Prof. Dr. h.c. Jürg Krummenacher 1991–2008 Direktor von Caritas Schweiz, seit 2009 Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Foto: zVg
«Niemals stehenbleiben»
Über eine pointierte Rede zur katholischen Sozialethik von Prof. Jürg Krummenacher
Anlässlich der Feier zu 40 Jahre Kirche im Dialog gab es neben viel Dank und Wertschätzung sowie künstlerischen Highlights wie Kohelet & Brecht und der Jazzvesper auch einen konstruktiven Blick von aussen: Prof. dr. h.c. Jürg krummenacher hielt eine pointierte Rede zur katholischen Sozialethik, die es verdient, hier in Auszügen weitergegeben zu werden.
Prof. Krummenacher setzte bei seiner Rede mit der ersten Sozialenzyklika, «Rerum novarum» (1891) von Papst Leo XIII., ein. Diese «nannte die Kapitalkonzentration in den Händen weniger, die wachsende Selbstentfremdung der Arbeiter und die Verarmung immer grösserer Bevölkerungskreise als zentrale Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) knüpfte an diese Kritik an und bedeutete auch für die Soziallehre, wie es Papst Johannes XIII. formulierte, ‹einen Sprung vorwärts›. ‹Gaudium et spes› (1965) betonte die Einheit von Kirche und welt. Die Kirche soll als ‹Sauerteig› und ‹Ferment› in Geschichte und Gesellschaft hineinwirken».
Pacem in terris
Mitten im kalten Krieg mit seiner atomaren Bedrohung richtete sich «die Enzyklika ‹Pacem in terris› (1963) erstmals nicht nur an die Katholiken, sondern an ‹alle Menschen guten Willens›». Alle Menschen werden zur Einsicht gerufen, dass sich Konflikte nicht durch Waffengewalt, sondern durch Verhandlungen und Verträge lösen lassen.
«Ein Meilenstein in der Entwicklung der katholischen Soziallehre war schliesslich die Enzyklika ‹Populorum Progressi› von Papst Paul VI. (1967)… Die ‹New York Times› nannte die Enzyklika ‹Ein fast marxistisches Dokument›. Es ist die erste Enzyklika, die sich mit dem wachsenden Nord-Süd- Gefälle befasste und in klarer Sprache die Auswüchse eines ungehemmten Kapitalismus auf dem Buckel der armen Länder anprangerte. Wer die Enzyklika heute liest, staunt, wie aktuell und wegweisend das Dokument immer noch ist.»
Entwicklung für alle
«Die zentrale Botschaft der Enzyklika lautete: ‹Entwicklung ist der neue Namen für Frieden›. Wie eng Friede, Sicherheit und Entwicklung miteinander verschränkt sind, wird uns gerade in der jetzigen Zeit bewusst. Viele gewaltsame Konflikte und Kriege haben ihre Ursachen in der fehlenden Entwicklung, der Armut und Perspektivlosigkeit der Bevölkerung und in der Ausbeutung der armen Länder… wichtige Ursachen für die fehlende Entwicklung der ärmsten Länder sind die neoliberale Weltwirtschaft und der unfaire Handel…»
Deshalb hat «Papst Franziskus die neoliberale Wirtschaftspolitik in ‹Evangelii Gaudium› (2013) scharf kritisiert. ‹Diese Wirtschaft tötet›, schreibt er. Sie schliesse grosse Bevölkerungsanteile von Arbeit und Lebensperspektiven aus und mache den Menschen zum ‹Wegwerfartikel›. Gleichzeitig ruft der Papst immer wieder zur Solidarität mit den Flüchtlingen, aber auch zum interreligiösen Dialog und zum gemeinsamen Engagement für die ‹wahrheit, den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Menschen› auf.
Damit führt Papst Franziskus die katholische Soziallehre fort und übersetzt sie in die Zeit von heute». Krummenacher beendete seine Rede mit einem Zitat des französischen Philosophen Henri Bergson, das er zugleich als Wunsch der Kirche im Dialog mit auf den Weg gab: «Was mich an Jesus besonders beeindruckt hat, ist seine Weisung, immer voranzugehen. So könnte man fast sagen, das bleibende Element am Christentum sei der Auftrag, niemals stehenzubleiben.»
Redaktion: André Flury