Neuer Ton: Amoris Laetitia

08.04.2016

Medienmitteilung der Schweizerischen Bischofskonferenz zum Synodenpapier Amors Laetitia

Einen Kommentar gibt es beim Pfarrblatt

Das Dokument zum Download gibt es hier

Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange geschehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heißt bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können. Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen. Denn »die Kulturen [sind] untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz […] muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll«.
Papst Franziskus in Amoris Laetitia, Auswahl «pfarrblatt» jm

 

Amoris Laetitia – Liebe, Integration, Gewissen

Liebe Schwestern und Brüder
„Amoris laetitia“, das nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus, berührt, bewegt, fordert heraus und macht Freude. Diese Freude teile ich gerne mit Ihnen. Anhand von fünf Stichworten zeige ich auf, was mich bewegt.

• Liebe
Das Wichtigste in der Familie, Beziehung, Partnerschaft, ja im ganzen Leben ist die Liebe. Man spürt förmlich, dass der Papst aus Gottes Liebe lebt und die Menschen gern hat. Das Schreiben ist voller Liebe und Lebensfreude und einem Verständnis der Sexualität als Teilhabe an der Fülle des Lebens in der Auferstehung. Die Liebe ist der Schlüssel zur Freude und zu einem glücklichen Leben.

• Realismus
Die Liebe ist ein Ideal. Oftmals ist sie Wirklichkeit, häufig aber auch nicht. Der Papst weiss um die Brüchigkeit der Liebe. Gerade deshalb ist er einfühlsam gegenüber konkreten Situationen, Herausforderungen und Schwierigkeiten von Menschen in Partnerschaft und Familie. Er schaut auf sie, so wie sie sind. Der Text kennt die Lebensrealitäten und spricht sie an. So wie sie sind. „Die Wirklichkeit steht über der Idee“, heisst es schon in „Evangelii gaudium“. Wenn das Ideal losgelöst von der Realität ist, verliert es seine Kraft. Wir müssen deshalb von unseren wirklichen Lebensumständen ausgehen und von hier aus dem Ideal der Liebe entgegenstreben. Das gilt auch für die Partnerschaft. Das Ideal der Ehe in verlässlicher und treuer Partnerschaft bleibt. Es ist gut. Es ist aber keine abstrakte Idee, sondern das Ideal, welches inspiriert, herausfordert, auffordert, Ziel ist. Familien und Partner sind auf dem Weg dorthin.

• Integration
Der Weg der Kirche ist ein Weg der Integration. Die Kirche hat nicht den Auftrag auszuschliessen, sondern einzuschliessen. Das gilt besonders für die Menschen, deren Lebensform objektiv „irregulär“ ist. Aber wessen Lebensform ist schon in allem „regulär“? Der Papst plädiert für eine neue Sicht. Zunächst sind alle Getaufte, Brüder und Schwestern, beschenkt durch vielfältige Gaben und Talente. Niemand ist perfekt, also völlig „regulär“, und niemand ist völlig „irregulär“ und aus der Kirche ausgeschlossen. Der Schlüssel, der öffnet, funktioniert nach der Logik der Integration. Sie ist der Schlüssel zu einer angemessenen Seelsorge für alle.

• Gewissen
Angesichts der unterschiedlichen und komplexen Situationen sind neue Regelungen, z.B. für den Empfang der Sakramente, nicht möglich. Man könnte sowieso nie allen Situationen gerecht werden. Das Gewissen spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Kirche kann das Gewissen der einzelnen nicht ersetzen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Gewissen zu bilden. Die Menschen sind dann in der Lage, selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen, so zum Beispiel beim Kommunionempfang. Hier betont der Papst, dass die Eucharistie nicht eine Belohnung für die Vollkommenen ist, sondern ein grosszügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen.

• Unterscheidung der Geister
Gewissensentscheide fallen nicht vom Himmel. Sie verlangen, dass eine Situation, ein Wunsch, eine Begebenheit immer wieder neu bedacht und überlegt wird. Was will ich? Was hat das für Auswirkungen auf meine Familie? Verletze ich jemanden? Verhilft es mir zum Glück? Das Unterscheiden ist ein persönlicher Prozess und gleichzeitig ein interaktives Geschehen. Es geschieht allein mit und vor Gott, in der Partnerschaft, mit Freunden, mit dem Priester und der Seelsorgerin. Richtschnur ist auch hier die Logik der Liebe und der Integration. Das päpstliche Schreiben ist flüssig und in einer wohltuenden Sprache verfasst. Es schliesst ein, nicht aus. Es redet nicht über erlaubt verboten, sondern ist viel umfassender und appelliert an das eigene Gewissen. Und es ist nie fade. Denn es ist spannend, bei sich anzufangen und die „Geister zu unterscheiden“.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!


