Der Nationalrat verpflichtet Organisationen, die mit Kindern arbeiten, zu Schutzkonzepten gegen Missbrauch. Foto: Screenshot livestream Schweizer Parlament
Nationalrat: Ja zu staatlichen Vorgaben zu Missbrauchprävention
Am Mittwoch (11.9.) stimmte der Nationalrat ohne Debatte einem Postulat und sechs Motionen zu, die staatliche Vorgaben zur Missbrauchsprävention verlangen. Dies von Kirchen, Organisationen und Vereinen, die mit Kindern, Jugendlichen und anderen vulnerablen Personen zu tun haben.
Gleich sechs Motionen verlangten vom Staat gesetzliche Grundlagen für Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – also auch die Kirchen. Alle Parteien ausser der SVP hatten entsprechende Anträge eingereicht. Obschon der Bundesrat die Motionen ablehnte, weil dies in die Zuständigkeit der Kantone falle, wurden die Motionen gleichen Inhalts in einer Abstimmung mit 120 Ja zu 50 Nein-Stimmen (8 Enthaltungen) angenommen. Damit wird der Bundesrat im Ständerat den Antrag auf Umwandlung in einen Prüfauftrag stellen, wie Bundesrätin Baume-Schneider in ihrem Votum sagte.
Weshalb die SVP das Anliegen ablehne, «erschliesst sich mir nicht», hatte Motionärin Patricia von Falkenstein (FDP BS) in ihrem Votum gesagt. Sie erinnerte daran, dass die Schweiz als Unterzeichnerin der UNO Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet sei, die Rechte und den Schutz von Kindern zu gewährleisten. Die Ausarbeitung der einzelnen Schutzkonzepte verortet sie auf der Ebene der Dachverbände, denn es sei klar, dass sich «einem Fussballclub andere Fragen stellen als einer Ballettschule». Auch Ehrenamtliche müssten sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
«Sicher und unbeschwert»
Priska Wismer-Felder (Mitte LU), fünffache Mutter und sechsfache Grossmutter, knüpfte hier an und erwähnte die vielen positiven Erfahrungen, die ihre Kinder und Enkelkinder in Vereinen machten. Damit dies auch weiterhin für viele Kinder «sicher und unbeschwert» möglich sei, brauche es Schutzkonzepte. «Auf Bundesebene haben wir die Pflicht, Vorgaben zu machen, dass Missbräuche nicht passieren können.»
Bundesrätin Baume-Schneider hatte im Namen des Bundesrates aus formalen Gründen gegen die Motion plädiert . Für das Kirchen- und Schulwesen seien die Kantone zuständig. Vereinen könne der Bund nur Vorgaben machen, wo diese Bundesgelder erhielten.
Postulat verpflichtet zu Aufarbeitung und Prävention
Ebenfalls angenommen wurde ein Postulat von der Kommission für Rechtsfragen. Der Bundesrat soll damit untersuchen, inwiefern Organisationen, die Kinder, Jugendliche und weitere vulnerable Personen betreuen, Fälle von sexuellem Missbrauch aufarbeiten und die zuständigen Strafbehörden einschalten. Er soll ausserdem prüfen, welche Massnahmen die Organisationen getroffen haben, um künftige Missbrauchsfälle zu verhindern. Auf dieser Basis soll untersucht werden, ob Verbesserungen gegebenenfalls mittels Gesetzen herbeigeführt werden müssten. Das Postulat wurde mit 125 Ja- zu 59 Nein-Stimmen (2 Enthaltungen) angenommen. Beide Vorstösse gehen nun an den Ständerat.
Kirchenvertreter begrüssen Vorstösse
Kirchenvertreter begrüssten die Vorstösse im Vorfeld: «Eine aktivere Rolle des Bundes wäre zu begrüssen, da die Zahl sexueller Gewalttaten und die Mehrdimensionalität des Problems eine breite Sensibilisierung, Koordination und die Hartnäckigkeit der Staatsgewalt brauchen», sagte Urs Brosi, Generalsekretär der RKZ, auf Anfrage des «pfarrblatt». Der Bericht sei für die katholische Kirche zudem eine Möglichkeit, um die verschiedenen Bemühungen auf Ebene der Landeskirchen, Bistümer und auf nationaler Ebene aufzuzeigen und Rückmeldung zu erhalten, so der RKZ-Generalsekretär gegenüber dem «pfarrblatt».
Es sei wichtig, «dass der Staat auch in der Prävention von sexualisierter Gewalt eine Aufsichtspflicht wahrnimmt und Rechenschaft einfordert, insbesondere gegenüber Institutionen, die finanziell von ihm gefördert werden und die eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung haben» , sagte Stefan Loppacher, Leiter der Dienststelle Missbrauch der katholischen Kirche Schweiz, im Vorfeld der Debatte gegenüber dem «Tages-Anzeiger. «Die Aufsichtspflicht des Staates sollte aber auch bedeuten, dass er in geeigneter Weise kontrolliert, wie die Konzepte in den jeweiligen Organisationen umgesetzt werden, ob die Präventionsmassnahmen greifen und ausreichend sind», sagt Loppacher. sys