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Nichts
Kolumne aus der Inselspitalseelsorge
Liebe Leserinnen und Leser
Ich habe die Ehre, für die Inselseelsorge das «pfarrblatt»-Jahr 2024 zu eröffnen. Ich bin früh dran, will mir zum Schreiben besonders viel Zeit nehmen. Es liegt ein Thema in der Inselluft, von dem ich Ihnen erzählen will, aber am nächsten Tag überstürzen sich die Ereignisse. Der angefangene Text landet im Papierkorb. Ich nehme mir ein anderes Thema vor, und wieder überholt mich das Leben. Ich weiche aus auf etwas unlängst Beobachtetes – und wieder entwickeln sich die Dinge so, dass ich unmöglich darüber berichten kann.
Da steh ich nun ratlos und mit leeren Händen vor diesem neuen Jahr, und was ich Ihnen erzählen kann, ist: nichts. Und sogar mit diesem Thema bin ich nicht allein. Die aktuelle Ausstellung im Berner Museum für Kommunikation ist eine Ausstellung über Nichts. Die Ausstellung regt an zu fragen: Was ist Nichts, und was ist fast Nichts? Wie fühlt sich Nichts an? Kannst du Nichts denken? Kannst du Nichts zeichnen? Was ist das Gegenteil von Nichts? Bist du schon mal vor dem Nichts gestanden? Kannst du aus Nichts etwas machen? Bist Du gut im Nichtstun? Kann es sein, dass Nichts nicht nichts ist? Oder ist Nichts ein leerer Begriff? Ist Nichts einfach die Abwesenheit von Eigenschaften? Oder ist Nichts ein Loch im Sein?
Und im Spital: Was bedeutet es, wenn die Ärztin sagt: «Wir haben nichts gefunden?» Und was, wenn sie sagt, «wir können nichts tun»? Was wünscht sich ein Patient, der sagt, er brauche nichts? Und was meint die Angehörige, wenn sie sagt, sie habe nichts geahnt? Ist Nichts negativ oder positiv? Kann man nichts verändern? Kann man nichts erwarten?
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, ein anregendes neues Jahr und erinnere mich dabei an einen Satz des Pfarrers und Autors Klaus Schädelin: «Es gibt so viele Dinge, die ich nicht tun kann, dass ich noch jahrelang damit beschäftigt sein werde.»
Marianne Kramer, Seelsorgerin im Inselspital