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Muster
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Eine Gewohnheit kann man nicht einfach zum Fenster hinauswerfen; man muss sie Stufe für Stufe die Treppe hinunterlocken.
Mark Twain
Gewohnte Muster erleichtern mir das Leben: Kopf, Hände und Füsse wis- sen: «Wenn, dann» und handeln selbstständig. Gut eingespielte Bewegungs-, Beziehungs- und Verhaltensmuster erleichtern die alltäglichen Pfade und lassen die Aufmerksamkeit in die Ferne schweifen. Ich kann mich morgens im Halbschlaf für den Tag zurechtmachen, in Rekordzeit das Frühstück zubereiten und mit den Gedanken schon weit vorauseilen, ohne dass etwas schiefgeht. Vielleicht gehe ich die Treppe nochmals kurz hoch, um im Kopf sicherzustellen, dass meine zuverlässigen Hände auch wirklich den Schlüssel gedreht haben, aber auch das ist längst ein Muster der Gewohnheit geworden.
Gewohnte Muster engen aber auch den Spielraum etwas ein. Wer immer die Wirbelsäule nur nach rechts neigt, verteilt seine Last ungerecht. Während die rechtsseitigen Gelenke schuften, langweilen sich die linken und rosten ein. Es kann darum auch heilsam sein, eine Zeit lang ohne Autopiloten unterwegs zu sein. Dies steigert die Flexibilität.
Bei einer Krankheit oder einem Unfall werden die gut eingespielten Muster nicht nur zum Fenster hinausgeworfen, sondern weit weg katapultiert. Plötzlich geht gar nichts mehr wie gewohnt. Der Autopilot ist nicht mehr zu gebrauchen. Das betrifft nicht nur die körperliche Ebene. Auch wenn «nur» ein blockierter Körperteil die gut orchestrierten Bewegungsabläufe durcheinanderbringt, kann doch die ganze Selbstverständlichkeit ins Holpern kommen. Ein damit verbundener Spitalaufenthalt verstärkt diesen Effekt. Es fehlt die vertraute Umgebung. Im hinten offenen Spitalnachthemd durch die Gänge tapsend, gerät das soziale Gefüge durcheinander, der eigene Wille ist nicht mehr Königin.
Ein anderes Muster bestimmt nun über das persönliche Wohlergehen, es wird Algorithmus genannt: «Wenn, dann ...».
Bald einmal wird sogar das digitale Patientendossier den Autopiloten übernehmen. Wenn bestimmte Parameter im Dossier erfüllt sind, wird die Physiotherapeutin, der Ergotherapeut oder vielleicht auch die Seelsorgerin per digitaler Nachricht anvisiert. Solche Algorithmen werden die Abläufe im Spitalalltag sicher erleichtern, aber möglicherweise auch einengen. Ist es unverschämt zu hoffen, dass auch dieser Autopilot hin und wieder ausfallen wird, damit das System flexibel bleiben kann?
Marianne Kramer, reformierte Seelsorgerin