+Felix Gmür, Bischof von Basel

 

Bischof Jean-Marie Lovey über das postsynodale apostolische Schreiben "Amoris Laetitia"

Der Weg des Unterscheidens und Begleitens

Man hat es erwartet und erhofft, jetzt ist es da: das postsynodale apostolische Schreiben. Papst Franziskus publiziert es kaum sechs Monate nach Abschluss der Arbeiten der Bischofssynode über die Familie. Sein Titel: Amoris Laetitia, Freude der Liebe. Er allein gibt schon einen interessanten Schlüssel, der die verschiedenen Zugänge öffnet. Der Papst, der an allen Plenarsitzungen der Synode teilnahm, hörte diese Versammlung sagen: "Mit innerer Freude und tiefem Trost blickt die Kirche auf die Familien, die den Lehren des Evangeliums treu sind. Sie dankt ihnen für ihr Zeugnis und ermutigt sie darin. Dank Ihnen werden die Schönheit der unauflöslichen Ehe und ihre immerwährende Treue glaubwürdig." (Relatio Synodi, Nr. 51) Das Dokument kann besser aufgenommen und fruchtbar werden, wenn der darin vorgezeichnete Weg durch die Türe des Unterscheidens eingeschlagen wird. Weil das Evangelium ein Schatz ist, der der Kirche zum Wohle aller anvertraut ist, ist es wichtig, dass er jeden in seinem wirklichen Leben und seiner konkreten Lage erreichen kann. Das Unterscheiden lädt den Seelsorger dazu ein, ohne Verallgemeinerung die unterschiedlichen Situationen zu berücksichtigen, in denen die Menschen, die Familien, die Paare leben. Die Situationen und ebenso die Weise, ihnen eine Antwort zu unterbreiten, sind oft komplex. "Für eine Unterscheidung darf man keine bestimmte Formulierung einer Wahrheit für die zu treffende Wahl voraussetzen." Es handelt sich nicht darum, die sehr unterschiedlichen Situationen zu "katalogisieren oder in allzu starre Aussagen einzuschliessen, ohne einer angemessenen persönlichen und pastoralen Unterscheidung Raum zu geben" (AL, Nr. 298)

Es geht vielmehr darum, eine Begleitung in allen Situationen anzubieten, auch den komplexesten, mit dem Wort Gottes als Unterscheidungsinstanz, mit dem Ziel, die Wirklichkeit jedes Lebens zu beleuchten. Sie ist eine andere Türe, die verlangt, dem Heiligen Geist gewissenhaft zu folgen. Nur in ihm, dem Heiligen Geist, "begegnen sich Liebe und Wahrheit" vollkommen. Die pastorale Unterscheidung bestimmt die Haltung der Kirche näher. Sie ist dazu aufgerufen, alle Situationen zu begleiten und an das Gewissen der Menschen zu appellieren. Dieses gilt es zu bilden und nicht, es ersetzen zu wollen (cf. AL, Nr. 37). Anders gesagt, Begleiten heisst, in „einer klug differenzierten Weise“ mit den Anderen auf ihrem Weg Schritte zu machen. Die Türe der Begleitung öffnet sich auf jene der Inklusion und nicht des Ausschlusses. Die Inklusion setzt die Anstrengung voraus, die Verschiedenheit zu akzeptieren, mit Andersdenkenden zu sprechen, die Teilhabe jener zu befürworten, die unterschiedliche Eignungen haben. Papst Franziskus hatte uns bereits in seinen Katechesen damit vertraut gemacht, dass man "in der Familie, unter Brüdern, das menschliche Zusammenleben lernt, nämlich wie man in Gesellschaft nebeneinander zu existieren hat" und ebenso, dass wir ab "unseren ersten Lebensjahren von der Pflege und dem Wohlwollen anderer abhängig sind". Mit Blick auf die Personen, die in komplexen, "irregulären" Situationen leben, sagt der Text des päpstlichen Schreibens: "Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung... Sie sind Getaufte, sie sind Brüder und Schwestern, der Heilige Geist giesst Gaben und Charismen zum Wohl aller auf sie aus." (AL, Nr. 299)

In diesem Jahr, in dem er das Jubiläum der Barmherzigkeit eröffnet hat, ist die pastorale Sorge von Papst Franziskus, dass die Türen unserer Leben und die Türen der Kirche immer offen bleiben, damit wir "immer geneigt (sein mögen) zu verstehen, zu verzeihen, zu begleiten, zu hoffen und vor allem einzugliedern". (AL, Nr. 312)

+Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten, Delegierter der Schweizer Bischofskonferenz an der Generalversammlung der Bischofssynode 2015

«Nicht mehr im Halbschatten kirchenrechtlicher Illegalität»: Kommentar zum nachsynodalen Schreiben auf kath.ch

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Kommentar beim Pfarrblatt