Auch die Bibel wird immer mehr digital gelesen. Hier bietet Chatbot Nikodemus AI Unterstützung. Foto: pixabay.com

«Nikodemus AI» legt die Bibel aus

Künstliche Intelligenz hält in den Kirchen Einzug. Die evangelischen ERF-Medien haben diesen Sommer mit «Nikodemus AI» einen Chatbot lanciert, der Fragen zur Bibel beantwortet.

 

Teil 2: Nikodemus AI

Sylvia Stam

Auf dem Bibleserver, einer Website, die verschiedene deutschsprachige Bibelübersetzungen online zugänglich macht, können User:innen sich seit Juli bei einem Chatbot Hilfe holen, wenn sie eine Bibelstelle nicht verstehen. Wer das Icon mit dem Roboterkopf anklickt, wird von «Nikodemus AI» (die englische Abkürzung für künstliche Intelligenz) begrüsst.  Anders als der KI-Jesus in der Luzerner Peterskapelle handelt es sich hier nicht um eine künstlerische Spielerei, sondern um ein Werkzeug zur Bibelexegese. Dieses «liefert dir Hintergrundinformationen zu Bibeltexten, gibt dir praktische Tipps zur Anwendung biblischer Prinzipien im Alltag oder stellt Rückfragen zum Weiterdenken und Entdecken der Bibel», heisst es dazu auf der Website. Gedacht ist er für Menschen, « die die Bibel (bisher) nur wenig kennen».

Im Unterschied zum KI-Jesus erhält man die Antworten von Nikodemus schriftlich, er versteht sich nicht als Seelsorger, sondern als «christliche/r Theologe/Theologin mit umfangreichem Bibelwissen». Seinen Antworten liegt das Glaubensverständnis der Evangelischen Allianz zugrunde. Dass auch Nikodemus Fehler machen kann, erfährt die Nutzerin durch einen Hinweis innerhalb des Chatfensters, noch ehe sie die erste Frage stellen kann.

Schöpfung und Sexualität

Ein erster Selbstversuch zeigt: Nikodemus ist ehrlich und kennt seine Grenzen. Auf die Frage nach dem Sinn des Lebens entgegnet er postwendend: «Deine Frage kann ich nicht beantworten. Starte einen neuen Chat zum Thema Bibel oder christlicher Glaube.» Der Schuster bleibt also bei seinen Leisten!

Fragen zur Bibel beantwortet Nikodemus rasch, umfassend, mit genauen Verweisen auf Bibelstellen, und im Unterschied zum KI-Jesus sehr konkret. Sabine Bieberstein, Professorin für Neues Testament an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstatt sowie Autorin von «glaubenssache-online», hat Nikodemus auf Anfrage des «pfarrblatt» einige Fragen zu den Themen Schöpfung, Sexualität, Jesus im Judentum, Frauen, historisch-kritische Lektüre u.a. gestellt und die Antworten genauer angeschaut. Auf ihre Frage, wie die Schöpfungserzählungen im Vergleich mit modernen Wissenschaften zu verstehen sind, entgegnet Nikodemus: «Das ist eine spannende Frage! Die Schöpfungserzählungen in der Bibel, insbesondere in Genesis 1 und 2, haben nicht den Anspruch, naturwissenschaftliche Berichte zu sein. Ihr Hauptziel ist es, Gott als den Schöpfer des Universums und des Lebens darzustellen und dem Menschen eine Antwort auf die Frage nach seinem Ursprung zu geben.

Die moderne Naturwissenschaft hingegen beschäftigt sich mit dem «Wie» der Entstehung des Universums und des Lebens, indem sie naturwissenschaftliche Methoden wie Beobachtung, Experiment und Messung verwendet.» Dann listet Nikodemus drei Theorien auf, wie die Schöpfungsgeschichten mit den Naturwissenschaften in Einklang gebracht werden können. Dies sind laut Bieberstein bekannte, jedoch nicht die einzigen Theorien. Für einen wissenschaftlichen Anspruch fehlten allerdings entsprechende Hintergründe und Namen dazu.

Im Bezug auf die biblische Sicht auf Sexualität äussert sich Nikodemus AI etwas positiver als der KI-Jesus: «Die Bibel hat eine sehr positive Sicht auf Sexualität, wenn sie im richtigen Kontext gelebt wird. Von Anfang an wird Sexualität als Teil von Gottes guter Schöpfung beschrieben. In 1. Mose 1,27-28 heißt es: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch.» Dennoch bleibt auch er im traditionellen Rahmen, indem er Sexualität grundsätzlich innerhalb der Ehe verortet: «Die Bibel sieht Sexualität als etwas Heiliges, das in der Ehe zwischen Mann und Frau gelebt werden soll. Es geht um mehr als nur körperliche Vereinigung; es ist eine tiefe, seelische Verbindung.»

Für Lai:innen hilfreich

Ähnlich wie der KI-Jesus beendet auch Nikodemus seine Antworten mit einer Gegenfrage, die zum Nachdenken oder zum weiteren Bibelstudium anregen soll: «Wie kannst du diese biblische Sicht auf Sexualität in deinem eigenen Leben anwenden? Lies doch mal das Hohelied Salomos und lass dich von der Schönheit der biblischen Liebeslyrik inspirieren»

Insgesamt kommt Bieberstein zum Schluss, dass die Antworten von Nikodemus für Lai:innen durchaus hilfreich sein können, die Bibel besser zu verstehen, indem Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt werden. Ihrer Einschätzung nach liegt den Antworten ein traditionelles, konservatives Glaubensverständnis zugrunde, das jedoch nicht extrem fundamentalistisch sei. Bei strittigen Themen wie Homosexualität erkennt sie eine gewisse Offenheit gegenüber anderen Auffassungen und Lebensformen. In den Antworten nimmt Nikodemus, ähnlich wie der KI-Jesus, auch Bezug auf moderne wissenschaftliche Einsichten, allerdings würden diese nicht mit Namen belegt. Daher genügten die Antworten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht.

Hinweis: «Künstliche Intelligenz & Bibel – moderne Technologie trifft uralte Weisheit». Ein Webinar zu «Nikodemus AI» am 10.9., 20.00 Uhr

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