Wahlwerbung gegen die Initiative zur Abschaffung der Empfangsgebühren für Radion und TV in der Länggasse in Bern. Foto: kr

No Billag – Ergebnis und Stellungnahmen

06.03.2018

Die «No Billag»-Initiative ist gescheitert. Über 70 Prozent lehnten eine Abschaffung der Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen ab. Kirchliche Kreise reagieren erleichtert.

• «Dem Zeitgeist standgehalten und den christlichen Wert der Solidarität hochgehalten.» Der Schweizer Medienbischof zum Ergebnis.
• Auch der Evangelische Kirchenbund freut sich
• Und – ein Interview zum Thema mit Ottfried Jarren, Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK). Diese ist laut eigenen Angaben eine vom Bundesrat eingesetzte, unabhängige Expertenkommission. Die Debatte wird weitergehen.
• Die Stellungnahmen

 

Die «No Billag»-Initiative ist gescheitert. Über 70 Prozent lehnten eine Abschaffung der Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen ab. Kirchliche Kreise reagieren erleichtert. Etwa Alain de Raemy (Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg), er präsidiert die «Kommission für Kommunikation und Medien» der Schweizer Bischofskonferenz. Auch die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), der Dachverband der kantonalkirchlichen Organisationen, begrüsst den Entscheid, genauso wie der Schweizerische Evangelische Kirchenbund oder kirchliche Organisationen in der Westschweiz. Zum Schluss lassen wir Prof. Otfried Jarren, Präsident der Eidgenössischen Medienkommission, zu Wort kommen. Er äusserst sich zur Abstimmung und zur Zukunft des Journalismus.

«Medienbischof» Alain de Raemy, WEihbischof von Lausanne, genf und freiburg

«Der Schweizer Geist hat dem Zeitgeist standgehalten und den christlichen Wert der Solidarität hochgehalten», kommentierte der Weihbischof gegenüber kath.ch das deutliche Abstimmungsergebnis. 

Mit dem Nein zur Volksinitiative vom Sonntag bleibe die Schweiz «dem Eid der Genossen» treu, findet Alain de Raemy, der innerhalb der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) für die Medien zuständig ist. «Auf diese bewährte Eidgenossenschaft bin ich heute sehr stolz!» Die «solidarische Dienstleistung der SRG», die über sie hinausreiche, sei mit der Ablehnung der Initiative bestätigt worden.

Jetzt heisse es, «noch effizienter ein Service am demokratischen und solidarischen Zusammenleben zu sein», sagte der Medienbischof gegenüber kath.ch. Gleichzeitig warnte er vor einer Orientierung am «Zeitgeist des Profits» und den Zuschauer- und Zuhörerquoten und plädierte für ein «Immer besser anstatt immer mehr».

Auch wenn dies mit Kosten verbunden sei. De Raemy rief schliesslich zu Neutralität und Solidarität auf, «auch in der Medienwelt». Die SBK hatte im Vorfeld vor einer Annahme der Initiative gewarnt, die die Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen abschaffen wollte. Sie befürchtete eine Schwächung der schweizerischen Identität.

 

Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ)

Auch der Dachverband der kantonalkirchlichen Organisationen in der römisch-katholischen Kirche äusserte sich zufrieden über den Ausgang der Abstimmung vom Sonntag. Die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien den «einfachen Wahrheiten» des Pro-Komitees nicht gefolgt, sagte RKZ-Präsident Luc Humbel gegenüber kath.ch.

 

Eine grosse Mehrheit der Stimmenden sei weiterhin überzeugt, dass in einer «Willensnation mit ihrer sprachlichen, kulturellen und religiösen Vielfalt» der Service public im Informations-, Kultur- und Bildungsbereich «nicht einzig dem freien Markt» überlassen werden könne.

Dieses Bekenntnis zu einer «in diesem Sinne auch solidarischen Schweiz» sei wichtig, so Humbel weiter. Der RKZ-Präsident fordert deshalb dazu auf, es auch im weiteren politischen Diskurs zu beachten. Die RKZ ist der Dachverband der katholischen kantonalkirchlichen Organisationen.

Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (SEK)

Dieser nimmt die Ablehnung der «No Billag»-Initiative «zustimmend zur Kenntnis». Dies sagte ein Sprecher auf Anfrage von kath.ch. Die Schweizerinnen und Schweizer stünden demnach zur ihren öffentlich-rechtlichen Medien und zu einer «ausgewogenen Berichterstattung mit der Stimme der Minderheiten und Schwachen», sagte SEK-Sprecher Thomas Flügge zum Urnengang vom Sonntag. Wie die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sei der Kirchenbund davon überzeugt, dass Radio und Fernsehen «nicht allein dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden dürfen», so Flügge.

Kirchliche organisationen in der westschweiz

Das Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) ist zusammen mit zwei kirchlichen Organisationen für die Produktion von Religionssendungen in der Romandie verantwortlich. Die beiden Organisationen, Cath-Info und Médias-pro, begrüssen die Ablehnung der «No Billag»-Initiative, wie sie gemeinsam mitteilen.

