischen Buchdeckeln eines Walterbuchs gesucht wird. Doch er wird nicht mehr gefunden, weil er sich davongestohlen hat. Er will nicht mehr hinhalten für vereinnahmende Politplakate: «I ha scho denn müesse dr Gring häreha, bi dere Sach mit däm Öpfel.»

Wie auf dem letzten Album ist ein Song einem Himmelskörper gewidmet. Damals war es Pluto. Im zweitletzten Stück setzt sich der Mond in Szene: er ist ein Randständiger, der nie um seine Meinung gefragt wird: «Me fragt nur immer d’Stärne, behandlet ne wi ne Latärne.» Vielleicht ist Christopherus der einzige, der die Nacht mit dem Mond teilt. Christopherus ist nach dem Abbruch des Stadttors nun der letzte Randständige im Bahnhof Bern, der nicht verjagt wurde, als die Stadtmauern verglast wurden. «I ha ds Gfüel, we du nümm bisch, de gheit di Wält vonang.»

«Deheim, Gott, Frei, Gränze, der Tod» – all die Wörter haben wir erfunden (Track 11) aus gutem Grund: «Chumm mir machen üs e Dechi us dene Wörter, u decke der Abgrund dermit zue.» Darunter ist es kalt und leer – kein Ort zu bleiben und zu sein. Deshalb: «I bi starch mit dir und i bi schwach mit dir … dusse isch e chalti Wäut. Mir bhalte warmi Händ!»

Patrik Böhler

Lo & Leduc, Ingwer und Ewig, Bakara Music/Warner Music 2017. Ab sofort auf allen gängigen Plattformen und als CD erhältlich, ab Fr. 16.–, Songs ab Fr. 1.90