Man betrachte mit Genugtuung, dass die Bürgerinnen und Bürger sich zugunsten der Solidarität zwischen den Regionen entschieden hätten, heisst es in der Medienmitteilung von Sonntag. Diese hätten die Qualität der Informationsarbeit der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) und die Notwendigkeit eines glaubwürdigen Service public in Zeiten der Globalisierung anerkannt.

Cath-Info, das Katholische Medienzentrum in der Westschweiz, und sein reformierter Partner Médias-pro bedanken sich bei den Kirchen für ihre Stellungnahmen zur Vorlage. Sowohl die Schweizer Bischofskonferenz als auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hatten sich während des Abstimmungskampfes kritisch zur Initiative geäussert, die die Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen abschaffen wollte.

Diese Unterstützung zeige, dass ihnen der Service public am Herzen liege, schreiben Cath-Info und Médias-pro. Die beiden Partner von RTS deuten die Unterstützung auch als Respekt von Seiten der Kirchen für die unterschiedliche Art und Weise, wie die SRG ihren Auftrag in den Sprachregionen organisiere.

Für die SRG beginne nun eine Epoche in einem immer stärker von Konkurrenz geprägten Umfeld, finden die beiden Organisationen. Sie hoffen, dass sich die SRG den Herausforderungen mit Phantasie und Kühnheit stellen werde.

«Wir sind bereit, weiterhin mit der RTS zusammenzuarbeiten, um diesen notwendigen Service public aufzubauen, den die Adressaten unserer Produktionen schätzen», heisst es in der Mitteilung weiter, die von den Direktoren Bernard Litzler (Cath-Info) und Michel Kocher (Médias-pro) unterzeichnet ist.

Cath-Info und Médias-pro zeigen sich angesichts des Abstimmungsergebnisses vom Sonntag zuversichtlich in Bezug auf die Schweiz. Die Abstimmung trage die Hoffnung auf eine offene, solidarische Schweiz in sich.

Auf eine Schweiz, deren Reichtum sich auch in der spirituellen und religiösen Vielfalt manifestiere, so die Mitteilung weiter. 

Interview: «Die Debatte ums Geld für den Service Public wird weitergehen» 

Die Deutlichkeit der Ablehnung von «No Billag» habe ihn überrascht. Das sagt Otfried Jarren zum Abstimmungsergebnis vom Sonntag gegenüber der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Kommunikationswissenschaftler ist ordentlicher Professor am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich (IPMZ) und Präsident der Eidgenössischen Medienkommission. Die «No-Billag»-Initiative hatte europaweit für Aufsehen besorgt.

Joachim Heinz

Herr Professor Jarren, eine deutliche Mehrheit der Schweizer hat sich gegen die Abschaffung der Gebühren für das öffenlich-rechtliche Radio und Fernsehen SRF ausgesprochen - haben Sie mit einem derart klaren Votum gerechnet?

Jarren: Das ist in dieser Deutlichkeit klar überraschend. Denn die ganze Debatte im Vorfeld verlief sehr polemisch. Sie wurde zum Teil von Leuten geführt, die libertäre Vorstellungen verfolgen - also gegen solidarische Finanzierungsformen sind, so auch bei der Krankenversicherung. Dahinter steckt eine Kritik an Gemeinschaft und Solidarität, die eigentlich sehr unschweizerisch ist. Aber in dieser Gruppe waren auch nationalistische Kreise - und das ist dann überraschend, denn bei der SRG geht es ja um eine Schweizer Institution von Geltung und Rang.

Was verbinden die Schweizerinnen und Schweizer mit Radio und Fernsehen SRF?

Jarren: Die Schweiz hat aus ihrer Geschichte heraus immer schon sehr auf föderale, kleinstaatliche Strukturen gesetzt. Und darauf ist sie stolz, und sie ist stolz auf ihre Institutionen. Bildung, Kultur oder Rundfunk kann man unter kleinstaatlichen und föderalen Bedingungen aber nur im Umlageverfahren, also im solidarischen Sinne, finanzieren. Auch die Organisation des öffentlich Rundfunks ist dafür ein Beispiel.Letzten Endes trägt die zahlenmässig grösste Gruppe, die Deutschschweizer, die meisten Kosten, und verschafft damit zugleich den kleineren Gruppen, den Italienisch-, Französisch- und Rätoromanischsprachigen eine mediale Stimme. Es geht also im schweizerischen Föderalismus um Ausgleich und Gerechtigkeit - und nicht um Konfrontation und Umverteilung wie bei den Initiatoren der Volksabstimmung.

Die Schlacht ist geschlagen. Kann der öffentliche Rundfunk in der Schweiz nun wieder zur Tagesordnung übergehen?

Jarren: Das sicher nicht. So wird im Parlament darüber diskutiert, die Höhe der jährlichen Rundfunkgebühr von 365 auf 300 Franken zu senken. Und auch bei dem geplanten Gesetz über Elektronische Medien (GEM) werden neben ordnungspolitischen Aspekten auch Fragen der Ressourcenverteilung aufkommen. Die Debatte, wieviel Geld für die Service Public-Anbieter - und dazu würden dann aller Voraussicht nach auch Online-Portale zählen - bereitgestellt werden sollen, wird weitergehen.

Auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern wird in letzter Zeit der Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in seiner bisherigen Form in Frage gestellt. Erleben wir gerade das Ende einer Ära?

Jarren: Ich würde die Debatte nicht nur bezogen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehen, sondern sie betrifft die Massenmedien insgesamt. Zeitungen müssen teils massive Auflagenverluste hinnehmen, die Zahl der Abonnenten geht zurück, die Werbeerträge brechen ein. Während die Reichweite von Radiosendern noch einigermassen stabil bleibt, sinkt die Reichweite des Fernsehens, zumindest bei Jüngeren. Internet und Social Media bestimmen mehr und mehr die Verbreitung von Informationen, sie beeinflussen immer mehr auch die Nutzung. Die Werbung wird dorthin verlagert. Den klassischen Medien brechen die etablierten Erlösmodelle weg, Bezahlschranken im Netz sind noch nicht etabliert. Diese Finanzierungskrise bei den Massenmedien wirkt sich auf den Journalismus aus - und das ist sehr problematisch.

Also eine eher ungute Situation.

Jarren: Auf dem Markt vollzieht sich gerade ein fundamentaler Wandel: Die bisherigen dominanten Anbieter, also die Massenmedien mit den von ihnen finanzierten Journalisten, verlieren an Gewicht. Der vormalige Anbietermarkt wird zu einem Nachfragmarkt - und der ist hoch differenziert, dynamisch, volatil. Die Folge: Durch Smartphones, Suchmaschinen und Social Media-Plattformen bestimmen mehr und mehr die Nutzer, was sie wann und wo konsumieren und für was sie zahlen wollen. Und sie können auf ein grosses Angebot sehr selektiv zugreifen. Sie sind wählerisch, sie binden sich nicht, sie werden unberechenbar. Das fordert die Massenmedien heraus, die die Risiken für die Finanzierung des Journalismus tragen: Welche Vorhaltekosten, etwa für Korrespondenten, sind ökonomisch vertretbar?

Abgesehen von diesen wirtschaftlichen Aspekten - was verrät die Kritik am Journalismus über den Zustand der Gesellschaft?

Jarren: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme Individualisierung wie Pluralisierung erlebt. Das ist, wie ich finde, grundsätzlich positiv, hat aber dazu geführt, dass die bisherigen Beglaubigungsinstanzen an Autorität eingebüsst haben.

Beglaubigungsinstanzen?

Jarren: Dazu gehören nicht nur die Medien und der Journalismus, sondern beispielsweise auch Universitäten, Parteien und Kirchen. Dort wurden und werden Auswahlentscheidungen getroffen, man definiert, was Relevanz haben soll und was nicht. Sie alle haben zunehmend Probleme, in der Gesellschaft Akzeptanz für ihre Auswahlregeln wie für ihre Entscheidungen zu finden. Vielfach wird pauschal kritisiert: Eliten-Entscheidung. Zugleich verschärfen sich die gesellschaftlichen Interessen- und Wertekonflikte, die durch populistische Kräfte noch weiter vorangetrieben werden. Journalisten aber auch Wissenschaftlern wird dann gerne vorgeworfen, Fake News oder Fake Science zu verbreiten und mit anderen Mitgliedern "des Systems" unter einer Decke zu stecken. AfD und Pegida sind genau auf dieser Schiene unterwegs. Sie verunglimpfen Institutionen, und sie schlachten Fehler - die es immer gibt - aus.

Was raten Sie Journalisten, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen?

Jarren: Ich denke, wir kommen nicht um eine Art freiwilliger Selbstverpflichtung nicht umhin. Der Nutzer von Informationen muss durch eine Art Label oder ein Zertifikat sehen können, dass die Nachricht, die er gerade präsentiert bekommt, von einer Person und Organisation stammt, die nach transparenten Regeln und professionellen journalistischen Standards arbeitet. Wenn es immer mehr Informationen gibt, so müssen die Unterschiede sichtbar und kommuniziert werden. Qualität muss sichtbar sein.

Das klingt sehr bürokratisch.

Jarren: Ist aber eigentlich gar nicht so kompliziert. Ärzte- oder Rechtsanwaltskammern machen das seit langem ähnlich. Auch in der Wissenschaft oder an Schulen gibt es Regeln und Instanzen, die über Qualität wachen und Standards einfordern. Warum also sollte das im Journalismus nicht gelingen? Und natürlich wäre das, wie beim Deutschen Presserat, eine Sache der Branche selbst. (kna)


Quellen: kath.ch/kna/Zusammenstellung: jm